Kabinett Merkel III: Halbzeitzeugnis für die Bundesregierung
Am 17. Dezember 2013 wurde das Kabinett Merkel III vereidigt. Seither haben sich einige Minister im Windschatten der Kanzlerin nach vorne gedrängt - andere kommen mit ihren Ideen nicht durch. Wer hat sich wie geschlagen? Ein Überblick.
"Deutschlands Zukunft gestalten" - so haben es sich die Großkoalitionäre aus CDU/CSU und SPD vorgenommen, als sie am 17. Dezember 2013 vereidigt wurden. Diesen Titel trug der Koalitionsvertrag. Am Donnerstag ist die Bundesregierung genau zwei Jahre im Amt. Erst beschäftigte die Krise um Griechenland das politische Treiben, dann waren die Kriege in der Ukraine und Syrien die bestimmenden Faktoren. Schließlich wurde der große Strom an Flüchtlinge zum alles bestimmenden Thema.
Wie haben sich die einzelnen Minister bislang geschlagen?
Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen (Verteidigungsministerin, CDU)
Ein Jahr hatte die Bundeswehr eine Verschnaufpause, mit dem Einsatz gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ in Syrien und der Ausweitung des Mali-Einsatzes wird es 2016 wieder ernst für die Soldatinnen und Soldaten. Auch die Ministerin steht damit an einem Wendepunkt. „Gleichgültigkeit ist keine Option“, hatte sie vor fast zwei Jahren bei der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt und deutlich gemacht, dass Deutschland sich auch künftig militärisch engagieren wird. Damals neigte sich der Kampfeinsatz in Afghanistan allerdings bereits dem Ende zu, neue Einsätze waren nicht in Sicht. Die Bundeswehr blieb zwar auch nach dem Abzug der Kampftruppen vom Hindukusch Ende 2014 weltweit aktiv – im Anti-Piraten-Einsatz am Horn von Afrika und bei Ausbildungsmissionen in Mali und Afghanistan beispielsweise. Wirklich gefährlich war das aber nicht. Ursula von der Leyen (CDU) blieb daher Zeit, sich alte Baustellen vorzunehmen. Das Beschaffungswesen beispielsweise. Sie traf wichtige Entscheidungen für Großprojekte und stellte die Weichen dafür, dass Rüstungsgeschäfte künftig transparenter werden. Außerdem musterte sie das Standardgewehr der Bundeswehr, das G36, aus. Die aktuen Ausrüstungsmängel der Truppe bekam sie aber nicht in den Griff. So war vor dem Einsatz deutscher Aufklärungstornados in Syrien mangels Ersatzteilen nicht einmal jeder zweite Bundeswehr-Tornado einsatzbereit. Auch das längst überfällige Transportflugzeug A400M lässt weiter auf sich warten. Nur zwei Maschinen wurden bisher ausgeliefert. Ulrike Scheffer
Frank-Walter Steinmeier
Frank-Walter Steinmeier (Außenminister, SPD)
Am Anfang von Steinmeiers zweiter Amtszeit als Außenminister stand ein Versprechen. „Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen“, forderte er. Zwei Jahre später zweifelt kaum jemand, dass der Chef des Auswärtigen Amtes diesem Anspruch gerecht geworden ist in den Krisen, die Deutschland seither gefordert haben – im Konflikt mit Russland um die Ukraine, dem Aufkommen der Terrormiliz „Islamischer Staat“, der Krise der Europäischen Union und der Ebola-Epidemie in Westafrika. Auch dem Einsatz Steinmeiers ist es zu verdanken, dass die Verhandlungen mit dem Iran zur Verhinderung eines Atomwaffenprogramms in diesem Jahr erfolgreich abgeschlossen wurden. Bei den Bemühungen um eine politische Lösung des Syrienkrieges trug er dazu bei, dass nicht nur die USA und Russland, sondern auch die erbitterten Gegner Iran und Saudi-Arabien gemeinsam am Wiener Verhandlungstisch sitzen. Wie sehr auch viele Bürger Steinmeiers Einsatz und Verlässlichkeit schätzen, zeigen seine Spitzen-Umfragewerte bei der Frage nach den am meisten geschätzten Politikern. Hans Monath
Manuela Schwesig
Manuela Schwesig (Familienministerin, SPD)
