Neuer Premier Johnson im Parlament: Großbritannien kann „bestes Land der Welt“ werden
Boris Johnson entwirft bei seinem ersten Auftritt als Regierungschef im Parlament ein rosiges Zukunftsbild. Seine Forderungen zum Brexit weist die EU zurück.
Den ersten Auftritt des neuen Premierministers Boris Johnson im Londoner Unterhaus hat die britische Opposition am Donnerstag zu einer Abrechnung mit der konservativen Regierung genutzt. „Die Briten wollen kein Vasallenstaat der USA werden“, sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn. Der vom „Kabinett der harten Rechten“ angepeilte EU-Austritt ohne Vereinbarung (No Deal) sei verantwortungslos, die Drohung mit verweigerten Zahlungen in die Brüsseler Kasse wertlos, sagte Corbyn weiter. „Er ist der letzte Premierminister des Vereinigten Königreiches“, höhnte Ian Blackford von der Nationalpartei SNP in Richtung Johnson und forderte ein neues Unabhängigkeitsreferendum für Schottland.
In seiner 17 Minuten langen Rede wiederholte der neue Regierungschef wichtige Positionen der Antrittsrede, die er am Mittwoch nach seiner Ernennung durch Königin Elizabeth II. gehalten hatte. Mit Optimismus und Elan könne die Insel zum „besten Land der Welt“ werden, beteuerte Johnson und zeichnete eine rosige Zukunftsvision für 2050: ein Großbritannien mit wachsender Bevölkerung, das die größte Wirtschaftsmacht Europas ist, die regionale Unterschiede sind verschwunden, die Schulen und Gesundheitsversorgung besser. Ausdrücklich bekannte sich der Premier zum Ziel seiner Vorgängerin Theresa May, die Insel bis zur Mitte des Jahrhunderts CO2-neutral zu machen. Er selbst habe die Absicht, das Jahr 2050 zu erleben, „wenn auch nicht unbedingt in diesem Amt“, scherzte Johnson. Er ist jetzt 55 Jahre alt.
Zum EU-Austritt bekräftigte der Konservative seine harte Haltung. Er habe den bisherigen Umweltminister Michael Gove als Minister im Kabinettsbüro mit der Vorbereitung des No Deal betraut. Gove gehörte wie Johnsons neuer Chefberater Dominic Cummings zum Leitungsteam der „Vote Leave“-Kampagne im EU-Referendum vor drei Jahren und gilt als einer der fähigsten Minister der bisherigen Regierung. Im Frühjahr hatte er noch vor dem No Deal gewarnt.
Spekulationen über Neuwahlen
Sein Land werde am Austrittsdatum 31. Oktober festhalten, sagte der Premierminister und schloss die Nominierung eines britischen Vertreters für die neue EU-Kommission aus. Erneut bekräftigte Johnson seinen Verhandlungswillen, knüpfte dies aber an eine Neuverhandlung des Austrittsvertrages im Ganzen. Insbesondere müsse die „undemokratische“ Auffanglösung für Nordirland („backstop“) getilgt werden. Dies wird von Brüssel und Dublin abgelehnt. EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier bezeichnete die Brexit-Forderungen Johnsons als „inakzeptabel“.
Oppositionsführer Corbyn forderte erneut ein zweites Referendum und kündigte an, seine Partei werde für den EU-Verbleib werben. Wenn der „backstop“ so undemokratisch sei, „warum hat der neue Premierminister ihm dann im März zugestimmt?“, fragte er. Tatsächlich hatten Johnson ebenso wie Raab und der neue Unterhausminister Jacob Rees-Mogg damals Mays dritten vergeblichen Anlauf zur Unterzeichnung des Vertrages unterstützt.
Wie zum Austrittsvertrag blieb der Regierungschef auch auf andere detaillierte Nachfragen die Antwort schuldig. Die Vorsitzende der Liberaldemokraten, Jo Swinson, fragte, ob es nicht Zeit sei, die bestehenden Garantien für EU-Bürger in Großbritannien gesetzlich zu verankern? Die frühere Labour-Ministerin Yvette Cooper erkundigte sich nach Details der von Johnson angekündigten „alternativen Arrangements“, mit denen die innerirische Grenze angeblich ohne Kontrollen vor Ort offengehalten werden kann. Johnson reagierte mit Ausflüchten oder gar nicht.
Hartnäckig hielten sich am Donnerstag, dem letzten Sitzungstag des Unterhauses vor der Sommerpause, Spekulationen darüber, Johnson werde bereits im Herbst Neuwahlen herbeiführen. Für seine harte Brexit-Linie, so die Überlegungen, gebe es im derzeitigen Unterhaus keine Mehrheit; auch seien weitreichende Änderungen des Austrittspakets durch Neuverhandlungen unwahrscheinlich. Allerdings hatten sowohl Konservative wie Labour bei der Europawahl im Mai schwere Einbußen zugunsten der Brexit-Party von Nigel Farage auf der einen sowie der Libdems und der Grünen auf der anderen Seit erlitten. Johnson warnte, eine Neuwahl ohne Brexit, würde beide große Parteien „dem tödlichen Zorn der Wähler“ aussetzen.