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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht bei der Belastbarkeit von Kommunen durch die Aufnahme von Flüchtlingen "faktische Grenzen".
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Update

Nach de Maizière-Kritik an Flüchtlingen: Grüne fordern kultursensible Schlichter

Richtungswechsel in der Regierung: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kritisiert Flüchtlinge, Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sieht "faktische Grenzen".

Die Bundesregierung macht rhetorisch kehrt. Ging es, in den Worten von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) anfangs darum, dass Deutschland in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigt, mehren sich nun die Stimmen, die vor einer Überlastung warnen - und deutliche Worte der Kritik an die Flüchtlinge richten. Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht nach eigenen Worten bei der Belastbarkeit von Kommunen durch die Aufnahme von Flüchtlingen "faktische Grenzen". Viele Orte in Deutschland seien "bereits überfordert", sagte Gabriel am Freitag "Spiegel online". "Wir nähern uns in Deutschland mit rasanter Geschwindigkeit den Grenzen unserer Möglichkeiten." Das Asylrecht kenne natürlich keine Obergrenze, "aber bei der Belastbarkeit der Städte und Gemeinden gibt es faktische Grenzen".

Ähnlich äußerte sich SPD-Vizefraktionschef Axel Schäfer. "Wir sind am Limit", sagte Schäfer der "Süddeutschen Zeitung". "Die EU-Außengrenzen müssen möglichst dicht gemacht, das heißt gesichert und kontrolliert werden." Alle europäischen Länder müssten für diesen "Kraftakt" zusammenarbeiten. "Eine ungesteuerte Zuwanderung wird sonst für Flüchtlinge, Behörden und die Bevölkerung nicht mehr tragbar", zeigte sich der SPD-Politiker überzeugt. Damit machten sich die SPD-Politiker eine Position von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zu eigen. De Maizière hatte zuvor europaweite Kontingente und eine Obergrenze gefordert.
Gabriel sprach sich auch für eine offene Auseinandersetzung mit Problemen und Ängsten in der Bevölkerung aus. "Es darf kein Klima geben, in dem jeder, der sich Sorgen macht, gleich als ausländerfeindlich oder rechtsradikal gilt", sagte Gabriel. Rechtsradikalen und Rechtspopulisten dürfe kein Raum gegeben werden. Diese versuchten, sich Ängste zunutze zu machen. "Das wird ihnen aber nicht gelingen, wenn wir auch über die Probleme offen reden."

De Maizière kritisiert: "Sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt"

Thomas de Maizière (CDU) sieht die große Zahl unregistrierter Flüchtlinge in Deutschland als "ernstes" Problem. Im ZDF sagte der CDU-Politiker am Donnerstagabend: "Bis zum Sommer waren die Flüchtlinge dankbar bei uns zu sein. Sie haben gefragt, wo ist die Polizei, wo ist das Bundesamt. Wo verteilt Ihr uns hin." Das habe sich seither geändert.

"Jetzt gibt es schon viele Flüchtlinge, die glauben, sie können sich selbst irgendwohin zuweisen", führte der Minister aus. "Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen." Es müsse aber klar gesagt werden, dass von den Asylsuchenden eine "Ankommenskultur" verlangt werde.

Dies sei zwar noch eine Minderheit, räumte de Maizière ein. "Aber da müssen wir klar sagen, wer hier nach Deutschland kommt (...) der muss sich dahin verteilen lassen, wohin wir ihn bringen, sich einem fairen Verfahren unterstellen und unsere Rechtsordnung anerkennen."

Auf die Frage, ob Deutschland an der Grenze des Machbaren angelangt sei, antwortete der Minister: "Wir schaffen das nicht ohne weiteres - das ist schon eine große Anstrengung."

Grünen-Politikerin Amtsberg fordert Schlichter in den Flüchtlingsunterkünften

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg forderte Innenminister de Maizière auf, konkrete Lösungen für Probleme bei der Flüchtlingsaufnahme vorzulegen. "Statt den Kritikern der Asylpolitik das Wort zu reden und Versagensängste zu verbreiten, sollte er alle Hebel in Bewegung setzen, um das System zu verbessern", sagte Amtsberg dem Tagesspiegel. Natürlich müsse Gewalt in den Flüchtlingsunterkünften zwingend verhindert werden. "Hierfür braucht es kultursensible Schlichter mit Sprachkompetenzen, eine zügige Verteilung in die Kommunen und eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt", forderte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Es sei "ignorant", Flüchtlingen Fehlverhalten vorzuwerfen, wenn sie sich innerhalb Deutschlands selbstständig auf den Weg machten. Denn dies sei allzuhäufig die Reaktion auf lange Wartezeiten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die prekären Lebensverhältnissen innerhalb der Unterkünfte, sagte Amtsberg weiter.

Innenminister Thomas de Maizière.
Innenminister Thomas de Maizière.
© AFP

Berliner Grüne: Behörden versagen

Auch die flüchtlingspolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Canan Bayram, kritisierte die Äußerungen De Maizières: „Es kann nicht sein, dass man die Flüchtlinge zu Monstern erklärt, während gleichzeitig die eigenen Ämter versagen.“ Das Bundesamt für Migration und Flucht, das De Maizière unterstellt ist, komme mit der Bearbeitung der Fälle nicht hinterher, die Flüchtlinge würden deshalb monatelang im Ungewissen leben. „Diese Unsicherheit verursacht seelische Belastungen, und das kann dann auch zu Aggressionen führen", sagte Bayram

Die Grünenpolitikerin forderte zudem, dass Integrationskurse viel früher stattfinden müssten: „Orientierungskurse sollte es in jeder Unterkunft geben, und zwar vom ersten Tag an, und nicht erst, wenn der Antrag bewilligt worden ist. Nur wenn die Flüchtlinge die Regeln unseres Zusammenlebens kennenlernen, können sie diese auch einhalten.“  

Dass Flüchtlinge auch gegen Bedingungen in Unterkünften protestieren, sei ihr gutes Recht: „Das muss in einer Demokratie selbstverständlich möglich sein.“ (dpa/svo/ce)

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