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Dunkle Wolken über dem Parlament in Westminster.
© Christian Charisius/dpa

Britische Konservative und der Brexit: Hader, Gift und Lähmung

Das britische Unterhaus berät das wichtigste Gesetz zum EU-Austritt. Doch die latente Regierungskrise der Tories macht den Brexit-Prozess unberechenbar.

Mitten in der latenten Regierungskrise in Großbritannien hat das Unterhaus am Dienstag mit den entscheidenden Beratungen zu dem umfangreichen Überleitungsgesetz begonnen, mit dem das Land sich für die Zeit nach dem EU-Austritt rüstet. Der ganze Korpus der europäischen Gesetzgebung muss in britisches Recht umgegossen werden – eine legislative Herkulesaufgabe. Und der einzige echte Hebel für die Gegner der Regierung von Theresa May, um den Kurs der Premierministerin zu beeinflussen.

Die Gegner sitzen freilich nicht nur in den Oppositionsbänken, bei Labour, den Liberaldemokraten und der schottischen Nationalpartei. Deren Einwände und Änderungsanträge könnte die konservative Regierung abwehren – wenn sie denn einig wäre. Aber May muss in der eigenen Fraktion mit Gegnern rechnen. Und das auch noch aus zwei Richtungen. Angesichts der knappen Mehrheit – die Tories stellen nur ein von den nordirischen Unionisten gestütztes Minderheitskabinett – ist die Lage der Premierministerin alles andere als angenehm.

Bis zur Weihnachtspause muss May jetzt damit rechnen, dass das Parlament Teile des Gesetzes ändert, während parallel dazu die entscheidenden Gespräche in Brüssel um den Einstieg in die Austrittsverhandlungen laufen. Die EU hat aber gerade erst ein Ultimatum gestellt: Chefverhandler Michel Barnier will vor allem ein Zugeständnis bei den finanziellen Verpflichtungen über den Austritt hinaus – etwa bei Pensionsleistungen oder Zuschüssen für EU-Programme.

Die Brexit-Hardliner bei den Konservativen um Außenminister Boris Johnson und Umweltminister Michael Gove haben sich darauf versteift, der EU keine größeren Zugeständnisse zu machen, und halten zumindest nach außen die (tatsächlich unhaltbare) Position aufrecht, man könne auch ohne „Deal“ die EU verlassen. Sie gehen davon aus, dass die EU-Partner weich werden, wenn Großbritannien kompromisslos Härte zeigt – weil sie glauben, der Brexit schwäche allein die EU, mache aber das eigene Land stärker.

Sektiererischer Hardliner-Flügel

Diese Position hat sich auf diesem Tory-Flügel mittlerweile zur nicht mehr hinterfragten Glaubensangelegenheit verfestigt, wie es bei Sekten der Fall ist. Einer der Köpfe des Hardliner-Lagers, Jacob Rees-Mogg, empfahl jetzt gar, es gegenüber der EU mit schlichter Erpressung und Vertragsbruch zu versuchen: Sollte sich Brüssel beim angestrebten Nachfolge-Deal uneinsichtig zeigen, sollte Großbritannien seine Zahlungen in den EU-Haushalt sofort stoppen. Die EU wäre dann "praktisch insolvent", ergänzte Rees-Mogg. Die Brexit-Gegner sehen die Dinge natürlich anders, weite Teile der britischen Wirtschaft auch, ebenso die „verlassenen“ Europäer: Sie erkennen Nachteile eher auf britischer Seite.

Doch die Gefahr für die Regierung geht nicht nur von den Hardlinern aus, die schwächer sind, als ihre schrille Rhetorik nahelegen könnte. Austrittsminister David Davis hat daher ein erstes Zugeständnis in Richtung der parteieigenen Austrittsgegner gemacht, deren Politik auf eine möglichst enge wirtschaftliche Anbindung an die EU hinausläuft. Immerhin scheint die Fraktionsgruppe um die Ex-Minister Dominic Grieve, Nicky Morgan und Anna Soubry groß genug zu sein, um zusammen mit der Opposition den Kurs der Regierung ins Schlingern zu bringen.

Im Kern geht es darum, dem Parlament möglichst großen Einfluss auf die Verhandlungen zu sichern – zunächst indem eine Abstimmung über das Ergebnis der Austrittsverhandlungen Ende 2018 oder Anfang 2019 mit der EU erzwungen wird. Es soll zudem als Gesetz ins Parlament eingebracht werden. Die Regierung hat das bisher abgelehnt. Doch Davis machte ein vergiftetes Angebot: Wenn es zu dem Austrittsdeal keine Zustimmung gebe, wenn das Unterhaus noch Änderungsbedarf sehe, dann könnte Großbritannien ohne Vereinbarung aus der EU austreten müssen – das „Crash-Szenario“ also, das die Befürworter einer EU-nahen Lösung fürchten, während die Brexit- Hardliner es als problemlos darstellen. Das Angebot nach dem Motto „Fresst oder sterbt“ wird nicht zur Geschlossenheit der Konservativen beitragen.

