SPD-Linke streitet um Große Koalition: Gregor Gysi: Sozialdemokraten haben schon kapituliert
Drei Tage vor der Bundestagswahl stellen SPD-Linke Bedingungen für ein Bündnis mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Parteiführung ist sauer. Und Gregor Gysi, Spitzenkandidat der Linken, spottet: "Wer die SPD wählt, wählt also nichts anderes als die Union."
Die SPD-Spitze verweigert sich offiziell dem Gedanken an eine große Koalition nach der Bundestagswahl, doch führende Vertreter des linken Flügels der SPD wollen zuvor Zeichen setzen. Vergangene Woche verabredeten sie nach Informationen des Tagesspiegels bei einer Telefonkonferenz, die Möglichkeit für ein Regierungsbündnis mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an Bedingungen zu knüpfen.
Zum Verhandlungsauftrag an die SPD-Spitze gehören sollen demnach sozial- und gesellschaftspolitische Kernforderungen wie ein flächendeckender Mindestlohn, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes sowie die Schaffung einer Solidarrente. Der Union besonders schwer fallen könnte, dass die SPD-Linken die sofortige Abschaffung des Betreuungsgeldes verlangen und auch auf die Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit beharren.
Der Linken-Fraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi, reagierte hämisch auf die Nachricht. "Wenn die SPD-Linke ihre Forderung für eine große Koalition schon jetzt formuliert, hat auch sie kapituliert und man kann mit größter Wahrscheinlichkeit von einer großen Koalition ausgehen", sagte Gysi, Spitzenkandidat seiner Partei bei der Wahl am 22. September, dem Tagesspiegel. "Wer die SPD wählt, wählt also nichts anders als die Union. Das Wahlprogramm der SPD kann man dann weitgehend vergessen."
Beteiligt an der Verabredung waren nach Tagesspiegel-Informationen unter anderem Ralf Stegner, SPD-Chef in Schleswig-Holstein und einflussreicher Sprecher des "Berliner Kreises" sowie Ernst-Dieter Rossmann, Sprecher der Parlamentarischen Linken. Stegner selbst versicherte am Donnerstagabend, es gebe "keinerlei konkrete Planungen für eine große Koalition". Er sagte: "Unser Wahlziel ist Rot-Grün. Wenn die Wähler ein anderes Votum abgeben als wir erhoffen, dann denken wir nach der Wahl darüber nach und nicht vor der Wahl."
In der Parteispitze wurden die Pläne - und die Veröffentlichung kurz vor dem Wahltermin - mit Verärgerung aufgenommen. Die Führung sieht ihr erklärtes Wahlziel einer rot-grünen Mehrheit in Frage gestellt - von dem ist sie Umfragen zufolge allerdings weit entfernt. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: "In der SPD ist es üblich, zu allen möglichen Dingen Papiere zu schreiben. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das stimmt. Mir ist das egal."
Juso-Chef: Echter Politikwechsel mit großer Koalition nur "schwerlich vorstellbar"
Aber auch nicht alle Vertreter der SPD-Linken sind mit dem Vorgehen einverstanden. Die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, Sprecherin des Forums DL 21, sagte dem Tagesspiegel: "Wir machen Wahlkampf für einen echten Politikwechsel. Wir stellen uns nicht auf eine große Koalition ein." Ähnlich äußerte sich Sascha Vogt, der Vorsitzende der Jungsozialisten, im Gespräch mit dieser Zeitung. Auch er plädierte für einen "echten Politikwechsel", könne sich aber "nur schwerlich vorstellen, dass das mit einer großen Koalition funktionieren kann".
Mattheis und Vogt gehören zu jenen in der SPD, die sich - abweichend von der Auffassung der Führung, aber auch von SPD-Linken wie Stegner - ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund vorstellen können. Mattheis hatte erst kürzlich in der Ulmer "Südwest-Presse" für den Fall der Debatte über eine große Koalition nach der Bundestagswahl einen Mitgliederentscheid ihrer Partei verlangt. Sie selbst lehnte eine schwarz-rotes Bündnis damals als "allerschwierigste Konstellation" für die SPD ab und plädierte zugleich dafür, sich der Linkspartei nicht zu verschließen. "Ich glaube, dass wir in keiner anderen Konstellation so viel von unseren Inhalten umsetzen können wie in einer linken Gestaltungsmehrheit. Das ist für uns erst einmal Rot-Grün. Und wenn es dafür nicht reicht, müssen wir über andere Konstellationen nachdenken."
Schon vergangene Woche hatte es Hinweise darauf gegeben, dass sich die SPD-Spitze auf eine große Koalition einstellt. Sollten die Stimmen nicht für eine rot-grüne oder schwarz-gelbe Koalition reichen, wolle Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Koalitionsverhandlungen mit der Union selbst führen, verlautete am vergangenen Freitag aus SPD-Kreisen. Dies hätten Steinbrück und SPD-Chef Sigmar Gabriel vereinbart. Steinbrück, von 2005 bis 2009 unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Finanzminister, hat für sich selbst ein Ministeramt in einer unionsgeführten Koalition ausgeschlossen. Daran soll sich auch nichts ändern, hieß es in der SPD. Steinbrück wolle jedoch, wie 2005 Gerhard Schröder, die Verhandlungen führen.
Matthias Meisner