Hilfspaket für Griechenland: Grummeln und zustimmen - ab 9 Uhr fällt die Entscheidung im Bundestag
In der Sondersitzung des Bundestags an diesem Mittwoch wollen wieder viele Abgeordnete von CDU und CSU gegen neue Milliarden-Hilfen für Griechenland stimmen. Bei einer Probeabstimmung am Dienstagabend stimmten 56 Abgeordnete mit Nein.
An diesem Mittwoch will der Bundestag ein drittes Hilfspaket für Griechenland in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre billigen. In der Sondersitzung des Bundestags am Mittwoch wollen wie schon bei der letzten Griechenland-Abstimmung im Juli wieder Dutzende von Abgeordneten von CDU und CSU gegen neue Milliarden-Hilfen für Griechenland stimmen. 56 Abgeordnete kündigten in einer Sondersitzung der Unionsfraktion am Dienstagabend ein Nein an, 4 enthielten sich. Etwa 20 Abgeordnete von CDU und CSU dürften laut Teilnehmern gefehlt haben. Die Fraktion verfügt über 311 der 631 Sitze.
Mit der ersten Kredittranche aus dem neuen Hilfsprogramm kann die Athener Regierung von Alexis Tsipras unter anderem erst einmal Schulden bei der Europäischen Zentralbank (EZB) tilgen und Lieferanten bezahlen, die noch offene Rechnungen beim griechischen Staat haben. Während vom „Grexit“ – dem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone – erst einmal keine Rede mehr ist, steht neben der konkreten Verwendung der neuen Hilfsmillarden nun die Frage im Mittelpunkt, ob die Schulden Griechenlands überhaupt noch tragfähig sind.
Wie setzt sich das 86-Milliarden-Programm zusammen?
Wie schon bei den ersten beiden Rettungsprogrammen, die Kredite von über 240 Milliarden Euro umfassten, wird ein Großteil der Gelder gar nicht in Griechenland ankommen, geschweige denn bei den Menschen des Landes, von denen nach sechs Jahren Krise und Rezession jeder Dritte an der Armutsgrenze lebt. Die Hilfen sind vor allem für den Schuldendienst bestimmt, werden also vom Euro-Rettungsfonds ESM direkt an die Gläubiger Griechenlands überwiesen. 13 Milliarden Euro aus dem neuen Hilfspaket sollen bereits am Donnerstag bereitgestellt werden – rechtzeitig bevor die staatliche griechische Schuldenagentur PDMA 3,7 Milliarden Euro für Zinsen und die Tilgung fälliger Staatsanleihen an die EZB überweisen muss. Von der ersten Rate in Höhe von insgesamt 26 Milliarden Euro muss Griechenland außerdem 7,2 Milliarden Euro an die EU überweisen. Es handelt sich dabei um die Rückzahlung einer Brückenfinanzierung, die das Land im Juli erhalten hatte, um seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Weitere 1,7 Milliarden Euro der ersten Rate gehen an den Internationalen Währungsfonds (IWF), für Zinsen und die Tilgung von Krediten aus dem Jahr 2010. Da drei Milliarden Euro erst im Herbst ausgezahlt werden sollen, bleiben unter dem Strich aus der ersten Rate noch rund 500 Millionen Euro, die der Staat dafür verwenden kann, seine Verbindlichkeiten etwas zu reduzieren. Athens Finanzminister Euklid Tsakalotos schuldet Lieferanten und Dienstleistern wie Bauunternehmen aktuell etwa sechs Milliarden Euro. Davon entfallen 4,4 Milliarden auf Schulden, die seit Januar 2015 angehäuft wurden.
Zehn Milliarden Euro wollen die Geldgeber kurzfristig für die Rekapitalisierung der griechischen Banken bereitstellen, als eine erste Geldspritze. Insgesamt sind für die Bankenrettung in dem dritten Paket bis zu 25 Milliarden Euro vorgesehen. Diese Hilfen sollen später aus Privatisierungserlösen zurückgezahlt werden. Branchenexperten gehen allerdings davon aus, dass diese Summe nicht in voller Höhe benötigt wird. Analysten beziffern den Kapitalbedarf der vier systemrelevanten griechischen Banken auf rund elf Milliarden Euro. Außerdem könnten zumindest zwei der vier betroffenen Banken versuchen, sich frisches Kapital privater Investoren zu besorgen.
