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Migranten warten auf Lesbos auf ihre Verlegung.
© AFP

Migrantenzahlen deutlich gestiegen: Griechenland verschärft Gangart gegen Flüchtlinge

Tausende Flüchtlinge kommen wieder über das Mittelmeer nach Griechenland. Zu viele, sagt die Regierung – und auch die Türkei droht der EU.

Normalerweise bedient die „Caldera Vista“ die Route Kreta-Santorin. Doch an diesem Morgen steigen die Passagiere nicht mit Rollkoffern an Bord der Fähre, sondern mit ausgebeulten Rucksäcken und verschnürten Plastiktüten. 1500 Asylsuchende sind am Montag von der Insel Lesbos aufs griechische Festland verlegt worden.

Das EU-Türkei-Abkommen sieht zwar vor, dass die Asylsuchenden die Inseln bis zum Abschluss ihres Verfahrens nicht verlassen dürfen, doch für besonders Schutzbedürftige gelten Ausnahmen. Dennoch hatte die neue Athener Regierung die Umsiedlungen so lange gestoppt, bis die Zustände in den zwei völlig überfüllten Lagern auf Lesbos unhaltbar wurden. Waren dort im Juni noch 5000 Menschen untergebracht, stieg deren Zahl vergangene Woche auf 11000. Die Folge: Es gab Ausschreitungen.

Im Wahlkampf hatte die Nea Demokratia versucht, der linken Syriza die Schuld für die Ankunft immer neuer Flüchtlinge in Griechenland in die Schuhe zu schieben. Nach zwei Monaten im Amt sprechen die Konservativen nun von geopolitischen Faktoren.

Tatsächlich ist die Zahl der Schutzsuchenden in den vergangenen zwei Monaten in die Höhe geschnellt. Im Juli kamen 5000 Menschen über den Seeweg nach Griechenland, im August waren es 8000. Das sind die höchsten Zahlen seit Inkrafttreten des Abkommens mit der Türkei.

Deshalb ist vergangenes Wochenende der griechische Regierungsrat für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung zu einer Eilsitzung zusammengekommen. Außer der Verlagerung besonders Schutzbedürftiger aufs Festland hat er die Abschaffung der zweiten Instanz Berufungsinstanz im Asylverfahren angekündigt. Abgelehnte Bewerber müssen ihren Bescheid demnach vor Gericht anfechten. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen haben sich besorgt darüber geäußert.

Nea Demokratia muss ihre Wähler zufriedenstellen

Eine Überraschung ist das nicht. Bereits mit ihrem Amtsantritt hat die neue griechische Regierung deutlich gemacht, dass sich der Wind in der Flüchtlingspolitik drehen wird. Sie hat das Migrationsministerium abgeschafft und die Verantwortlichkeiten an das Bürgerschutzministerium übergeben, das für Innere Sicherheit zuständig ist.

Der Richterverband hat diesen Schritt als anachronistisch gerügt. Nea Demokratia muss jedoch ihre Wähler zufriedenstellen. Immerhin hat sie ihren Sieg vom 7. Juli auch den Stimmen vom rechten Rand zu verdanken. Zudem tobt in der Partei seit Jahren ein Flügelkampf zwischen Gemäßigten, Nationalisten und Neoliberalen.

Premier Kyriakos Mitsotakis vertritt zwar den neoliberalen Flügel, aber es waren die Nationalisten um Adonis Georgiadis, die ihm 2016 zum Parteivorsitz verhalfen. Mitsotakis hat Georgiadis dafür zum Vizechef der Partei ernannt, derzeit hat er außerdem das wichtige Investitions-Ministerium inne.

„Lästiger Staub“ und „Abschaum“ werden Flüchtlinge genannt

Der Kurswechsel in der Asylpolitik spiegelt sich auch im öffentlichen Diskurs wider. „Lästiger Staub“, „Invasoren“, „Abschaum“ – das sind nur einige der Bezeichnungen, mit denen Funktionäre und Regierungspolitiker die ankommenden Flüchtlinge zuletzt bezeichnet haben. Und der Vizeminister für Migrationsangelegenheiten nannte die gleichnamige Hauptstadt der Insel Samos eine „belagerte Stadt“.

Ungeachtet der harschen Töne aus Athen kommen auf den Inseln weiter täglich Flüchtlinge in Griechenland an, bei der Athener Asylbehörde sind mehr als 70.000 Asylanträge anhängig. Die Behörde bräuchte nach eigenen Angaben mehr Personal. Doch die Kreditauflagen Griechenlands erlauben Einstellungen nur in dem Rahmen, in dem Beamte in den Ruhestand gehen. Den hat die neue Regierung mit der Ankündigung von Neueinstellungen bei der Polizei allerdings bereits fast ausgereizt.

