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Parteichef Özdemir wirft die Frage auf, ob auch seine Partei einen anderen Umgang mit den Menschen brauche, die sich rechtspopulistischen Bewegungen zugewandt haben.
© dpa

Grünen-Parteitag in Münster: Özdemir fordert neuen Umgang mit Rechtspopulisten

Die US-Wahl war auch auf dem Grünen-Parteitag das beherrschende Thema. Außerdem ging es um "Überzeugungskraft liberalen Denkens" und "Selbstbezogenheit progressiver Eliten“.

Donald Trump hatte das Rennen um die US-Präsidentschaft noch nicht gewonnen, als die Anträge für den Parteitag geschrieben wurden. Doch als die Grünen am Freitagnachmittag in Münster, nur drei Tage nach der US-Wahl, mit ihren Beratungen beginnen, gibt es erst einmal kein anderes Thema. Der Wahlausgang mache sie depressiv, sagt eine Rednerin. „Ich habe meiner Tochter erklären müssen, dass etwas Schlimmes passiert ist“, klagt eine andere. Doch Parteichef Cem Ödzemir mahnt, die Antwort auf die US-Wahl dürfe nicht Resignation sein. „Wir ziehen uns nicht ins Schneckenhaus zurück. Wir kämpfen weiter für eine gerechtere Welt“, kündigt Özdemir an.

„Wir bleiben unbequem“, steht in großen Buchstaben an der Wand hinter der Parteitagsbühne. Es ist die Botschaft, welche die Grünen an diesem Wochenende von ihrem Parteitag aussenden wollen. Eine vieldeutige Botschaft, wie manch einer in der Partei findet. „Unbequem auch uns selbst gegenüber?“ fragt eine Bundestagsabgeordnete.

„Krise der Überzeugungskraft liberalen Denkens“

Parteichef Özdemir macht jedenfalls am Freitag den Anfang. Er wirft die Frage auf, ob auch seine Partei einen anderen Umgang mit den Menschen brauche, die sich rechtspopulistischen Bewegungen zugewandt haben. Bei den letzten Wahlen hatten die Grünen für sich in Anspruch genommen, der Gegenpol zur AfD zu sein. Doch die Strategie, sich lautstark als die einzige Partei mit klarer Kante gegen die Rechtspopulisten zu präsentieren, hatte nur begrenzt Erfolg.

Derzeit erlebe man eine „Krise der Überzeugungskraft liberalen Denkens“, in den USA genauso wie in Europa, analysiert Özdemir. Auch hier gebe es „Rechtsdemagogen“ wie den ungarischen Ministerpräsidenten Orban und den türkischen Präsidenten Erdogan. In Frankreich könnten Marine Le Pen und in Österreich Manfred Hofer hinzukommen. Man müsse sich mit den rechtspopulistischen Parteien „ohne Schaum vor dem Mund“ auseinandersetzen, fordert Özdemir. Die Menschen, die sich durch die Globalisierung überfordert fühlten, erreiche man nicht, wenn man ihnen sage: „Pech gehabt, die Welt ist nun mal so, passt euch an“. Die Spaltung in der Gesellschaft könne man nur überwinden, „wenn wir rethorisch nicht weiter spalten wie die Trumps und Le Pens dieser Welt.“

Noch vor einigen Wochen hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Partei einen Sturm der Entrüstung provoziert, als er mahnte, der Aufstieg der AfD sei auch für die Grünen ein Anlass zur Selbstkritik. In einem Aufsatz für die „Zeit“ hatte er seine Partei aufgefordert, „das Moralisieren“ zu lassen und Politik „ohne Besserwisser-Gestus“ zu machen. Sein Plädoyer, man müsse deutlich machen, dass die neuen Freiheiten in der Lebensgestaltung „ein Angebot und keine Vorgabe“ seien, war für viele eine Provokation.

"Problem der Selbstbezogenheit der progressiven Eliten“

Doch ähnlich argumentiert nun auf dem Parteitag einer, der den US-Wahlkampf hautnah mitbekommen hat. Bastian Hermisson leitet das Büro der grün-nahen Heinrich Böll-Stiftung in Washington. Es gebe „ein Problem der Selbstbezogenheit der progressiven Eliten“, zu denen auch viele Grüne gehörten, konstatiert Hermisson. Viele Trump-Wähler in den USA gehörten ökonomisch zur Mittelschicht, würden aber von der progressiven Elite als kulturelle Unterschicht bezeichnet. „Diese Schicht hat angefangen, ihren eigenen Stolz zu entwickeln“, berichtet Hermisson. Es sei nicht hilfreich, auf diese Menschen mitleidig herabzuschauen und das Gefühl zu haben, ohnehin die besseren Argumente zu haben. „Wir müssen raus aus der Blase“, forderte Hermisson. Die Grünen sollten „den Duktus der moralischen Überlegenheit“ ablegen. „Wir müssen erklären, zuhören und Kontakt zu Andersgesinnten suchen“. Nachdenkliche Worte, für die er auf dem Parteitag Applaus bekommt.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter stellt solche Ausgrenzungstendenzen auch in Deutschland fest. In Teilen der Gesellschaft gebe es eine „Verachtung der Arbeiterschaft“, der zum Aufstieg der AfD beigetragen habe, sagt er. Einen Teil des Erfolgs der Rechtspopulisten führt der bayerische Grünen-Politiker aber auch auf das Gefühl zurück, „die da oben“ könnten sich immer aus der Affäre ziehen. Auch deshalb wirbt Hofreiter dafür, dass die Grünen sich für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer stark machen sollen. Doch das steht erst am Samstag auf der Tagesordnung.

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