Die Unabhängigkeitserklärung: Harry und Meghan – endlich „normal“
Der britische Prinz Harry fand das Leben „normaler Leute“ schon immer anziehend. Er will nicht nur Prinz, sondern auch Generation Y sein.
Die königliche Familie in England war bislang nichts, wovon man hätte zurücktreten können. Schließlich ist Geburt Schicksal, oder? Nun haben Harry und Meghan von der anderen Seite des Atlantiks aus per Twitter und Instagram ihre Kündigung bei Hofe eingereicht: Sie wollen nicht mehr mitspielen bei der „Firma“, sondern „unabhängig“ sein, auch finanziell.
Doch anders als König Eduard VIII, der im Jahr 1936 abdankte, um mit seiner geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson ein Partyleben unter Prominenten zu führen, ist Harry wohl nicht nur den Sirenengesängen einer Frau erlegen. Sondern auch dem Sog des Zeitgeistes, in dem das persönliche Glück höher bewertet wird als dessen Unterordnung unter ein höheres Ziel.
Denn Prinz Harry wurde zwar in die privilegierteste Familie Englands hineingeboren, wäre aber zugleich gerne Generation Y: Das ist die mit der Work-Life-Balance, dem Downsizing, der Elternzeit und dem Bedürfnis, dass eine Arbeit auch „Sinn“ stiften und nicht nur Geld bringen soll.
Es ist ja längst nicht mehr das Zeitalter der Pflicht, sondern das des Individualismus, in dem die größte Pflicht paradoxerweise darin besteht, dass das Individuum nachweisbar persönlich glücklich wird. „Pursuit of happiness“ ist dort, wo Meghan herkommt, verfassungsverbrieft. Einmal erreicht, muss man dieses Glück nach den Konventionen unserer Zeit auf allen Kanälen nachweisen: Strahlende Gesichter, Likes und Babyfüßchen. Es ist ein Glück, in dem das Kleinste das Größte sein soll.
Harry stellt sich die Fragen der Sterblichen
Seit 1952 sitzt Queen Elizabeth nun auf dem Thron, doch sollte sie in ihrer 67-jährigen Regentschaft je irgendetwas balanciert haben, work oder life, stellte sie sicher, dass das niemand sah. Das wird längst nicht mehr als Tugend begriffen. Prinz Harry – und auch Prinz William übrigens – haben dagegen ihre ganze Jugend lang formuliert, was für sie die größte Anziehungskraft ausübt: Normalität – oder das, was sie dafür hielten. Denn immer wenn sie ausführten, was sie unter Normalität verstanden, schwärmten die Prinzen davon, dass man unerkannt an der Supermarktkasse stehen und dann auf der Couch eine Pizza essen könne.
Nun hat sich der Begriff offenbar deutlich erweitert. Er beinhaltet die grenzenlosen Wahlmöglichkeit der globalen Gegenwart: Die Freiheit, zu definieren, wer man sein und was man arbeiten möchte. In ihr kann ein Paar die Rollenverteilung selbst entscheiden, auch wessen Namen es annimmt (Wie wäre es mit Harry Markle?), und ob ihre oder seine Karriere die „wichtigere“ ist. Harry hatte schon immer große Sehnsucht danach, sich die Fragen der Sterblichen stellen zu dürfen.
Ist der Käfig fertig, ist der Vogel tot
Nach Diana wurde Meghan Markle im Sommer zur zweiten Eingeheirateten, die mit brechender Stimme von ihrem persönlichen Unglück im Palast erzählte. Sie hatten sich soeben ein Haus in Windsor für exorbitante Summen renovieren lassen, da zeichnete sich ab, was auch vielen Eigenheimbauern in der so genannten Normalität droht: Ist der Käfig fertig, ist der Vogel tot. Dass Harry und Meghan nun überzeugt sind, ihre nagelneue Kleinfamilie gegenüber der Jahrhunderte herrschenden Großfamilie an erste Stelle zu rücken zur dürfen, ist ein Zeichen, dass der Zeitgeist sich gewandelt hat.
Queen Elizabeth würde wohl sagen, ihr eigenes Glück oder Unglück sei völlig irrelevant im Verhältnis zum Wohlergehen des Landes. Denn diese Aufgabe hat sie immer als die allergrößte Ehre begriffen. Prinz Philip umarmte mit seiner Hochzeit auch die eigene Zweitrangigkeit: Seit 1947 navigiert der ehemalige „Admiral of the Fleet“ der Royal Navy mit Ironie und Sarkasmus durch seine eigene Bedeutungslosigkeit.
Harry und Meghan wollen nun frei wählen, wer sie sein wollen. Wie es die meisten in der so genannten Normalität tun können. Nur war Kür ohne Pflicht bislang in der Aufgabenverteilung des Königshauses nicht vorgesehen.
Harry jedenfalls wirkt, als hätte er endlich das erhoffte weiße Schiff bestiegen, das kurz vor Weihnachten ins gelobte Land der „Normalität“ ablegte.
Gut möglich jedoch, dass die beiden dort nie ankommen werden vor lauter Prominenz und Solvenz. Das wertvolle Geschenk der Großmutter, die ihnen zur Hochzeit den Titel der Sussexes verlieh, haben sie jedenfalls mitgenommen: Den Namen „Sussex Royal“ ließen sie sich als Marke schützen, darunter können sie nun Produktlinien aller Art auf den Markt bringen. Denn in post-monarchischen, kapitalistischen Gesellschaften lebt das Privileg eines Titels als Wert einer Marke fort. Die lässt sich nutzen wie Bodenschätze einer sehr fernen Kolonie.