Impfquote flacht bundesweit immer weiter ab: Hamburg zieht den „Johnson & Johnson-Joker“
Die deutsche Corona-Impfkampagne kommt weiter schleppend voran. Während Sachsen zu Ursachen der niedrigsten Quote forscht, hat Hamburg einen Ausweg gefunden.
Noch im Juni verzeichnete das Robert Koch-Institut (RKI) bis zu 1,5 Millionen verabreichte Impfdosen pro Tag – schon bald könnte dafür eine Woche möglich sein. Die Impfzahlen in der Corona-Pandemie sind bundesweit weiter rückläufig.
Vor zwei Wochen verabreichten die Ärzte in Impfzentren, Praxen und auch mobil noch 2,8 Millionen Dosen, in der vergangenen Woche waren es schon nur noch 2,5 Millionen Impfdosen. In den vergangenen sieben Tagen sank die Zahl der verabreichten Dosen auf 2,3 Millionen.
Der Grund dafür: In 13 von 16 Bundesländern ist die Quote des Zuwachses der vollständig Geimpften in der vergangenen Woche im Vergleich zur Vorwoche gesunken. Im August hat der Anteil der vollständig Geimpften an der Bevölkerung in Hamburg (6,9 Prozent) sowie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (jeweils 5,7 Prozent) am stärksten zugenommen, in Sachsen und Thüringen (jeweils 2,2 Prozent) am schwächsten.
Dass die Zahl der Zweitimpfungen für den Rückgang entscheidend ist, sieht man erstens daran, dass ein Großteil der täglichen Impfungen den RKI-Zahlen zufolge Zweitimpfungen sind. Und zweitens ist es daran zu erkennen, dass die Zuwachs-Quote der mindestens einmal Geimpften in zwölf von 16 Bundesländern in der vergangenen Woche im Vergleich zur Vorwoche sogar gestiegen ist. Im August hat der Anteil der mindestens einmal Geimpften an der Bevölkerung in Hamburg (2,4 Prozent), Schleswig-Holstein (2,1 Prozent) und Berlin (2,0 Prozent) am stärksten zugenommen, in Bayern und Baden-Württemberg (jeweils 1,2 Prozent) sowie Niedersachsen, Sachsen und Thüringen (jeweils 1,3 Prozent) am schwächsten.
Hamburg kommt gut voran, in Sachsen hakt es gewaltig
Auffällig, mit Blick auf die Zahlen: In Hamburg kommt die Impfkampagne offensichtlich derzeit besonders gut voran, in Sachsen besonders schleppend.
Die Hamburger Sozialbehörde nennt zwei Hauptgründe für die positive Entwicklung. „Zum Ende der Sommerferien zieht die Anfrage wieder an“, sagt ein Behördensprecher dem Tagesspiegel zum einen.
Die einen hätten sich ohnehin impfen lassen wollen und holen das jetzt nach ihrem Urlaub nach, andere lassen sich jetzt doch impfen, weil die Corona-Regeln für Geimpfte lockerer sind. „Es hat vor allem pragmatische Gründe“, so der Sprecher. Es sei aber insgesamt eine Sättigung in der Bevölkerung zu erkennen, was das Impfen angeht.
Auch aufgrund dieser Sättigung schließt Hamburg sein Impfzentrum Ende August. Deshalb wird dort nur noch der Impfstoff von Johnson & Johnson angeboten, abgesehen von zweiten Impfungen – weil es da nur eine Impfung braucht.
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Eben aus diesem Grund ist die Nachfrage nach diesem Impfstoff derzeit hoch. Das Vakzin von Johnson & Johnson sei „der Joker unter den Impfstoffen“, sagt der Sprecher der Sozialbehörde. Zu Beginn der Impfkampagne hätten dem Land Hamburg nur maximal knapp mehr als 1000 Impfdosen davon zur Verfügung gestanden. Damals hielt der Senat den Impfstoff vermehrt zurück und verimpfte ihn da, wo er dringend gebraucht wurde. Zum Beispiel an Obdachlose. „Bei denen wussten wir nicht, ob wir sie überhaupt ein zweites Mal antreffen.“
Derzeit stehen dem Hamburger Senat mehr als 20.000 Dosen des J&J-Impfstoffs zur Verfügung. „Der Impfstoff von Johnson & Johnson spielt eine große Rolle in der derzeitigen Phase der Impfkampagne.“
Derzeit können sich alle Personen ab 18 Jahren ohne Terminbuchung im Hamburger Impfzentrum mit dem Vakzin von Johnson & Johnson impfen lassen. Zwar empfiehlt die Ständige Impfkommission des RKI (Stiko) die Verwendung des Impfstoffes in der Regel für Personen im Alter ab 60 Jahren. Wer sich trotzdem in jüngerem Alter für die Impfung entscheidet, wird von ärztlicher Seite im Impfzentrum entsprechend aufgeklärt.
