Showdown in der Kalkscheune: Habeck liest den Grünen die Leviten
Bei der letzten Veranstaltung der zur innerparteilichen Wahl stehenden Spitzenkandidaten werden die Kontrahenten laut. Habeck wird scharf. Und Hofreiter platzt in Berlin der Kragen.
Es geht hoch her in der Kalkscheune: Die Grünen haben am Samstag zur Befragung der vier Bewerber um die beiden Posten der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl geladen. Die beiden Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter sowie Parteichef Cem Özdemir und der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck bauen sich hinter Stehtischen auf. Alle vier lächeln etwas gezwungen in die Kameras, deren Aufzeichnungen via Internet theoretisch jedes der rund 60.000 Grünen-Mitglieder sehen kann. Sie sollen noch in diesem Monat per Urwahl entscheiden, welche beiden Politiker die Partei in den Bundestagswahlkampf führen dürfen.
Im Eingangsstatement sagen Göring-Eckardt, Hofreiter und Özdemir zunächst Unverfängliches: Die Fraktionsvorsitzende warnt etwa vor Egotrips, Özdemir und Hofreiter beschwören nach dem Berliner Weihnachtsmarkt-Anschlag das hohe Gut der Sicherheit, dem aber nicht die Bürgerrechte geopfert werden dürften.
Habeck startet einen Frontalangriff
Dann ist Habeck dran, der als nicht ständiges Mitglied des Berliner Polit-Betriebes eine Außenseiterposition einnimmt. "Keiner will mehr mit uns koalieren, wir sind in den Umfragen im Sinkflug begriffen und je schlechter es wird, umso mehr reden wir darüber, welche Posten irgendwelche Leute bekommen", sagt er mit schneller, nervöser Stimme. Die Grünen seien behäbig geworden und reagierten nicht auf neue politische Entwicklungen. "Wenn wir immer nur glauben, wir gewinnen nur, weil gerade ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt oder wenn gerade eitel Sonnenschein ist, dann sind wir keine politische Partei."
Dann setzt der 47-Jährige zum Frontalangriff auf seine Kontrahenten an: "Sie (die Partei) hat es nicht verdient, mit einer zerstrittenen Führung, mit einer schlechten Aufstellung in eine Wahl geführt zu werden." Die Grünen dürften sich bei der Wahl nicht auf ihre ohnehin sicheren Stammwähler beschränken. "Wir müssen größer denken." Die Flügelkämpfe zwischen Realos und Partei-Linken seien Gift für den Wahlkampf. Und er verspricht: "Ich will dafür sorgen, dass wir bei der Bundestagswahl eine Aufstellung finden, die uns nicht bei neun Prozent verrecken lässt."
Bis zum 13. Januar können die Parteimitglieder ihre Stimme abgeben
Seit Monaten tingelt das Bewerberquartett durch die Bundesrepublik und präsentiert sich dem Parteivolk. In der Berliner Kalkscheune kommt es zum letzten Aufeinandertreffen. Bis zum 13. Januar können die Parteimitglieder ihre Stimme abgeben. Bislang hat knapp die Hälfte per Briefwahl votiert.
Während der Kampf-Rede Habecks setzen Göring-Eckardt, Özdemir und Hofreiter konzentrierte Mienen auf, nur manchmal blitzt Erstaunen und Ärger auf. In der folgenden Fragerunde beschwören dann alle vier grünes Gedankengut. Göring-Eckardt redet etwa von Inklusion, Hofreiter von sicheren Herkunftsstaaten, Özdemir von der Eigenständigkeit der Grünen, Habeck von der Europa-Politik und alle vier vom Klimaschutz.
Den Männern ist immer wieder Nervosität anzumerken. Habeck verhaspelt sich, Hofreiter wird laut. Als Özdemir gefragt wird, wie er zu den Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise stehe, warnt er vor Einschränkung der Presse und Opposition in Ungarn.
"Was würdest Du rückblickend anders machen?"
Es ist dann wieder Habeck, der Schärfe in die Runde bringt. Er fragt Hofreiter, welchen Job Jürgen Trittin in der nächsten Bundesregierung haben soll. Trittin ist die graue Eminenz des linken Flügels bei den Grünen. Obwohl der ebenfalls linke Hofreiter vor knapp vier Jahren die Nachfolge Trittins an der Spitze der Fraktion angetreten hat, hat er es nach Ansicht vieler Parteimitglieder bis heute nicht geschafft, aus dessen Schatten herauszutreten.
Erregt antwortet Hofreiter, es gehe um Inhalte, um den ökologischen Wandel. Immer stärker prägt sein bayerischer Akzent seine Rede. "Ganz zum Schluss diskutieren wir darüber, welchen Posten wer kriegt", sagt er und seiner Stimme ist der Ärger anzuhören. Habeck setzt betont ruhig nach: "Das haben wir ja alle schon gesagt, Toni. Trotzdem sind wir jetzt bei neun Prozent. Was würdest Du rückblickend auf das letzte Jahr anders machen mit der Hoffnung, dass wir jetzt nicht bei neun Prozent wären?"
Hofreiter platzt der Kragen: "Was ich mir richtig wünschen würde, dass einfach die Zusammenarbeit besser klappen würde." Dann wird seine Stimme sehr laut: "Dass sich jeder Einzelne überlegen würde: Muss ich wirklich in jede Kamera jedes Zeug reinreden, bloß weil sie mir ein Mikrofon vor die Nase halten." Er atmet durch und schließt: "Und wir wollen hier keine Namen nennen, aber mir fallen Leute auf Bundes- und auf Landesebene ein."
Göring-Eckert kann dabei nicht verlieren
Als Göring-Eckert dran ist, einem ihrer drei Mitbewerber eine Frage zu stellen, fordert sie Habeck auf, in den nächsten drei Minuten ausschließlich positiv über die Grünen zu reden. Ihr ist kaum Nervosität anzumerken. Die 50-Jährige hat auch kaum etwas zu verlieren. Da die Grünen-Statuten mindestens eine Frau als Spitzenkandidatin vorsehen, ist ihr der Job in der Wahlkampfspitze so gut wie sicher. Als sie gefragt wird, was sie tun will, damit bei künftigen Personalentscheidungen mehr weibliche Bewerber zur Auswahl stehen, verspricht sie: "Es ist mir ein zentrales Anliegen, dass Frauen sich trauen." (Reuters)
Hans-Edzard Busemann