Nach vier verlorenen Jahren für die Familienpolitik unter Schwarz-Gelb hat ausgerechnet eine Neueinsteigerin in die Bundespolitik dieses Ressort wieder zu neuem Schwung und neuer Bedeutung geführt. Manuela Schwesig konnte die Kontinuitätslinien zu ihren erfolgreichen Vorgängerinnen Renate Schmidt (ebenfalls SPD) und Ursula von der Leyen (CDU) wieder herstellen, die beide für eine moderne Familienpolitik kämpften. Wichtig für Schwesigs Ansehen war, dass sie sich im Kampf um die Frauenquote gegen die Bremser in der Union durchsetzte. Auch das ElterngeldPlus steht auf der Habenseite. Schwesig kämpfte erfolgreich dafür, Geld aus den aus den Haushaltsüberschüssen des Finanzministers in den Kita-Ausbau zu stecken – für Flüchtlingskinder, aber nicht nur für Flüchtlingskinder. Wie jede gute Familienministerin verfolgt Schwesig mit der Familienarbeitszeit und dem Familiensplitting Projekte, die weit über den Koalitionsvertrag hinausgehen. Hans Monath
Thomas de Maiziére
Thomas de Mazière (Innenminister, CDU)
Viele Wunden heilt bekanntlich Zeit. Diese vernarbte nur sehr langsam: Thomas de Maizière war bis 2013 Verteidigungsminister und wollte das auch bleiben. Allein, Ursula von der Leyen begehrte den Job, bekam ihn und de Maizière, noch angeschlagen von der Drohnenaffäre, musste weichen. Die Kanzlerin postierte ihn im Innen-Ressort. De Maizière brauchte viel Zeit, um mit seinem Job warm zu werden. Als Ende 2014 in seiner Heimatstadt Dresden die Pegida-Aufmärsche bundesweit für Aufsehen sorgten, hielt sich der Innenminister zunächst mit Kritik zurück. „Verständnis“ für die Sorgen der Menschen müsse man haben, sagte er. Erst, als Merkel Hetze und Hass beklagte, drehte auch de Maizière auf Abwehr. Gleichzeitig stemmte sich der Innenminister gegen den langsam ansteigenden Zustrom von Flüchtlingen. Seine Forderungen nach europaweiter Verteilung verhallten. Monatelang hatte man den Eindruck, der Innenminister hofft, der Ansturm werde bald geringer werden, das Thema verschwinden. Doch das tat es nicht. Mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise lastet auf dem Innenminister die wahrscheinlich schwerste Aufgabe seiner politischen Karriere. Politisch agiert er dabei oft unglücklich, es scheint, der Konservative in ihm, der nach Abschottung und Zurückweisung verlangt, drängt zuweilen an die Oberfläche, ringt aber mit dem Loyalen, der de Maizière genauso ist, und der die weltoffene Flüchtlingspolitik der Kanzlerin unterstützt. Antje Sirleschtov
Hermann Gröhe
Hermann Gröhe (Gesundheitsminister, CDU)
Als Quereinsteiger hat es der einstige CDU-General in Windeseile geschafft, sich in eine hochkomplizierte Materie einzufuchsen. In der Branche zollen sie dem 54-Jährigen aber nicht nur dafür Respekt. Sie loben ihn auch wegen seiner Umgänglichkeit und seiner Effizienz. Wie im Akkord hat Gröhe sein Ministerium ein Gesetz nach dem andern ausgespucken lassen – und teilweise waren darunter richtig schwere Brocken. Man denke an die Klinikreform, bei der auch die Länder ins Boot mussten oder den Komplettumbau des Pflegesystems, um den sich alle Vorgänger gedrückt hatten. Dennoch ist die Bilanz gemischt. Nach außen bleibt der Minister farblos. Und seine Gesetzespakete sind Kompromisse, denen der Biss fehlt – die Investionsmisere der Kliniken ist ebenso ungelöst wie der Personalmangel in der Pflege. Dennoch verschlingen sie Milliarden. Gröhe könnte es zum teuersten Gesundheitsminister aller Zeiten bringen. Spannend wird seine zweite Halbzeit. Erstens, weil der Koalitionsvertrag abgearbeitet ist und Gröhe nun die Möglichkeit hätte, eigene Duftmarken zu setzen. Und zweitens, weil dem System das Geld ausgeht. Wenn just zum Wahljahr die Zusatzbeiträge explodieren und auch große Kassen in die Knie gehen, könnte es für den Schön-Wetter-Minister noch sehr ungemütlich werden. Rainer Woratschka