Und das ist offensichtlich derzeit der Fall in Hamburg. Taugt das „Hamburger Modell“ nun sogar als Vorbild für den Bund? Es sei schon so, dass die Menschen, die nun mit nur einer Dosis überzeugt werden können, eine „spezielle Zielgruppe“ seien, sagt der Behördensprecher. „Wer sich impfen lassen wollte, konnte das schon längst tun. Die, die sich jetzt erst impfen lassen, wollten das zum großen Teil zuvor einfach nicht.“
Das könnte sich vor allem deshalb geändert haben, weil man mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson schon nach zwei Wochen vollständig geimpft ist. Beim Impfstoff von Astrazeneca kann es nach Angaben des Bundesgesundheitsministerium bis zu zweieineinhalb Monate dauern, bis der Zeitpunkt von zwei Wochen nach der zweiten Impfung erreicht ist.
Aufgrund der vergleichsweise jungen Bevölkerung in Hamburg können derzeit nur rund 80 Prozent der Menschen geimpft werden. Für die restlichen 20 Prozent, die Menschen unter zwölf Jahre, gibt es noch kein Impfangebot. Deshalb ist der Anteil der vollständig Geimpften an der Bevölkerung mit rund 60 Prozent sehr hoch.
Ostbeauftragter sieht eine Teilschuld bei der AfD
In Sachsen ist die Entwicklung eine gänzlich andere, dort stockt die Impfkampagne gewaltig. Erst am Mittwoch überschritt das Bundesland die 50-Prozent-Marke bei den vollständig Geimpften. Die Ursachenforschung läuft.
Zwar ist der sächsische Trend auch in Deutschland zu beobachten, allerdings nicht derart stark. Das führt der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), auf den deutlich höheren Anteil von AfD-Wählern in Ostdeutschland zurück.
„Die allermeisten AfD-Funktionäre gehen aggressiv gegen das Impfen sowie gegen sämtliche Corona-Maßnahmen vor – ähnlich wie der frühere US-Präsident Donald Trump“, sagte Wanderwitz der Funke-Mediengruppe. Das bedeute in der Folge, dass sich der durchschnittliche AfD-Wähler nicht impfen lasse.
Das Sozialministerium Sachsen führt die Entwicklung hingegen auf eine Mischung von Ursachen zurück. Ursachen, die auch den bundesweiten Trend zum Teil erklären könnten. Ein Grund ist, dass in Sachsen, anders als in Hamburg, noch Ferienzeit ist.
Und, ganz generell, „dürfte bei dem einen oder anderen die niedrigen Inzidenzen und eine damit verbundene gewisse Sorglosigkeit eine Rolle spielen – die Impfung wird gedanklich auf die Zeit nach den Sommerferien geschoben“, teilt das Ministerium dem Tagesspiegel mit.
„Ein möglicher Teil-Aspekt ist zudem, dass wir in Sachsen eine sehr hohe Infektionsrate hatten“, so das Ministerium. Dies könne bewirken, dass viele Menschen, die einen harmlosen Verlauf hatten, die Relevanz der Impfung als nicht so hoch einschätzen. Auch die Rolle der sozialen Medien – und die dort teilweise gestreute Verunsicherung und Desinformation – könnte ein Aspekt sein.
Luft nach oben ist nach Angaben des Sozialministeriums Sachsen auch noch in den Arztpraxen. Denn von den rund 4000 möglichen im Bundesland impfen nur rund 2700.
Der Impfstoff von Johnson & Johnson, der in Hamburg der selbsternannte „Joker“ in der Impfkampagne ist, wird in Sachsen über Impfzentren, mobile Teams und niedergelassene Ärzte angeboten. Es gab auch schon Sonderaktionen mit dem Vakzin von Johnson & Johnson.
Allerdings betont das Ministerium, dass sowohl die Stiko als auch die Sächsische Impfkommission (Siko) diesen Impfstoff erst ab einem Alter von 60 Jahre empfehlen. Zwar teilt das Ministerium mit, dass in Einzelfällen nach ärztlicher Aufklärung auch an unter 60-Jährige verimpft wird. Eine so große Rolle wie in Hamburg spielt der Impfstoff hier allerdings offenbar nicht.