Mehr Tauschbörsen, weniger Enteignungen: Grüne beschließen Wohn-Programm mit vielen juristischen Fallstricken
Die Grünen stehen vor einem schwierigen Balance-Akt. Wie kann man sein linkes Profil halten und trotzdem für die CDU als Koalitionspartner interessant bleiben?
Am Ende muss Robert Habeck persönlich eingreifen - der Parteichef will die Grünen schließlich regierungsfähig machen, auch alle Türen zur Union offenhalten. Da wäre der Änderungsantrag des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg Gift.
Die dortigen Grünen wollen eine Enteignung großer Wohnungskonzerne, „wenn es für die Einhaltung des Gemeinwohls erforderlich ist“. Sprich wenn die Mieten zu hoch sind und Menschen sich die Wohnungen nicht mehr leisten können. Eine solche Vergesellschaftung sei ein „krasser Eingriff in die Eigentumsverhältnisse“, sagt Habeck beim Parteitag in Bielefeld zu den rund 800 Delegierten. Das Signal „Bauen lohnt sich nicht mehr“ dürfe nicht vom Parteitag ausgehen. Eine Vergesellschaftung sei „ein scharfes Schwert, es darf nicht durch dauerhafte Benutzung stumpf gemacht werden“, sagt. Am Ende wird der Antrag abgelehnt.
Es ist ein bewusstes Signal der Grünen, nicht das Klimathema an den Anfang der 44. Bundesdelegiertenkonferenz zu setzen und wie man sich im Bundesrat zu den Beschlüssen der großen Koalition und zum bis 2038 geplanten Kohleausstieg verhalten soll. Sondern das Wohnen als eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Und so beschließen die Grünen ein Programm, das viel verspricht, aber auch viele juristische Fallstricke enthält.
Ein Recht auf Wohnen soll ins Grundgesetz aufgenommen werden, zudem soll es ein Recht auf Wohnungstausch und notfalls auch Enteignungen geben, wenn zum Beispiel Bauland wegen der Spekulation auf weiter steigende Preise nicht schnell bebaut wird. Aber eben nicht so ohne weiteres Enteignungen von Wohnungskonzernen mit milliardenschweren Entschädigungen, um die Wohnungen zu vergesellschaften, wie es eine Initiative für einen Volksentscheid in Berlin anstrebt.
Mieten bleiben ein beherrschendes Thema
Den Anstieg der Mieten in bestehenden Mietverträgen wollen sie bei drei Prozent pro Jahr deckeln, wie es im Beschluss heißt. Bei Neuvermietungen soll nur ein Aufschlag von fünf Prozent über der ortsüblichen Miete erlaubt sein. Für den Bau von Sozialwohnungen soll es ein Investitionsprogramm des Bundes von mindestens drei Milliarden Euro jährlich geben. Im Gegenzug soll das Baukindergeld wieder abgeschafft werden – denn es führt aus Sicht der Wohnungsexperten nur zu Mitnahmeeffekten und der Umwandlung von noch mehr Miet- in Eigentumswohnungen. Bis Oktober gingen bereits rund 147.000 Anträge mit einem Volumen von fast 3,1 Milliarden Euro bei der staatlichen KfW-Förderbank ein. Insgesamt entfallen 60 Prozent der Anträge auf städtische Regionen und 75 Prozent auf Bestandsimmobilien.
Ohnehin kritisieren die Grünen eine Schieflage durch falsche Anreize und zu zögerliche Maßnahmen. Es fehle inzwischen 650.000 Menschen am Allernötigsten: an der eigenen Wohnung. Die Partei will den Verkauf an Investoren eindämmen, unter anderem mit mehr Milieuschutz, zudem wollen sie den sozialen Wohnungsbau massiv fördern, statt früher 3,6 Millionen Sozialwohnungen gebe es heute weniger als 1,2 Millionen. Eine Studie gebe den bundesweiten Bedarf mit 1,6 Millionen an. „Den geringen Ausgaben des Bundes für den Wohnungsbau stehen Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Wohngeld in Höhe von 17 Milliarden Euro gegenüber“, kritisiert die Partei, dass teure Mieten alimentiert würden, statt Wohnraum zu schaffen. Zudem wollen sie für eine Bauoffensive mehr Verdichtung, etwa durch das Überbauen von Parkplätzen und neue Wohnetagen über Supermärkten.
