Wirkt die Impfkampagne jetzt schon?: Großbritannien bremst die Corona-Mutante vorerst aus
Seit Beginn des dritten Lockdowns sinken die Infektionszahlen rapide. Doch die Altersverteilung zeigt: Die geplanten Lockerungen könnten zu früh kommen.
Anfang Januar brachte die Corona-Mutante B117 das britische Gesundheitssystem an den Rande des Kollaps. Die täglich gemeldeten Neuinfektionen erreichten den neuen Pandemie-Höchststand in Großbritannien von rund 60.000 neuen Fällen. Der Anteil der positiven Tests an der Gesamtzahl, die sogenannte Positivrate, stieg auf rund 13 Prozent.
Die Folge davon waren 40.000 Corona-Patienten in britischen Krankenhäusern, davon 4000 beatmet, und 1300 Briten, die an oder in Verbindung mit dem Coronavirus starben. Die Erfolgserlebnisse, die sinkenden Infektionszahlen nach dem zweiten nationalen Lockdown, waren durch die neue Variante B117 mit einem Schlag dahin. Ein dritter Lockdown musste her, ein noch härterer. Ein Lockdown, der den ansteckenden Virus tatsächlich eindämmte.
Zuletzt meldete die nationale Gesundheitsbehörde NHS rund 12.000 neue Fälle, das ist ein Fünftel des Höchststandes von vor sechs Wochen. Einer Studie zufolge ist die Zahl der aktuell positiv auf das Coronavirus Getesteten in England seit Anfang Januar sogar um rund zwei Drittel zurückgegangen.
Das ist das zentrale Ergebnis einer am Donnerstag veröffentlichten Studie des Imperial College London, für die Zehntausende zufällig ausgewählte Bürger regelmäßig getestet werden. Fiel der Test Anfang Januar noch bei mehr als 1,5 Prozent positiv aus, waren es Anfang bis Mitte Februar nur noch gut 0,5 Prozent. Im besonders stark betroffenen London ging der Anteil der positiven Tests sogar um 80 Prozent zurück.
Bei Betrachtung aller Tests in Großbritannien ist nach Daten von Our World in Data festzustellen, dass die Positivrate in den vergangenen sechs Wochen auch landesweit deutlich sank – von rund 13 Prozent auf rund 2 Prozent. In Deutschland ist die Positivrate höher im Vergleich: Dort liegt sie derzeit bei rund 6 Prozent, nachdem sie Anfang Januar auf den Höchststand von rund 15 Prozent gestiegen war.
Beobachter führen die Entwicklung in Großbritannien auf den seit Anfang Januar geltenden harten Lockdown zurück – und noch nicht auf die zunehmende Zahl der Geimpften.
„Die Infektionsraten sind noch immer sehr hoch“, sagte der beteiligte Wissenschaftler Paul Elliot im BBC-Interview. „Sie sind so hoch wie im September, als sie stiegen, und es sind aktuell noch genauso viele Menschen im Krankenhaus wie in der ersten Welle, also müssen wir sehr vorsichtig sein.“
Die Entwicklung in England, die ähnlich auch für ganz Großbritannien gilt, spiegelt einen Trend wieder, der sich – etwa auf Vergleichskarten der Universität Oxford – auch in anderen Staaten erkennen lässt: In den Vereinigten Staaten gab es im Januar ebenfalls einen steilen Abwärtstrend.
In Deutschland, wo die Mutante B117 derzeit in mehreren Hotspots grassiert, und anderen Ländern sanken die Zahlen der neuen Fälle auch, allerdings weniger rapide. In Ländern wie Schweden hingegen gerät die Lage jetzt erst so richtig außer Kontrolle.
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Der Lockdown, den Premier Boris Johnson am 4. Januar als Reaktion auf die sich verbreitende Mutante B117 verkündete, ist auch deutlich härter als der in Deutschland.
Die Menschen in Großbritannien dürfen ihre Häuser nur in wenigen, begründeten Ausnahmefällen verlassen. Diese Ausnahmen können der „unbedingt notwendige“ Weg zur Arbeit sein, das Einkaufen von wichtigen Lebensmitteln, medizinische Termine oder der Weg in die Kirche. Auch dürfen Briten einmal am Tag aus dem Haus, um Sport zu machen.
Sie dürfen sich nicht mit Menschen anderer Haushalte treffen, es sei denn, es ist aufgrund von Pflege beispielsweise notwendig. Briten, die die Regeln missachten, können mit Strafen bis zu 10.000 Pfund (rund 11.500 Euro) bedacht werden.