Und so waren die Passagiere noch nicht in die „Caldera Vista“ eingestiegen – da hat der Präfekt für die nördliche Ägäis an der Mole in die Kamera des griechischen Staatsfernsehens gesagt: Wichtig sei nun, die Grenzen gut zu schützen, um weitere Ankünfte zu vermeiden.

Erdogan erhöht in der Flüchtlingsfrage den Druck auf Europa

Einfach dürfte das nicht werden. Denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erhöht in der Flüchtlingsfrage den Druck auf Europa. Wenn sein Land nicht genügend Unterstützung bei ihrem Plan zur Einrichtung einer „Sicherheitszone“ im Nordwesten Syriens erhalte, „werden wir die Tore öffnen müssen“, sagte er am Donnerstag in Ankara.

Die Türkei will die syrische Kurdenmiliz YPG aus dem Grenzgebiet vertreiben und eine „Sicherheitszone“ zur Ansiedlung syrischer Rückkehrer schaffen. Erdogan hat schon häufiger mit einer Aufkündigung des EU-Flüchtlingsdeals gedroht. Sein Innenminister machte kürzlich jedoch klar, dass die Türkei aus eigenem Interesse bei dem Abkommen bleiben will.

Erdogans Regierung steht wegen des wachsenden Unmuts vieler Türken über die 3,6 Millionen Syrer im Land unter steigendem Druck. Seit einigen Wochen schicken die türkischen Behörden deshalb Zehntausende Schutzsuchende aus der Metropole Istanbul in andere Landesteile, um die Öffentlichkeit zu besänftigen.

Verhandlungen über Sicherheitszone in Syrien

Mehr als 100.000 der schätzungsweise 800.000 Syrer aus Istanbul sollen fortgeschickt werden. Aktivisten melden zudem Zwangsdeportationen in die umkämpfte syrische Provinz Idlib. Ankara bestreitet, dass Flüchtlinge gegen ihren Willen nach Syrien gebracht werden.

In der „Sicherheitszone“ sollen nach Erdogans Worten mindestens eine Million Flüchtlinge aus der Türkei wieder in Syrien angesiedelt werden. Rund 350.000 Syrer sind nach Regierungsangaben bisher freiwillig nach Hause zurückgekehrt.

Die Türkei verhandelt seit Monaten mit den USA – der Schutzmacht der kurdischen YPG – über die Einrichtung der Zone. Die syrischen Kurden bestehen darauf, dass nur frühere Bewohner der Region in die Zone heimkehren sollten. Sie befürchten, Ankara wolle in der Gegend viele Araber ansiedeln, um die Kurden zu schwächen.

Murat Erdogan, Migrationsexperte an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul, hat Zweifel an der Realisierbarkeit der türkischen Pläne. Derzeit sei zum Beispiel unklar, wie sich die Rückkehrer in der „Sicherheitszone“ ernähren und wo sie Arbeit finden könnten, sagte Erdogan. Zudem wollten die meisten Syrer in der Türkei nicht in ihre kriegszerstörte Heimat zurückkehren.

Türkei widerspricht griechischen Angaben

Staatschef Erdogan und seine Minister beklagen sich immer wieder über mangelnde Unterstützung der EU bei der Versorgung von Flüchtlingen. Europa hatte der Türkei im Flüchtlingsabkommen von 2016 sechs Milliarden Euro an Hilfe zugesagt; laut EU-Angaben sind inzwischen 5,6 Milliarden davon ausgezahlt worden.

Im Gegenzug verpflichtete sich Ankara, die Massenflucht über die Ägäis nach Griechenland zu stoppen, die 2015 nach UN-Angaben fast 860.000 Menschen in die EU gebracht hatte. Das Abkommen führte dazu, dass die Zahl vergangenes Jahr bei nur noch 50.000 Menschen lag. Inzwischen stellen die Afghanen und nicht mehr die Syrer die bei weitem stärkste nationale Gruppe von Flüchtlingen, die per Boot nach Griechenland übersetzen.

Innenminister Süleyman Soylu widersprach Angaben der UN und griechischer Behörden, wonach die Gesamtzahl der Flüchtlinge in Griechenland wieder ansteigt. In den ersten acht Monaten des Jahres seien 29.000 Menschen nach Griechenland gelangt, im selben Zeitraum des vorigen Jahres seien es knapp 31000 gewesen, sagte der Minister. In einem Interview betonte Soylu, ein Hardliner in Erdogans Kabinett, er würde „liebend gern die Tore öffnen“ und wieder mehr Flüchtlinge in die EU schicken. Das tue er aber nicht, weil die Türkei sonst zu einem Transitland für Migranten werden würde. „Dann kommt der Terror, dann kommen Drogen, dann kommt die Kriminalität.“

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