Schwarz-Grün oder R2G? Noch hat man sich nicht festgelegt
„Allein in Berlin stiegen die Neuvertragsmieten binnen fünf Jahren um etwa 50 Prozent. In München sind Quadratmeterpreise von über 20 Euro inzwischen keine Seltenheit mehr“, wird in dem Beschluss betont. Aber auch in Städten wie Lübeck, Potsdam oder Reutlingen hätten immer mehr Menschen Probleme, eine Wohnung zu finden, die sie auch bezahlen können. „Noch extremer ist der Anstieg der Kaufpreise von Immobilien. In den sieben größten deutschen Städten haben sie sich seit 2010 verdoppelt.“
Viele Vorschläge wären mit der CDU nicht zu machen, aber in einem Bündnis mit SPD und Linken schon. Inzwischen unterstützen auch Habeck und Baerbock Enteignungen als ultima ratio, der stärkste Kostentreiber beim Wohnen seien die Grundstücks- und Baulandpreise. „Wir wollen Enteignungen nur als letztes Mittel anwenden, wenn es zu einem groben Missbrauch des Eigentumsrechts kommt. Etwa wenn mit Bauland spekuliert, wertvoller Wohnraum bewusst nicht vermietet, trotz eines ausgesprochenen Baugebots weder gebaut noch verkauft wird oder wenn große Wohnungsgesellschaften dauerhaft ihren Pflichten nicht nachkommen.“ Ob eine Enteignung ökonomisch Sinn mache und das richtige Mittel ist, müsse jeweils kommunal entschieden werden und werde wesentlich von den Kosten für die Steuerzahler abhängig gemacht.
Also ein Passus, der den Druck erhöhen soll, damit aber zugleich einige Hintertüren offenlässt.
Boris Palmer macht vor, wie es gehen kann
In der Praxis zeigt der in der Partei umstrittene grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, dass dies funktionieren kann. Seinen Angaben zufolge gibt es rund 550 baureife Grundstücke mit Platz für etwa 1000 größere Wohnungen in Tübingen – er ließ Briefe an Grundstückseigentümer verschickt, die er zum Verkauf ihrer Flächen zwingen will, wenn sie nicht bauen – oft wird in Erwartung weiter steigender Preise jahrelang abgewartet.
In dem Schreiben forderte Palmer die Eigentümer auf, in spätestens zwei Jahren ein Baugesuch einzureichen und innerhalb von vier Jahren die Schaffung von Wohnraum zu ermöglichen. Alternativ könnten sie das Grundstück zum Verkehrswert an die Stadt veräußern. Palmer hatte stützt sich auf Paragraf 176 des Baugesetzbuches, der ein Baugebot formuliert. Komme ein Eigentümer dem nicht nach, kann ein Enteignungsverfahren eingeleitet werden.
Besonders kreativ wie umstritten ist die beschlossene Initiative auf ein Recht, bestehende Mietverträge untereinander zu tauschen. „So können alleinstehende ältere Menschen ihre als zu groß empfundene Wohnung mit der jungen Familie tauschen, die dringend mehr Platz benötigt. Und das ohne steigende Kosten, weil sie einfach in den Mietvertrag der Anderen als neue Mietpartei einsteigen.“ Das soll zunächst nur für Wohnungsgesellschaften gelten, private Kleinvermieter sollen davon ausgenommen bleiben.
Aber zum Beispiel die Grünen-Bauexpertin Daniela Wagner hält das für rechtswidrig: „Ein allgeneiner Rechtsanspruch auf den Tausch von Wohnungen zu den Konditionen der alten Mietverträge ist ein massiver Eingriff in die Vertragsfreiheit und das Eigentumsrecht.“ Ihr Antrag, das Recht auf Wohnungstausch nicht zu beschließen, wird abgebügelt und erhält nur ein paar Stimmen – die Tausch-Idee könnte sich in einer Regierungsrealität ohnehin schnell in Luft auflösen.