Muss das Austrittsdatum ins Gesetz?

Den internen Streit regelrecht befeuert hat zudem eine von der Regierung kurzfristig eingebrachte Ergänzung, wonach das Austrittsdatum - der 29. März 2019, der sich aus der zweijährigen Frist nach dem offiziellen Austrittsantrag im März 2017 ergibt - nun ausdrücklich nochmals im Überleitungsgesetz verankert werden soll. Es ist offenbar ein Zugeständnis von May an die Hardliner, die fürchten, dass ohne ein solche Festlegung doch noch eine Situation entstehen könnte, in der das Austrittsdatum sich verzögert oder gar der ganze Brexit-Prozess ins Stocken kommt.

Freilich hat darauf die EU-nahe Gruppe mit Widerstand gedroht, worauf der "Daily Telegraph" die Köpfe von 15 potenziellen Tory-Rebellen am Mittwoch auf seiner ersten Seite abdruckte - mit dem Hinweis, das seien die "Meuterer", die sich mit Labour zusammenzutun wollten gegen die eigene Regierung. Der glühende Brexit-Befürworter Bill Cash bezichtigte seine Fraktionskollegen gar der "Kollaboration". Dem entgegnete der frühere Schatzkanzler Kenneth Clarke, der einzige Tory, der gegen den Austrittantrag gestimmt hat, mit triefender Ironie, das er sehr bedauere, "das Licht nicht nicht gesehen zu haben". Aber der Antrag, das Austrittsdatum nochmals gesetzlich zu verankern, sei nicht nur lächerlich und unnötig, sondern könne "dem nationalen Interesse richtig schaden".

Geldschub dank Steuerdumping

Das Sektiererische der Brexit-Hardliner - die ungefähr 50 der 315 konservativen Abgeordneten im Unterhaus stellen - zeigte sich gerade wieder in der Feststellung von Rees-Mogg, dass ein harter Brexit ohne Anbindung an die EU dem Land ab 2020 binnen fünf Jahren einen Finanzschub von 135 Milliarden Pfund bringen könne. Dahinter stehen Berechnungen einer Gruppe namens "Ökonomen für den Freihandel" um den Liverpooler Professor Patrick Minford, der in seiner Branche als obskurer Außenseiter gilt. Rees-Mogg betonte, dass der Geldschub natürlich nur komme, wenn Großbritannien über die von ihm gewünschte radikale Marktöffnung hinaus auch den Unternehmenssteuersatz auf zehn Prozent senken und die Grunderwerbsteuer abschaffe, um den Londoner Immobilienmarkt zu unterstützen.

Verbunden damit war ein Angriff auf Finanzminister Philipp Hammond, der kommende Woche den neuen Etat vorstellen will. Ihm warf Rees-Mogg vor, voreingenommen zu sein und ein pessimistisches Brexit-Szenario zu pflegen. Letztlich zielt das Begehren der "Brexiteers" darauf, ihr Land, das ohnehin schon lang ein undurchsichtiges Offshore-System betreibt, zu einer riesigen Steueroase für reiche Geldanleger aus aller Welt zu machen. Das verstehen sie unter dem Versprechen von "global Britain" nach dem EU-Austritt.

Orwellianische Drohungspolitik

Die offenbar immer tiefer gehende Spaltung der Konservativen in drei Gruppen – Soft-Brexiter, Hardliner und Abgeordnete, die der Mitte-Position von May nahestehen – ist das große Problem des ganzen Brexit-Prozesses. Was die Tories derzeit überhaupt noch zusammenhält, sind die Umfragen, nach denen bei einer vorgezogenen Neuwahl die Labour Party gewinnen könnte. In der Sache aber ist die Partei heillos zerstritten. In Europa-Dingen ist sie das seit Jahrzehnten. Mays Versuch, die Flügel auf ihren Kurs zu verpflichten, schlug fehl, als die dafür veranstaltete vorgezogene Neuwahl im Juni die Mehrheit im Unterhaus schrumpfte. Doch wagen Johnson und Gove den Putsch nicht, weil sie damit die Partei unweigerlich zerreißen würden und der Machtverlust droht. Stattdessen treiben sie eine Politik der permanenten Drohung gegen May, zuletzt mit einem Papier, das wegen seiner Wortwahl schnell mit dem Begriff "orwellianisch" etikettiert wurde - weil es nicht offen sagte, was es meinte, nämlich ebenfalls ein "friss oder stirb".

Zum Kompromiss sind die Hardliner aber nicht fähig. So schleppen sich die Tories weiterhin durch ihre lähmende Regierungskrise, die letztlich die Verhandlungen für die EU-Partner recht einfach machen kann: Sie werden einer zunehmend verhandlungsunfähigen britischen Regierung ihre eigenen Positionen umso stärker aufzwingen, je näher das von London verkündete Austrittsdatum am 29. März 2019 rückt. Erst recht, wenn es gesetzlich festgelegt wird.

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