Reformdebatte in Athen: Griechische Depression
Schulden, Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne: Die Finanzkrise trifft Griechenland seit Jahren hart. Im Gegenzug für EU-Hilfsmilliarden muss das Land sparen, sparen, sparen. Wie geht es den Griechen damit?
Athen ist eine Stadt ohne Baukräne. Stagnation und Perspektivlosigkeit im Leben der Griechen lassen sich kaum besser ablesen als am Niedergang der Bauwirtschaft. Zwischen dem Neubau der Nationalgalerie im Athener Innenstadtviertel Kallimarmaro, der im Schneckentempo vorangeht, und der – zugegebenermaßen – enormen Baustelle der Stiftung des Reeders Niarchos in Piräus, dreht sich wenig über den Hausdächern. Wer Mut für Projekte hat, der hat kein Geld. Und wer noch Geld hat, riskiert keine Investitionen. Die Zahl der Baugenehmigungen fällt deshalb stetig. 18 Prozent minus im Vergleich zum Vorjahr lautet die jüngste Zahl des griechischen Statistikamtes.
Im siebten Jahr der Finanzkrise sieht die Mehrheit im Land kein Licht am Ende des Tunnels. Mit über 24 Prozent hat Griechenland weiterhin die höchste Arbeitslosigkeit in der EU. Die Rate ist wohl um drei Prozentpunkte gefallen seit den schlimmsten Krisenjahren von 2012 und 2013. Doch volkswirtschaftlich geht die Rechnung nur schwer auf: Zehn Millionen Einwohner, 2,6 Millionen Rentner, mehr als eine Million Arbeitslose. Das Lohnniveau ist niedrig, und das zieht sich durch alle Berufssparten: Bäcker und Krankenhausärzte verdienen um die 1000 Euro im Monat. Wohin die Reise geht, wissen die Griechen nicht.
Wirtschaftsinstitute zeichnen düstere Bilder
An den Bankautomaten dürfen sie weiterhin nur 420 Euro in der Woche abheben, denn ein Teil der Kapitalkontrollen seit den Bankenschließungen vom Sommer 2015 ist immer noch in Kraft. Die EU-Kommission ist derzeit wieder optimistischer, die Athener Wirtschaftsinstitute dagegen zeichnen düstere Bilder. IOBE, die Denkfabrik, die der ehemalige Finanzminister und heutige Zentralbankchef Yiannis Stournaras leitete, sagt für dieses Jahr ein Minus von einem Prozent voraus. Der Unternehmerverband SEV erklärt sich fassungslos über die recht massiven Einkommenssteuer- und Beitragserhöhungen für die Sozialversicherung, die Besserverdienende nun entrichten müssen; noch mehr aber über die Forderung der Gläubiger nach weiteren Sparmaßnahmen über die Zeit des laufenden Hilfskredits nach 2018. Dies löse eine enorme Unsicherheit in der Wirtschaft aus, warnte der SEV dieser Tage. Die Kommission in Brüssel glaubt dagegen nur an eine kleine Rezession von 0,3 Prozent in diesem Jahr und an ein Wachstum von gleich 2,7 Prozent 2017.
Junge Griechen wandern ab
Junge Griechen mit Hochschulabschluss und Fachkräfte wandern deshalb ab. Ihre Zahl wird auf wenigstens 300000 seit Beginn der akuten Krise 2010 geschätzt. Bemerkbar macht sich das vor allem im Gesundheitsbereich. Es gibt Viertel in Athen – in Ellenikon im Süden etwa – oder auch auf kleineren Inseln in der Ägäis, wo es zeitweise keinen Arzt für Allgemeinmedizin mehr gibt: Die Patienten bleiben aus, weil sie Medikamente und Behandlungskosten zwischen 40 und 50 Euro pro Besuch nicht zahlen können; der Betrieb einer privaten Praxis wird unrentabel. Andere Ärzte wiederum arbeiten sechs Tage die Woche und mit Ordinationszeiten, die bis zehn oder elf Uhr am Abend gehen, um auf ihre Kosten zu kommen.
Die seit über einem Jahr regierende Links-Rechts-Koalition von Alexis Tsipras versucht, hier und da soziale Notlagen zu lindern. Mietbeihilfen wurden eingeführt, Ermäßigungen beim Stromtarif, Schulspeisungen für Kinder, die zu Hause keine ausreichenden Mahlzeiten bekommen. Einen Anspruch auf kostenlose Behandlung in Krankenhäusern für Mittellose regelte die Regierung per Gesetz. Seitdem sind die Ambulanzabteilungen noch voller und die Haushaltsplanungen der Direktoren noch schwieriger. Es mangelt am Billigsten, wie Helfer berichten: Einweghandschuhe, Plastikkanülen für Infusionen, Gleitgel für Ultraschalluntersuchungen.