Der Löwenanteil der jetzt in Aussicht gestellten Hilfskredite, nämlich rund 54 der bis zu 86 Milliarden Euro, ist für den Schuldendienst vorgesehen, wird also gar nicht nach Athen fließen. Was nach Abzug der Bankenhilfe übrig bleibt, wird dazu dienen, Zahlungsrückstände des Staates abzubauen. Zumindest dieses Geld, rund sieben Milliarden Euro, fließt also in die griechische Wirtschaft. Dort kommt demnach weniger als Zehntel der Hilfsgelder an.
So war es schon bei den ersten beiden Rettungsprogrammen: Von bewilligten und ausgezahlten 215 Milliarden Euro wurden 140 Milliarden für den Schuldendienst verwendet, 49 Milliarden für die Bankenrettung und elf Milliarden für den Rückkauf von Staatsanleihen. Nur etwa 15 Milliarden, also sieben Prozent der Kredite, dienten zur Deckung des laufenden Haushaltsdefizits und kamen damit, zumindest mittelbar, den Menschen des Landes zugute.
Ob die gesamte Summe von 86 Milliarden Euro im Verlauf der kommenden drei Jahre nach Athen fließt, hängt davon ab, ob Griechenland sich an die vereinbarten Reformvereinbarungen hält. Wegen der ungewissen Erfolgsaussichten des Programms grummelt es vor dem Beschluss des Bundestags vor allem in der Unions-Fraktion. Hier wird bei der Abstimmung an diesem Mittwoch mit Dutzenden Abweichlern gerechnet. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) rief die Abgeordneten in der Unions-Fraktionssitzung am Dienstagabend dazu auf, dem Rettungspaket zuzustimmen. Es wäre unverantwortlich gewesen, wenn er sich am vergangenen Freitag beim Treffen der Euro-Finanzminister gegen neuen Hilfen für Athen gestellt hätte, erklärte Schäuble nach den Angaben von Teilnehmern. Deutschland wäre im Falle einer Ablehnung völlig allein gewesen, sagte er weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte den Angaben zufolge, man habe bei den Verhandlungen mit Griechenland letztlich die gewünschten Ziele erreicht.
Kann Griechenland mit Schuldenerleichterungen rechnen?
Wie hoch die geplanten Schuldenerleichterungen für Griechenland sein werden, wird sich erst im Oktober zeigen. Dann will der IWF entscheiden, ob der beim dritten Hilfsprogramm mitmacht. Eine entscheidende Bedingung für den Währungsfonds besteht darin, dass die Schulden Griechenlands in erheblichem Maße verringert werden. IWF-Chefin Christine Lagarde hat gefordert, dass die Schuldenerleichterungen weit über die bisherigen Überlegungen der Euro-Partner Griechenlands hinausgehen müssten. Aus einer Analyse der europäischen Institutionen zur Schuldentragfähigkeit, der zum Beschlussantrag des Finanzministeriums für die Bundestagsabgeordneten gehört, geht hervor, wie man zu den von Lagarde verlangten Schuldenerleichterungen kommen könnte. Dort wird eine Verlängerung der Laufzeiten und der tilgungsfreien Zeiten der von den Euro-Partnern gewährten Hilfskredite mitsamt der Zinsen ins Gespräch gebracht – immer vorausgesetzt, dass die griechische Regierung einen eindeutigen „Beleg des Reformwillens“ erbringt. Einen nominalen Schuldenschnitt soll es hingegen nicht geben. Nach gegenwärtigem Stand hat der neue Hilfskredit aus dem Euro-Rettungsfonds ESM wie schon der Vorgänger-Kredit aus dem EFSF-Topf eine Laufzeit von 32,5 Jahren. Schäuble sprach am Montagabend im ZDF davon, dass die Laufzeit der Kredite, die über Jahre hinaus erst einmal nicht getilgt werden müssen, verlängert werden könne – allerdings nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. „100 Jahre wäre nicht so überzeugend“, merkte Schäuble ironisch an. Zudem ist in der Analyse zur Schuldentragfähigkeit davon die Rede, dass die milliardenschweren Gewinne der EZB aus dem Kauf von griechischen Staatsanleihen ebenfalls dazu benutzt werden könnten, um den griechischen Schuldenberg abzutragen. Dass die Schuldenlast nicht zuletzt wegen des Wirtschaftseinbruchs nach der Regierungsübernahme durch das Linksbündnis Syriza zu hoch ist, bestreitet niemand. Nach dem Basisszenario der Geldgeber wird die Schuldenlast im kommenden Jahr auf 200,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) anwachsen, um in den Folgejahren allmählich wieder zu sinken. Sollte sich die Wirtschaft Griechenlands hingegen schlechter entwickeln als erwartet, ist im kommenden Jahr dem Szenario zufolge auch ein Schuldenstand von 206,8 Prozent des BIP denkbar.
