Parteitag in Münster: Grüne streiten über Gastauftritt von Daimler-Chef Zetsche
Cem Özdemir appelliert beim Auftritt des Daimler-Chefs Dieter Zetsche ans Selbstbewusstsein seiner Partei. Doch für manche bleibt der Auftritt eine Provokation.
Drei Tage Parteitagsdebatten haben die Grünen hinter sich, da kommt noch einmal Stimmung auf. Der Vorsitzende Cem Özdemir soll den umstrittenen Gast vorstellen, dem einige Delegierte am liebsten den Zutritt zur Messehalle verwehrt hätten. Daimler-Chef Dieter Zetsche ist als Gastredner eingeladen, zum Tagesordnungspunkt Verkehrs- und Klimapolitik.
Özdemir ergreift die Gelegenheit für einen flammenden Appell an seine Partei. „Also liebe Leute“, ruft er in den Saal, „ist es nicht ein Kompliment, dass einer der wichtigsten Konzernlenker der Autobranche zu den Grünen kommt und nicht zu den anderen Parteien, wenn es um die Zukunft der Automobilbranche in Deutschland geht?“ Özdemir wird immer lauter: „Etwas mehr Rückgrat, etwas mehr Selbstbewusstsein“, ruft er den Delegierten zu. Und weiter: „Woher kommt diese Angst?“ Mit Angst könne man keine Wahlen gewinne, und mit Angst verändere man die Republik nicht.
Es ist ein kurzer Ausbruch. Doch es gelingt Özdemir, zum Ende des Parteitags den Saal noch einmal aufzurütteln. Für seine leidenschaftlichen Worte erhält er Standing Ovations. Vermutlich auch, weil er das Gefühl vieler Grüner trifft, die endlich mal wieder selbstbewusst aus einer Debatte herausgehen wollen.
Auf ihrem Parteitag beschließen die Grünen den Ausstieg aus dem klimaschädlichen Verbrennungsmotor. Ab 2030 sollen keine Neuwagen mehr mit Diesel- oder Benzinmotor zugelassen werden. „Wir haben gesehen, welche Wellen es geschlagen hat, als wir die Zahl 2030 genannt haben“, sagt Özdemir. „Wir brauchen wieder mehr Visionen“, mahnt er seine Partei. Klimaschutz sei für die Grünen nicht verhandelbar. In der Auseinandersetzung mit Zetsche gehe es um die Frage, ob die Daimler AG „vor allem Teil des Problems“ sei oder ob sie auch „Teil der Lösung“ sein wolle. Ihm gehe es darum, die Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten, aber gleichzeitig auch die Bürger vor Feinstaubbelastungen zu schützen.
Für die Grüne Jugend bleibt Zetsches Auftritt eine Provokation. Als der Daimler-Chef die Bühne betritt, stellen sich Vertreter der Jugendorganisation davor, mit aufgeklebten Zetsche-Schnurrbärten und Transparenten, auf denen steht: „Rüstungsexporte für das Bruttoinlandsprodukt.“ Auch während seiner Rede ist immer mal wieder Gemurre zu hören. Zu ernsthaften Störungen kommt es aber während des Auftritts nicht.
Dieter Zetsche bedankt sich für das "Dialogangebot" der Grünen
Zetsche selbst versucht es mit einer Mischung aus Umarmungsstrategie und dem Werben um Verständnis. „Ich bin nicht gekommen, um diese Bühne für eine Werbeshow zu nutzen“, beteuert er zu Beginn und bedankt sich für das „Dialogangebot“ der Grünen. Wenn heftig gestritten werde, ob man miteinander reden dürfe, sei das der beste Beleg dafür, dass man das tun müsse. Die größte Gefahr für die Autobranche wäre „das Festhalten am Status Quo“, kommt Zetsche den Grünen entgegen und versichert, auch die Autoindustrie werde ihren Beitrag dazu leisten, die klimaschädlichen Emissionen zu senken. Doch spätestens als er betont, das emissionsfreie Auto sei bereits „Kern“ der Unternehmensstrategie, geht ein protestierendes Murmeln durch den Saal. Vereinzelte Buhrufe gibt es, als Zetsche behauptet, Daimler habe „keine Lobby-Maschinerie“.
Bei den Grünen stören sich viele auch am Rüstungsgeschäft des Daimler-Konzerns. „Eine halbe Milliarde Umsatz mit Militärfahrzeugen ist immer noch 500 Millionen zu viel“, rügt Parteichefin Simone Peter. Die Grünen würden es nicht akzeptieren, dass Daimler Militärfahrzeuge „in menschenrechtsverletzende Staaten und Kriegs- und Krisengebiete“ liefere, sagt die Parteilinke.
Unter den Delegierten sind ohnehin viele eher geneigt, dem Chef der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, Glauben zu schenken, der in seiner Gastrede den Einfluss von Zetsche und anderen Autobossen heftig kritisierte. „Die regieren in Deutschland durch und diktieren der Bundesregierung Gesetze“, sagt Resch. Von den Grünen wünsche er sich „mehr Kampfesgeist“, fordert er. Natürlich müsse man miteinander reden. „Aber es darf kein Zweifel daran bestehen, dass Recht und Gesetz auch für Konzerne gilt und nicht nur für den Bürger, der beim Falschparken eine Ordnungswidrigkeit begeht“, sagt Resch.
In ihrem Beschluss zur Klima- und Verkehrspolitik sprechen sich die Grünen außerdem für einen Kohleausstieg bis 2025 aus. Ursprünglich hatte der Bundesvorstand das Jahr 2035 als Ausstiegsdatum für die Braunkohle genannt – doch der Mehrheit der Delegierten war das nicht ehrgeizig genug.