Andrea Nahles
Andrea Nahles (Arbeitsministerin, SPD)
Mit dem gesetzlichen Mindestlohn und der Rente mit 63 hat Andrea Nahles die Herzensthemen der SPD schon im ersten Amtsjahr abgearbeitet. Es ist wenig überraschend, dass die Arbeitsministerin damit zur Lieblingsfeindin der Wirtschaftspolitiker in der Union geworden ist. Dabei pflegt die 45-jährige einen kooperativen Arbeitsstil: Bei ihren Vorhaben bezieht sie Gewerkschaften und Arbeitgeber im Vorfeld ebenso ein wie den Koalitionspartner. Inhaltlich setzt die Sozialdemokratin nicht nur auf klassische Gewerkschaftsthemen, sondern sie versucht, die Rolle der SPD als Arbeiterpartei neu zu definieren. Etwa, indem sie die Debatte angestoßen hat, wie die Digitalisierung die Arbeit verändern wird. Neben den Projekten, die der Koalitionsvertrag für diese Wahlperiode noch vorsieht (Begrenzung der Leiharbeit und der Werkverträge, Bundesteilhabegesetz) muss Nahles aber auch eine neue Aufgabe schultern: Als Arbeitsministerin muss sie dazu beitragen, dass Flüchtlinge in den nächsten Jahren ordentlich in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Cordula Eubel
Wolfgang Schäuble
Wolfgang Schäuble (Finanzminister, CDU)
Natürlich ist der Kabinettssenior mehr als nur Bundesfinanzminister. Wolfgang Schäuble redet bei vielen Themen mit, er bringt, mal launig, mal launisch, seine Erfahrung aus 40 Jahren Politik ein. Zu seiner Rolle gehört auch, das europapolitische Gewissen der Koalition zu sein. Die Zukunft der EU hat ihn 2015 wohl mehr beschäftigt als die Tagesaufgaben in seinem Ressort. In den Gesprächen mit der Athener Regierung war er über Monate gefordert; sein Gegenüber Yannis Varoufakis war in seiner Mischung aus Unerfahrenheit, Unverschämtheit und Unberechenbarkeit eine Herausforderung, die Schäuble so noch nicht erlebt hatte. Seine harte Linie gegenüber Griechenland kontrastierte mit der konzilianteren Politik der Kanzlerin. Manche sahen darin Verhandlungsstrategie, manche einen handfesten Konflikt. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Auch in der Flüchtlingspolitik gab es zwischenzeitlich Dissens zwischen den beiden. Einige Sachaufgaben gelangen Schäuble 2015 nicht so gut. So ist ihm die von Karlsruhe geforderte Reform der Erbschaftsteuer für Unternehmenserben entglitten – sein Vorschlag, möglicherweise zu schlau, hat sich nicht durchgesetzt. Auch in den Gesprächen über die Bund-Länder-Finanzen hatte Schäuble Pech: Seine mit dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz vorbereitete Konsenslinie mit einer Neuverteilung der Solidarpakt-Milliarden wurde vom Kanzleramt torpediert. Doch konnte Schäuble wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen; das Erreichen und Durchhalten der schwarzen Null ist das Merkmal seiner Amtszeit im Finanzressort. Er setzte auch das neue „Top-down-Verfahren“ bei der Haushaltsaufstellung durch, das dem Finanzminister mehr Steuerungsmacht gibt – mutmaßlich ein bleibender Erfolg, für den sich seine Nachfolger bedanken werden. 2016 wird sich zeigen, ob ihm die schwarze Null noch einmal gelingt. Und er wird sich entscheiden müssen: Noch eine Wahlperiode oder Rente? Albert Funk
Alexander Dobrindt
Alexander Dobrindt (Verkehrsminister, CSU)