Wie werden SPD, Grüne und Linke im Bundestag abstimmen?
Wie schon bei der letzten Abstimmung im Juli, als der Bundestag mehrheitlich den Beginn der Verhandlungen über das dritte Hilfspaket befürwortete, wird der Großteil der „Ja“-Stimmen aller Voraussicht nach auch diesmal wieder von der Union und der SPD kommen. Im Juli hatte es aus der SPD-Fraktion nur vier „Nein“-Stimmen gegeben. Eine davon kam vom ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück. Damit auch diesmal die Zahl der „Nein“-Sager im einstelligen Bereich bleibt, warb SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Brief an die SPD-Abgeordneten für das Hilfspaket, das sich „sehen lassen“ könne. In einer Probeabstimmung am Dienstagabend sagten lediglich Steinbrück und der Abgeordnete Thomas Jurk Nein. Mit einer mehrheitlichen Billigung wird auch bei den Grünen gerechnet, deren Abgeordnete im Juli überwiegend mit „Ja“ gestimmt oder sich enthalten hatten. Diesmal könnte es im Gegensatz zur letzten Griechenland-Abstimmung mehr „Ja“-Stimmen als Enthaltungen geben, hieß es am Dienstag aus Fraktionskreisen. Zu denen, die schon wie beim letzten Mal mit „Ja“ stimmen wollen, gehört der europapolitische Sprecher der Fraktion, Manuel Sarrazin. „Finanzminister Schäuble ist mit seinem Plan, ein Hintertürchen für den ’Grexit’ offen zu lassen, glücklicherweise gescheitert“, sagte er dem Tagesspiegel zur Begründung. Die konstruktiven Verhandlungen für das dritte Hilfsprogramm und das Verhandlungsergebnis verdeutlichten, „dass in Europa wieder zusammengearbeitet“ werde, so Sarrazin. Anders als bei früheren Verhandlungen trage die Vereinbarung zwischen Athen und den Geldgebern „jetzt deutlicher eine griechische Handschrift“. Die Linksfraktion will das Hilfspaket wie schon bei der letzten Abstimmung im Juli ablehnen. Zwar enthalte das Paket auch positive Elemente, aber „die Katastrophe“ bestehe darin, dass die Abhängigkeit Hellas’ von den Institutionen der Geldgeber „noch verschärft“ werde, sagte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi.
Ist ein „Grexit“ endgültig vom Tisch?
Die Entscheidung, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt, ist letztlich gefallen, als Tsipras in den frühen Morgenstunden des Euro-Sondergipfels am 13. Juli den umfangreichen Bedingungen für das dritte Hilfspaket zustimmte. Ob das inzwischen im Detail verhandelte Paket aber dauerhaft die Gefahr eines Staatsbankrotts abwendet oder ob in Berlin und Athen irgendwann erneut über einen „Grexit“ nachgedacht wird, steht in den Sternen. Die Prognosen fallen je nach politischem Standpunkt unterschiedlich aus. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der schon im vergangenen Frühjahr ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro kategorisch ausgeschlossen hatte, erklärte nach der Einigung der Euro-Finanzminister auf das dritte Hilfspaket: „Die Botschaft des heutigen Treffens ist laut und klar: Auf dieser Grundlage ist und bleibt Griechenland unwiderruflich ein Mitglied der Euro-Zone.“ Dagegen äußerte sich Schäuble, der im Juli einen zeitweiligen „Grexit“ ins Gespräch gebracht hat, vieldeutig. Hellas stehe vor schweren Anpassungsprozessen, sagte der Finanzminister und fügte hinzu: „Griechenland muss die Wahl treffen.“ Gleichzeitig wollte er auch nicht definitiv zusagen, dass das Griechenland-Drama wirklich mit dem dritten Rettungspaket beendet ist. Auf die Frage, ob es ein viertes Hilfsprogramm geben werde, sagte Schäuble: „Wir können doch für die Zukunft letzten Endes keine Entwicklungen völlig ausschließen.“
Gerd Höhler, Albrecht Meier