Parteitag in Hamburg: Grüne feiern Winfried Kretschmann
Sein Auftritt war als Gang nach Canossa angekündigt worden, doch Winfried Kretschmann konnte bei seiner Rede zum Thema Flüchtlinge beim Bundesparteitag in Hamburg überzeugen.
Manch einer hatte die große Abrechnung erwartet. Doch am Ende erhält der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der sich an diesem Nachmittag vor seiner Partei für die Zustimmung zum Asylkompromiss im Bundesrat rechtfertigen muss, sogar Standing Ovations. „Wir haben substanzielle Verbesserungen für die Flüchtlinge erreicht“, ruft Kretschmann den Delegierten auf dem Grünen-Parteitag in Hamburg zu. Die Hälfte der Flüchtlinge, die in Deutschland seien, dürften jetzt arbeiten. „Das ist enorm wichtig für das Selbstwertgefühl der Leute, dass sie hier arbeiten können und dürfen“, sagt Kretschmann.
Doch nicht alle können Kretschmanns Alleingang aus dem September auch etwas Gutes abgewinnen. Als der Ministerpräsident ans Rednerpult tritt, postiert sich die Vorsitzende der Grünen Jugend, Theresa Kalmer, mit mehreren Mitstreitern vor der Bühne. „Asylpolitik ist ein Menschenrecht“, steht auf einem der Plakate, das die Nachwuchspolitiker trotzig hoch halten, „Asylpolitik ohne Kompromisse“ auf einem anderen. Für einen Moment verschlägt es Kretschmann die Sprache, die beiden Parteivorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir stellen sich demonstrativ neben ihn. „Bei diesem Kompromiss sind rote Linien auf jeden Fall überschritten worden“, sagt die Grüne Jugend-Vertreterin Kalmer wenig später.
Mit der Entscheidung, sich auf einen Kompromiss in der Asylpolitik einzulassen, hatte Kretschmann Teile seiner Partei gegen sich aufgebracht. Ex-Parteichefin Claudia Roth sprach von einem „rabenschwarzen Tag“ für Flüchtlinge, der Bundestagsabgeordnete Volker Beck warf Kretschmann vor, das Asylrecht „für einen Appel und ein Ei“ verdealt zu haben.
Mit den Gesetzesänderungen wurden die Balkanstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft, in die Flüchtlinge leichter abgeschoben werden können. Im Gegenzug gab es aber auch Verbesserungen für Flüchtlinge. Diese können künftig leichter Arbeit aufnehmen und sich innerhalb Deutschlands freier bewegen, außerdem erhalten sie Bargeld anstelle von Sachleistungen. Als einziges der sieben grün-regierten Ländern hatte Baden-Württemberg den Gesetzesänderungen zugestimmt.
Die Grüne Jugend konstatiert einen "historischen Bruch"
Kretschmann wirbt an diesem Nachmittag bei den Delegierten für Verständnis. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen benötige man auch die Empathie der Bevölkerung, sagt er. „Als Ministerpräsident kann ich nicht auf Polarisierung gehen, ich brauche Konsens“, ermahnt Kretschmann die Delegierten. Der Applaus ist ihm spätestens dann sicher, als er auf die Anstrengungen seines Bundeslands verweist. Baden-Württemberg will über die festgelegten Kontingente hinaus 1000 zusätzliche Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen. „Als wirtschaftsstarkes Land haben wir eine besondere humanitäre Verpflichtung“, sagt er.
Doch für die Grüne Jugend ist der Kompromiss nach wie vor„ein historischer Bruch in der grünen Flüchtlingspolitik“. Es werde unterschieden in Flüchtlinge „erster und zweiter Klasse“, kritisiert Kalmer mit Blick auf die Diskriminierung der Sinti und Roma in den Balkanstaaten. Sie beklagt außerdem, dass die Grünen Glaubwürdigkeit bei den Flüchtlingsinitiativen verloren hätten.
Doch auch wenn einzelne Delegierte „eine klare Distanzierung“ von Kretschmann verlangen, überwiegen die nachdenklichen Töne. Die Abwägung zwischen den Verbesserungen im Asylrecht und den Verschlechterungen sei schwierig, sagt Ska Keller, die sich im Europaparlament für Flüchtlingspolitik einsetzt. Grünen-Chefin Peter sagt gleich zu Beginn, die Partei könne und müsse unterschiedliche Bewertungen aushalten. Und der Hamburger Grünen-Politiker Jo Müller findet den Vorwurf, dass Kretschmann nicht verantwortungsbewusst gehandelt habe, nicht vertretbar. Angesichts der massiven Kritik an dem Ministerpräsidenten fordert Müller mehr Respekt im Umgang miteinander. Seine Parteifreunde ermahnt er: „So geht es nicht.“