Landtagswahl in Hessen: Grün, grün, grün sind (fast) alle Städte
Ein Blick in die Wahlkreise zeigt, wo die Parteien in Hessen vor allem punkten konnten - oder sich ihre Niederlagen holten. Ein Überblick.
Frankfurt, Kassel, Darmstadt: Wer wissen will, was sich in Hessen bei der Landtagswahl am Sonntag vor allem bewegt hat, muss auf die drei Städte schauen. Dort haben die Grünen ihre stärksten Ergebnisse eingefahren und so bestätigt, das sie in größeren Städten mittlerweile die Nummer eins sind. Zumal wenn dort, weil es zum Beispiel eine Hochschule oder forschungsintensives Gewerbe gibt, überdurchschnittlich viele Akademiker leben.
Das war auch schon bei der Wahl in Bayern vor zwei Wochen zu beobachten. Aber in Hessen ist es noch deutlicher ausgefallen. Zwar wurde das Ergebnis in München Mitte mit 44 Prozent der Erststimmen nicht getoppt, aber in der Spitze liegen die Grünen nun bei gut 32 Prozent (im Wahlkreis Frankfurt V). Dass Tarek Al-Wazir ein zugkräftiger Spitzenkandidat war, unterstrich er mit dem Gewinn des Direktmandats in Offenbach – nicht gerade eine Stadt, die man geradewegs mit grünem Milieu verbinden würde. Dass sie in Darmstadt abräumten, wo seit Jahren ein grüner Oberbürgermeister im Amt ist, verwundert dagegen nicht. Gerade Darmstadt mit seiner Technischen Universität ist, ähnlich wie Freiburg im Breisgau, ein Beispiel dafür, wie die Universitätsstädte immer mehr ergrünen.
Was den hessischen Erfolg nicht zuletzt erklärt, ist die gute Bewertung der Grünen-Regierungsarbeit: Etwa drei Viertel der Bürger wünschten sich laut Infratest dimap, dass die Grünen weiter in einer Regierung sind – oder hatten zumindest nichts dagegen. Vor allem jüngeren Frauen dürfte daran gelegen sein: Unter ihnen kommen die Grünen besonders gut weg.
Frankfurt, Kassel, Darmstadt
Frankfurt, Kassel, Darmstadt – dort hat die CDU am Sonntag zwar nicht am stärksten verloren, aber dort hat sie nun endgültig ihre schwächsten Ecken im Land und kommt nur noch auf Werte um die 20 Prozent. Der Abstieg der Union in den urbanen Räumen schreitet fort. Sie wird so immer mehr zur Partei in der Fläche. Und das heißt: Sie ist noch stärker kleinstädtisch bis ländlich geprägt und wird abhängiger von ihren traditionalistischen Hochburgen.
In Hessen sind das zum Beispiel Wahlkreise in Randregionen wie Fulda, Limburg-Weilburg oder Lahn-Dill. Das sind freilich auch jene Gegenden, in denen sie überdurchschnittlich verlor und wo die AfD am Sonntag am deutlichsten gewinnen konnte. Es bestätigt sich ein Eindruck aus der Bayern-Wahl: In den Städten konkurrieren CDU und CSU nicht zuletzt mit den Grünen um die Stimmen bessergestellter Wähler aus dem akademisch-bürgerlichen Milieu.
Auf dem Land aber hat sich die AfD zur eigentlichen Konkurrenz aufgebaut, wenn es um die Stimmen von Leuten geht, die traditionelle Werte vertreten und dem urbanen Leben skeptisch gegenüberstehen. Union und AfD streiten hier um konservative Beharrer und Furchtsame. Aber noch ist die CDU in Hessen der Platzhirsch, nimmt man die Tatsache, dass 40 der 55 Direktmandate an sie gehen. Und das Gewinnen von Direktmandaten ist noch immer der Ausweis von breiterer Akzeptanz, von Volksparteistatus, auch wenn sich Wahlkreissiege mittlerweile mit 25 Prozent und weniger feiern lassen. Freilich ist sie kein stolzer Zwölfender mehr, das Geweih wirkt deutlich weniger mächtig.
