Grünen-Parteitag in Berlin: Habeck baut den ganz großen Rahmen
Robert Habeck findet langsam zu alter Form zurück und erklärt Politik gut wie kaum ein anderer. Nebenbei buchstabiert er den Konservatismus neu. Ein Kommentar.
Robert Habeck, der Mann fürs große Ganze - darin findet er offenkundig seine Rolle. Mag es ihn auch sehr getroffen haben, dass er nach Jahren der Anstrengung im Bundesvorsitz nicht Kanzlerkandidat geworden ist, mag er sich über manche Nicklichkeiten geärgert haben, er weiß schon, dass nicht die Zeit ist für Aufrechnungen.
Wenn je, dann in Memoiren zum Ende seines Politikerlebens. Was ja noch lange nicht ansteht.
Wie Habeck jetzt auf der Bundesdelegiertenkonferenz die Streitthemen abgeräumt hat, das hatte was. Es war ein Hinweis auf Selbstreflektion. Nicht mit Klein-klein kam der Co-Vorsitzende, sondern indem er dem Ganzen und damit seiner Partei einen großen Rahmen zog.
Sehen Sie hier Habecks Rede auf dem Grünenparteitag im Video:
Zum Beispiel Klimaschutzpolitik und Gerechtigkeitspolitik zu verbinden, als zwei Seiten einer Medaille gewissermaßen, dazu der Hinweis, dass alles zusammengenommen Freiheitspolitik ist, diese Dialektik hätte ein, sagen wir, Heiner Geißler als CDU-Generalsekretär nicht besser hingekriegt. Da wird nebenbei Konservativismus neu buchstabiert.
Kein Wunder, dass Winfried Kretschmann, der einzige grüne Ministerpräsident, Habeck gerne ganz vorne gesehen hätte. Aber das verkennt, wie die Grünen inzwischen das Regieren anpeilen: jede:r an seinem Platz.
[Mehr zum Thema: An dieser Stelle berichten wir live vom Parteitag der Grünen in Berlin]
Eine Partei, die den Feminismus in ihrer DNA trägt, seit Gründung, wird sich selbstverständlich bei einer (Aus-)Wahl für die Frau an der Spitze entscheiden.
Anderes könnte sie nicht mit sich vereinbaren; es würde ihr auch von ihren Anhänger:innen übel genommen. Zumal Habeck genügend Fehler in der Kommunikation politischer Sachverhalte unterliefen.
Nun aber findet er zu seiner Stärke (zurück), vielleicht genau deshalb, weil er nicht die Nummer 1 ist, sondern die 1b. Er ist freier, kann sich besinnen auf seine Art, die über Parteigrenzen hinweg sehr gut ankommt; man denke nur an die Elogen des FDP-Granden Wolfgang Kubicki.
Erklären, einzuordnen, darum geht es in der Politik ja nicht zuletzt.
[Lesen Sie hier "Ausgleich für höhere CO2-Preise: Baerbock würde Prenzlauer Berg zur Kasse bitten" (T+)]
Und weil Habeck Doktor der Philosophie ist: Sage ungewöhnliche Dinge mit gewöhnlichen Worten, wusste Arthur Schopenhauer. Für den Kampf um Regierungsmacht allerdings muss das natürlich überwölbt werden.
Es gewinnt am ehesten, wer die Sympathien der eigenen Leute bindet und die dann verbindet mit „Tariffähigkeit“, wie Gerhard Schröder das immer nannte, am besten in jeder Hinsicht: mit Wissen im Detail und nötiger Härte in der Auseinandersetzung, nach innen wie nach außen.
Die beweist Annalena Baerbock gerade aufs Neue. Das leise Weinerliche, das ihrem Co vorgeworfen worden war, ist ihre Sache nicht.
Sie weiß und kann es auf den Punkt bringen, dass die Grünen etwa nur einen Cent mehr aufs Benzin aufschlagen wollen als die Bundesregierung und dass diese Steigerung durch ein Energiegeld für Geringerverdienende ausgeglichen werden soll. So geht also darum, dass am Ende jede:r seine Rolle findet. Gut, wenn das deutlich wird.