Großbritannien baute auch die Testkapazitäten aus
Neben den härteren Maßnahmen hoffte Großbritannien auf schnelle Erfolge durch die Impfkampagne – und baute zudem die Testkapazitäten nochmals massiv aus. Von 430.000 Tests am Tag der Verkündung stieg die Zahl auf den Höchststand von rund 670.000 Tests am 6. Februar. Seitdem hat die Testanzahl wieder abgenommen.
Die sinkenden Infektionszahlen hatten nach und nach auch Einfluss auf die Zahl der Hospitalisierungen und Todesfälle. Nachdem in Großbritannien Anfang Januar durchschnittlich 4000 Corona-Patienten täglich in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten, waren es zuletzt nur noch rund 1500.
Den aktuellsten Daten des Ministeriums ist zu entnehmen, dass rund 20.000 Corona-Patienten in Krankenhäusern behandelt werden, etwas mehr als 2500 werden beatmet. Mitte Januar waren es noch doppelt so viele Patienten. Die Zahl der Todesfälle an oder in Verbindung mit dem Coronavirus sanken von 1300 Menschen zuletzt bis auf weniger als 500.
Die Reproduktionszahl in Großbritannien schwankte laut Daten des britischen Gesundheitsministerium zuletzt zwischen 0,6 und 0,9. Das bedeutet: Eine infizierte Person steckt im Schnitt weniger als eine weitere Person mit dem Virus an. Die Sieben-Tage-Inzidenz sank diesen Daten zufolge zuletzt um täglich zwischen 3 und 6 Prozent.
Der Trend zeigt, dass sich die Infektionszahlen in Großbritannien derzeit alle 15 Tage halbieren. Setzt sich dieser Trend fort, liegt die Zahl der täglichen Neuinfektionen in sechs Wochen bei weniger als 1000.
Es gibt derzeit 450.000 Impfungen pro Tag, insgesamt sind bereits 25 Prozent der Briten immunisiert. Unter den Menschen über 70 Jahre sind in Großbritannien bereits mehr als 90 Prozent geimpft worden.
Doch Wissenschaftler sehen keinen Einfluss der britischen Impfkampagne auf die geringen Infektionszahlen. Denn: Die Infektionszahlen sanken in der Altersgruppe der Impfberechtigten über 65 Jahre nicht mehr als in den anderen Altersgruppen.
Junge Altersgruppe hat die höchsten Infektionszahlen
Der Studie des Imperial College zufolge ist das Coronavirus nun am vergleichsweise weitesten verbreitet in den jüngeren Altersgruppen, bei den 5- bis 12-Jährigen und 18- bis 24-Jährigen.
Die Forscher des Imperial College vermuten, dass die vergleichsweise hohen Fallzahlen in den jungen Altersgruppen damit zusammenhängen, dass noch immer Kinder und Jugendliche zur Schule gehen. Eine Studie aus dem Februar habe gezeigt, dass rund ein Viertel der Grundschüler noch immer persönlich unterrichtet werden.
Mark Woolhouse, Epidemiologe von der Universität in Edinburgh, sagte dem Guardian: „Ich denke, es gibt Gründe, selbstbewusster zu sein als am Ende des ersten Lockdowns.“ Schulöffnungen hätten Studien zufolge nicht für einen Anstieg der Corona-Fälle gesorgt, so Woolhouse. Andere Experten hingegen warnen davor, Schulen schnell wieder zu öffnen und mahnen zur Vorsicht.
Es wird erwartet, dass Premier Boris Johnson am Montag bekanntgibt, dass die Schulen am 8. März wieder öffnen dürfen – zunächst allerdings für die kleinsten Schüler. So hatte es Nordirland bereits am Donnerstag angekündigt. Dort wurde der Lockdown mit einer weiteren Ausnahme, dass einige Geschäfte wieder Abholservices anbieten dürfen, hingegen bis zum 1. April verlängert.
Johnson wird in seiner Ansprache am Montag den Fahrplan der kommenden Wochen bekanntgeben, der die frühstmöglichen Öffnungsschritte beinhalten könnte. Neben den Schulschließungen sollen auch weitreichende Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen „vorsichtig, aber irreversibel“ aufgehoben werden, kündigte Johnson in dieser Woche an.
Allerdings machte der Premier auch klar, dass die Lockerungen sofort wieder zurückgenommen werden würden, wenn sich die Infektionslage ins Negative umschlägt.
Vor den anstehenden Lockerungen sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des Außenministeriums Sky News am Freitag, dass die britische Regierung einen möglichen vierten Lockdown nicht ausschließen könne. Es sei nicht möglich, den Bürgern diese Sicherheit zu geben, sagte James Cleverly, der Großbritannien im Mittleren Osten und Nordafrika vertritt. „Viren funktionieren so nicht“, so Cleverly. Aber: „Wir wollen, dass es der letzte Lockdown gewesen ist, darauf arbeiten wir hin.“