Der Bundesverkehrsminister ist der Pechvogel der Koalition – die Pkw-Maut, ein verunglücktes Unternehmen, bestimmt das Schicksal von Alexander Dobrindt. Die Infrastrukturabgabe ist zwar seit Jahresmitte beschlossene Sache, nachdem Dobrindt mit den Vorbereitungen deutlich länger brauchte als geplant. Doch wegen der Bedenken der EU-Kommission, welche Ausländer benachteiligt sieht, ist die elektronisch erhobene Abgabe derzeit im Standby-Modus. So wie der Minister auch. Dobrindt hat Mitte 2016 als Einführungsdatum anpeilt. Ob daraus etwas wird, ist ungewiss. Vermutlich wird die Sache irgendwann vor Gericht entschieden. Mit anderen Themen zu punkten, will ihm nicht so recht gelingen, obwohl sein Ressortzuschnitt auch digitale Infrastruktur umfasst. Sein neuestes Projekt heißt BIM – Building Information Modeling. Durch digitales Planen sollen vor allem große Bauprojekte weniger teuer werden, was ihre Akzeptanz steigern soll. Profilierungschancen böte auch die geplante Infrastrukturgesellschaft des Bundes, welche wohl vor allem Autobahnen und Bundesstraßen im Portfolio haben soll. Doch hier gibt es einen Zielkonflikt: Die bislang fürs Planen zuständigen Länder, allen voran Bayern, lehnen eine echte Bundesverwaltung ab, die Bundesministerien für Finanzen und Wirtschaft wollen dagegen deutlich mehr Bundeseinfluss als bisher. Insofern steht Dobrindt zwischen den Koalitionsschwergewichten Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel einerseits und seinem Parteichef Horst Seehofer andererseits. Wie gesagt, ein Pechvogel. Albert Funk
Gerd Müller
Gerd Müller (Entwicklungsminister, CSU)
Früher als viele andere Minister hat Gerd Müller die Herausforderung der Flüchtlingskrise erkannt und das Entwicklungsministerium reformiert, um den Problemen zu begegnen. Lange vor dem Ansteigen der Flüchtlingszahlen in Deutschland setzte sich der Minister für europäische Antworten ein. Mehr als eine Milliarde Euro investiert sein Ressort in direkte Flüchtlingshilfe, mehr als 12 Milliarden in der gesamten Legislaturperiode in die Bekämpfung von Fluchtursachen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte Müller rund 160 Partner aus Handel und Industrie auf ein Bündnis für nachhaltige Textilien verpflichten. Anders als Vorgänger Dirk Niebel wird der Minister in der entwicklungspolitischen Szene als Partner mit richtigen Zielen und großer Hingabe an die Sache geschätzt. In der Beschreibung von weltweiten Ungerechtigkeiten und Defiziten ist er aber stärker als in der Präsentation von Lösungen. Im Kabinett gilt er nicht als starker Minister, womöglich auch, weil er im Ernstfall den Konflikt bislang nicht sucht. Hans Monath
Peter Altmeier
Peter Altmeier (Kanzleramtsminister, CDU)
Ein Chef des Kanzleramts zieht eigentlich bei Amtsantritt eine Tarnkappe über und bleibt von da an unsichtbar. Auch auf Peter Altmaier hat diese Jobbeschreibung lange gepasst. Der engste Mitarbeiter der Kanzlerin soll unauffällig dafür sorgen, dass der Regierungsapparat geschmeidig läuft. In der NSA-Affäre erwies sich das als praktisch. Der sonst so eloquente und gesellige Saarländer blieb einfach in Deckung, als sich zeigte: Abhören unter Freunden, das geht durchaus. Seit Merkel ihren alten Gefolgsmann zusätzlich zum Flüchtlingskrisenkoordinator gemacht hat, ist er wieder häufiger Talkshow-Gast, stets in der Rolle des lächelnden Buddha: Probleme? Welche Probleme? Reibungslos lief die neue Verantwortung aber nicht an. Dass Altmaier den Innenminister nicht nur zurückpfiff, sondern den Parteifreund Thomas de Maizière zusätzlich als Ahnungslosen bloßstellte, war ein übler Handwerksfehler. Prognose für die zweite Hälfte: Muss besser aufpassen, auch auf sich selbst. Robert Birnbaum
Johanna Wanka
Johanna Wanka (Bildungsministerin, CDU)