SPD - irgendwie undefiniert
Und die SPD? Kassel-Land, Schwalm-Eder, Rotenburg, Eschwege-Witzenhausen. Hier hat sie mittlerweile ihre Hochburgen. Ihre stärksten Verluste: rund um Marburg, einst als „tiefrote“ Universitätsstadt bekannt, in Kassel-Stadt, in Wiesbaden. Weder urban noch ländlich, überall wirkt die SPD irgendwie undefiniert. Immerhin kann die SPD noch zehn Direktmandate gewinnen, bei den Grünen sind es nur fünf. Und in Darmstadt gelingt es mit einem offenbar attraktiven Kandidaten sogar, in einem Wahlkreis trotz grünen Zweitstimmenvorsprungs die Erstimmenmehrheit zu bekommen. Im Norden des Landes vor allem, ohnehin eine der SPD-Hochburgen auch bei Bundestagswahlen, ist die Partei noch kampffähig. Dass Thorsten Schäfer-Gümbel seinen Wahlkreis in Gießen wieder nicht gegen Volker Bouffier gewinnen konnte, mag strukturelle Gründe haben – die Wählerschaft ist eben nicht so. Aber es passt ins Bild: Will man Ministerpräsident werden und den Amtsinhaber ablösen, sollte man im direkten Duell eben imponieren – der Abstand der beiden aber blieb, bei beidseitigen Verlusten, fast gleich.
AfD in Randregionen stark
Die AfD hat in Hessen ihren Durchmarsch in die Parlamente vollendet – nun sitzt sie in allen Landtagen und im Bundestag. Schwach in den Städten, stark auf dem Land: Allein deshalb schon kann man sie mittlerweile im Westen als Ersatz-CDU bezeichnen, die ihre Wahlergebnisse durch unverfrorene Offenheit nach ganz rechts aufpeppt. In und um Fulda, wo sie besonders stark ist, macht sich das wohl auch an der Person von Martin Hohmann fest, jenem früheren CDU-Bundestagsabgeordneten, der jetzt AfD-Bundestagsabgeordneter ist. In den Städten dagegen kommt sie nicht über die Zehnprozentmarke hinaus. Wenn der Populismus nicht mehr zieht, und er zieht nie auf Dauer, dürfte die Partei auf geringere Werte zusammenfallen. Die Frage ist dann, wie es die CDU angeht, die Kernwählerschaft der AfD zu sich zu ziehen: Männer im mittleren Alter.
Die Städte sind weiter die Basis des bescheidenen Erfolgs der Linken. Dort wo die Grünen besonders stark sind und die SPD sich weitgehend verabschiedet hat, haben sie ihre besten Ergebnisse: Frankfurt, Kassel, Darmstadt. Auch sie profitieren offenbar von der Unfähigkeit der Sozialdemokraten, ein urbanes Publikum anzusprechen, das sich dezidiert links fühlt und den Weg der Grünen in die Mitte nicht mitgeht.
FDP punktet im Wohlstandsgürtel
Die FDP holt ihre besten Ergebnisse im Wohlstandsgürtel rund um Frankfurt - aber die Zugewinne dort sind unter dem Durchschnitt, auch wenn sie im Hochtaunus etwa nahe an zwölf Prozent kam. Deutlich zulegen kann sie eher in der Provinz: Odenwald, Limburg, Bergstraße, Fulda. Offenbar ist sie dort verstärkt von unzufriedenen CDU-Anhängern gewählt worden, die den Weg zur AfD scheuen. Immerhin: In keinem Wahlkreis schnitt sie unter fünf Prozent ab, was auf eine gewisse Konsolidierung schließen lässt.
Mehr Reibung bei Schwarz-Grün?
Nun sind drei Koalitionen in Wiesbaden möglich: die Fortsetzung von Schwarz-Grün, eine schwarz-rote Koalition und eine Ampel, wohl unter grüner Führung. Gut möglich, dass alle drei Optionen auch sondiert werden. Doch einiges spricht für eine Fortsetzung des Bündnisses von CDU und Grünen. Nicht zuletzt die politische Großwetterlage. Im ZDF-Politbarometer wird für Schwarz-Grün bundesweit mittlerweile eine Zustimmung von 42 Prozent gemessen. Das könnte reichen, gemeinsam eine Bundestagswahl zu gewinnen, sollte es bald dazu kommen. Dann wäre eine Fortsetzung der Koalition in Hessen schon mal eine Anzahlung darauf. Die Forschungsgruppe Wahlen kam in ihrer Analyse am Wahlabend zu dem Schluss, das Hessen-Ergebnis sei ein "Votum für schwarz-grüne Regierungskontinuität mit deutlich mehr grünem Anstrich".
Allerdings dürfte es angesichts der Ergebnisse nicht mehr ganz so rund laufen wie in den fünf Jahren, die hinter Bouffier, Al-Wazir und ihren Parteien liegen. Zwar dürfte sich die CDU bequemen, mehr Grün in einem künftigen Koalitionsvertrag zu akzeptieren. Die direkte Konkurrenz in den Städten ist aber doch mittlerweile zu stark, und der Drang der CDU, sich in der Fläche gegenüber der AfD wieder stärker konservativ zu profilieren, zu groß. So könnte das bisher doch recht wohlgefühlige Koalitionsklima rauer werden lassen.