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Angela Merkel: „Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“
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Angela Merkel: Sie musste es einfach sagen

"Dann ist das nicht mein Land" - so offen war Angela Merkel noch nie. Es war situativ, es war intuitiv, dass ihr dieser Satz von den Lippen sprang. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es gibt Sätze, die bleiben. Sätze, die nicht mehr weggehen, nie mehr. Wie dieser. „Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

Angela Merkel ist ins Offene gegangen, wie es ihr Michael Schindhelm anempfohlen hatte; Schindhelm, der heute Kulturberater ist und früher mit ihr in der Abteilung Theoretische Chemie der Akademie der Wissenschaften das Büro teilte. So offen war sie noch nie. Es war situativ, es war intuitiv, dass ihr dieser Satz von den Lippen sprang. Sie musste ihn einfach sagen, einfach ganz ehrlich.

Ja, akademisch ist heute nichts mehr, und die Kanzlerin ist von höchst praktischen Fragen umstellt. Die Bevölkerung und sie haben doch offenkundig die richtige Chemie. Wie sagte Merkel noch zu den Bildern, wie Geflüchtete in Deutschland willkommen geheißen werden und wie sie Hilfe erfahren: „Das kam aus den Herzen der Menschen.“ So auch ihr.

Mensch Merkel. Da gibt es jetzt keine Tapetentür mehr, durch die sie noch entweichen könnte. Das ist jetzt der Punkt in ihrer Kanzlerschaft, an dem jede Prinzipienfreiheit am Ende angelangt ist. Er ist noch in jeder Kanzlerschaft gekommen, Denken wir nur an Gerhard Schröder, der für ein Prinzip, die Agenda, stand – und fiel. Ob richtig oder falsch, er stand für das Prinzip – und fiel. Schröder setzte alles ein, seine Partei und sich, verlor danach alle Wahlen und die Macht. Merkel setzt alles ein, und vielleicht gewinnt sie mehr als großen Respekt.

Sie hat die Dimension erkannt

Anders als Schröder aber folgt Merkel mit ihrer Entscheidung den Menschen. So viele haben sich entschieden – und entscheiden sich noch –, haupt- und ehrenamtlich zu helfen. Die Mehrheit muss nicht überzeugt werden, wie es zugehen soll in diesem Land: human, freundlich, großherzig. Und dort, wo diese Menschen sind, findet Merkel ihr Land.

Sie hat die Dimension erkannt, gerade noch rechtzeitig, wie manche sagen. Sie hat sie auch erkannt, weil es um sie herum immer wieder Menschen gibt, die Dimensionen der Politik erkennen. Und sie entsprechend benennen. Der Erste war, wie in der Griechenland-Europa-Krise, Wolfgang Schäuble. Er hat öffentlich dieser humanitären Herausforderung alles untergeordnet, hat erklärt, dass sie bleiben und nicht gehen wird.

Schäuble wird es auch wieder mit ihr richten müssen. Denn wahr ist, Hand aufs Herz: Es ist eine bisher nie da gewesene Herausforderung. Finanziell wie administrativ. Eine Milliarde Euro ist gegenwärtig in den Ländern für die Hilfe nötig, sagt Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke. Eine Milliarde pro Monat! Und der Bund beteiligt sich daran mit drei bis vier Prozent. Das reicht bei Weitem nicht. Der Bund, sagt Merkel, bietet außerdem 40 000 Erstaufnahmeplätze – bei mehr als einer Million Flüchtlinge, mit der inzwischen in diesem Jahr zu rechnen ist, ist das viel zu wenig.

Es bleibt noch so viel zu tun. Die Bundesländer brauchen Koordination, der Bund ebenso, und es muss Hand in Hand gehen, schneller als bisher. Wir schaffen das? Die Kanzlerin hat sich entschieden: Sie will es schaffen. Unter allen Umständen, unter allen Bedingungen. Soll sie keiner falsch verstehen, nicht in der CSU und auch nicht in ihrer CDU: Hierfür steht sie, und sie will nicht anders.

Wer es anders will – ohne sie.

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