Sie ist die Stille im Kabinett. Johanna Wanka (CDU) macht Schlagzeilen allenfalls auf den Bildungsseiten. Dabei hat die Ministerin für Bildung und Forschung einen der größeren Etats, fünf Prozent des Bundesetats darf sie unter die Leute bringen, das sind gut 15 Milliarden Euro. Etwa ein Siebtel davon sind Bafög-Zahlungen. Mit dem Rest kann Wanka intensiv Wissenschaftspolitik machen. Ihr Förderinstrumentarium ist fein verästelt: Hochschulpakt, Exzellenzinitiative, Max-Planck-Gemeinschaft, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Helmholtz-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft. Im Forschungsbereich ist der Bund mittlerweile der Matchmaker. Es gibt freilich auch die Meinung, dass nicht alles, was Wanka verausgaben darf, auch sinnvoll verwendet wird. In den Ländern wächst der Unmut, weil die Forschungsförderung einigen Ministerpräsidenten zu gezielt eingesetzt wird und regional zu wenig streut. Wanka versucht derweil durchaus, die politisch wichtigen Modernisierungsthemen ihrer Regierungskoalition – High-Tech-Strategie, Nachhaltigkeitsforschung und Energiewende – mit Querschnittsforschungsaufträgen zu hinterlegen. Ein Beispiel dafür ist das Akademienprojekt – die Leopoldina, Acatech und die Länder-Akademien forschen gemeinsam – zur Energiewende. Allerdings ist das, was dabei herauskommt, oft eher dem Abwehrkampf zuzurechnen, als dem Denken in die Zukunft. Aber die Wissenschaft ist eben auch nicht immer ganz vorn. Dagmar Dehmer/Albert Funk
Christian Schmidt
Christian Schmidt (Landwirtschaftsminister, CSU)
Christian Schmidt (CSU) ist Agrarminister – und kaum einer merkt es. Bei der Grünen Woche vor einem Jahr ließ er sich von der „Heute-Show“ vorführen. Das ist so ziemlich das einzige, was außerhalb der interessierten Kreise hängen geblieben ist. Unter dem Radar des öffentlichen Interesses versucht Schmidt die Interessengegensätze in der Landwirtschaft zu entschärfen. Auf der einen Seite der Bauernverband, der nach wie vor einen Großteil des Ministeriums und der zugehörigen Forschungsinstitute politisch monopolisiert. Auf der anderen Seite Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, die Jahr für Jahr zu größeren Demonstrationen unter dem Slogan „Wir haben es satt“ aufrufen, wenn gleichzeitig die hohe Messe der Agrarwirtschaft auf dem Berliner Messegelände steigt. Schmidt müht sich um den Mittelweg, wenn er Legehennen ein besseres Leben, und der Eierwirtschaft möglichst wenig Auflagen zu ermöglichen versucht. Seine Strategie macht selten Schlagzeilen, löst aber auch keine Begeisterung aus.
Heiko Maas
Heiko Maas (Justizminister, SPD)
Ein Mann will nach oben. Der Überraschungs-Justizminister Heiko Maas bringt sein Amt und sich als Person gemessen am kleinen Etat seiner Behörde überproportional in die Öffentlichkeit; kaum ein Tag, an dem es nicht etwas zu sagen gäbe. Er war der erste aus der Kabinettsriege, der gegen Pegida klare Worte fand, er tadelte Facebook und feuerte einen Generalbundesanwalt, weil dieser gegen Journalisten, die stolz darauf sind, Geheimnisse zu verraten, wegen Geheimnisverrats ermittelte. Derlei Engagement verbindet der sportliche Endvierziger mit kernsozialdemokratischen Anliegen wie der Mietpreisbremse; insgesamt ein Aktivismus, der ihn zum Minister der linken Herzen befördert hat und der schon manche davon sprechen lässt, hier bringe sich ein künftiger Kanzlerkandidat in Stellung. Die dafür nötige Partei- und (Regierungs-)linientreue hat der disziplinierte Berufssoldatensohn, wie sein Schwenk bei der Vorratsdatenspeicherung zeigte. Das Bundes-Rechtswesen kann nach allem nur Etappe sein. Jost Müller-Neuhof
Barbara Hendricks
Barbara Hendricks (Umweltministerin, SPD)
Zunächst war Barbara Hendricks (SPD), die Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Bauen, vor allem eine Bauministerin. Sie hatte zwar die Abteilung erneuerbare Energien an Sigmar Gabriel verloren. Aber mit der neuen Bauabteilung sah die die Möglichkeit, städtebaulich und zum Nutzen des sozialen Friedens mit einer aktiveren Wohnungsbaupolitik wichtige sozialdemokratische Themen zu beackern. Das mit der Reaktorsicherheit hat sie als „preußische Pflicht“ empfunden – und hat aber trotzdem eines der ganz schwierigen Probleme abgeräumt. Nach mehr als drei Jahren politischem Patt, ist seit einer Woche klar, wo die Atommüll-Castoren aus dem Ausland hin transportiert werden, nämlich in vier Zwischenlager in vier Bundesländern. Bayern hat seinen Widerstand aufgegeben und damit eine Lösung ermöglicht, auf die Hendricks stur und geduldig hingearbeitet hatte. Als Umweltministerin war sie bis vor kurzem weniger präsent. Doch in dieser Woche ist sie mit einem Erfolg vom Klimagipfel in Paris zurückgekehrt, zu dem sie und vor allem ihr Verhandlungsteam durchaus beigetragen haben. Dass die deutsche Klimapolitik nicht ehrgeizig genug war, um das Ziel zu erreichen, bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, hat sie schnell zum Thema gemacht. Allerdings fällt es ihr sichtlich schwer, das Wirtschafts-, Verkehrs- und Agrarministerium so einzuspannen, dass tatsächlich etwas passiert. Das Umwelt- und das Bauministerium zusammenzubringen, ist eine Aufgabe, die mit dem Ende dieser Legislaturperiode eher nicht abgeschlossen sein wird. Während die Umweltseite Geschmack an den Bauthemen – und dem gewaltigen Etat – gefunden hat, fremdelt die Bauseite noch etwas. Dagmar Dehmer
Sigmar Gabriel
Sigmar Gabriel (Wirtschaftsminister, SPD)
Als Energieminister ist Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sekundiert von seinem Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) flott gestartet. Acht Monate, nachdem er seinen Posten übernommen hatte, konnte er bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zunächst einmal Vollzug melden. Aktuell wird aber schon wieder über Teile dieser Reform gestritten, nämlich die Ausschreibungen über die künftig der Förderbetrag für Wind- und Solarstrom ermittelt werden soll. Die Energiewende ist in einem Stadium angekommen, in dem sie vor allem viel Detailarbeit nötig macht, von der Reform des Strommarktes über den Netzausbau, über den Gabriel monatelang vor allem mit Bayern streiten musste, bis hin zu komplizierten Regulierungsfragen, wie der Netzentgeltverordnung. Als Energieminister muss Gabriel im kommenden halben Jahr die Debatte über einen Kohlekonsens zustande bringen. Das wird eine harte Nuss, zumal die Bergbaugewerkschaft sich bisher quer stellt. Als Wirtschaftsminister hat Gabriel die Aufgabe, den Modernisierungsprozess der Wirtschaft zu einer „Industrie 4.0.“, wie er das nennt – es geht um die Digitalisierung von Produktionsprozessen – politisch zu flankieren. Auch diese Fragen sind im Detail sehr kompliziert zu lösen. Und dann hat Gabriel auch noch die Rüstungsexporte am Hals, und muss mit ansehen, wie VW mit seinem Abgasbetrug die Marke „Made in Germany“ ruiniert. Bisher hat Gabriel in seinem Ministeramt durchaus erfolgreich zwischen den verschiedenen Mienenfeldern navigiert. Aber jedes seiner Themen hat das Potenzial, ihm um die Ohren zu fliegen.
Angela Merkel
Angela Merkel (Bundeskanzlerin, CDU)
Wenn Christdemokraten dieser Tage unter sich sind, dann fällt das Wort „Mutti“ nur noch ausnahmsweise. Der Titel passt nicht mehr so recht zur Kanzlerin der Flüchtlingskrise, die ihr Land und ihre Partei durch ungewohnt rigoroses und ungewohnt risikofreudiges Auftreten verwirrt. Fast schon vergessen die Monate nach der letzten Bundestagswahl. Merkels zweite große Koalition, so schien es damals, würde zur Wiederholung der ersten werden: Eine ziemlich langweilige Regierung macht eine sozialdemokratisch geprägte Politik, über die CDU und CSU murren, aber nicht zu laut – denn am Ende sackt erfahrungsgemäß die Chefin den Profit ein. Schon in der Griechenlandkrise, noch stärker jetzt in der Flüchtlingskrise agiert Merkel auf eigene Rechnung. Ob die Kalkulation aufgeht, ist zur Halbzeit völlig offen. Aber sogar ihre Gegner gestehen insgeheim ein: Selbst in der Krise ist die alte Katze aus der Uckermark bisher durch nichts und niemand zu ersetzen. Robert Birnbaum