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Von der größten türkischen Oppositionspartei CHP als Bürgermeister eingesetzt: Ekrem Imamoglu.
© REUTERS/Murad Sezer
Update

Neuwahl in Istanbul: Gewählter Bürgermeister spricht von Verrat

Die Opposition protestiert gegen die Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul. Österreichs Kanzler Kurz fordert ein Ende der EU-Beitrittsgespräche.

Nach dem amtlichen Beschluss zur Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul will die empörte Opposition am Dienstag über das weitere Vorgehen beraten. Der im April eingesetzte Bürgermeister Ekrem Imamoglu von der größten türkischen Oppositionspartei CHP kündigte an, zu diesem Zweck in die Hauptstadt Ankara zu fliegen und sich dort mit der Parteiführung zu besprechen. Die Entscheidung der zuständigen Wahlkommission, die Kommunalwahl in Istanbul auf Antrag der Regierungspartei AKP annullieren und wiederholen zu lassen, stieß auch im Ausland auf scharfe Kritik.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat angesichts der annullierten Wahl erneut das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert. „Wer demokratische Wahlen nicht akzeptiert, hat in der EU nichts verloren“, erklärte Kurz am Dienstag. Die Türkei habe sich seit Jahren - insbesondere seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 - in immer größeren Schritten von der EU entfernt. „Es gibt immer noch starke systematische Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit.“ Kurz gilt schon länger als prominenter Fürsprecher eines offiziellen Abbruchs der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Außenminister Heiko Maas (SPD) hat die Einhaltung demokratischer Grundprinzipien angemahnt. „Die Entscheidung des Hohen Wahlrats, das Ergebnis der Kommunalwahlen in Istanbul für ungültig zu erklären und eine Wahlwiederholung anzuordnen, ist für uns nicht transparent und nicht nachvollziehbar“, erklärte Maas am Dienstag. „Über die Besetzung des Oberbürgermeisteramtes in Istanbul kann und darf allein der Wille der türkischen Wählerinnen und Wähler entscheiden. Die Einhaltung demokratischer Grundprinzipien mit transparenten Wahlbedingungen hat aus unserer Sicht oberste Priorität.“

Die EU rief die Wahlkommission dazu auf, unverzüglich Einblick in die Gründe ihrer Anordnung zu gewähren. „Die Begründung für diese weitreichende Entscheidung, getroffen in einem höchst politisierten Kontext, sollte unverzüglich einer öffentlichen Untersuchung zugänglich gemacht werden“, erklärten die EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini und Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn. Freie, faire und transparente Wahlen seien essenziell für jede Demokratie und auch für die Beziehung zwischen der EU und der Türkei. „Es ist wichtig, dass die Istanbuler Wahlkommission ihre Arbeit in einer unabhängigen, offenen und transparenten Art ausüben kann.“ Internationale Wahlbeobachter müssten auch bei der Neuwahl willkommen sein.

Die Wahlbehörde hatte am Montag die Annullierung der Kommunalwahl vom 31. März angeordnet und eine neue Abstimmung für den 23. Juni angesetzt. Sie gab damit einem Antrag der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan statt, die Beschwerde wegen „Regelwidrigkeiten“ eingelegt hatte. In einem Schreiben an die Parteien nahm die Wahlkommission einen Kritikpunkt der AKP auf, wonach die Wahlräte teils rechtswidrig zusammengestellt worden seien. Ein Einspruch gegen ihren Beschluss ist nicht mehr möglich.

Der Oppositionskandidat Imamoglu hatte die Bürgermeisterwahl in Istanbul äußerst knapp vor Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim gewonnen, der für die AKP angetreten war. Nach dem Einspruch der Regierungspartei und einer Neuauszählung in mehreren Bezirken schrumpfte der Unterschied zwar, Imamoglu lag aber weiter vorne. Die AKP beantragte daraufhin eine Wiederholung der gesamten Abstimmung und forderte unter anderem eine Überprüfung der Wahlhelfer. Obwohl die Wahlbehörde Imamoglu im April zum Bürgermeister erklärt hatte, wird ihm das Mandat nun wieder aberkannt.

Proteste erinnern an Gezi

Am späten Montagabend sagte Imamoglu bei einer Veranstaltung in Istanbul: „Ich verurteile die Hohe Wahlkommission.“ Er sprach von Verrat. Er zeigte sich kämpferisch und rief seinen jubelnden Anhängern zu: „Ihr werdet sehen, wir werden gewinnen.“ Die Menge skandierte „Recht, Gesetz, Gerechtigkeit“ und forderte die Mitglieder der Wahlkommission zum Rücktritt auf. In mehreren Bezirken Istanbuls standen die Menschen an den Fenstern und schlugen auf Töpfe und Pfannen - eine Protestform, die sich während der regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013 etabliert hatte.

Auch der Europarat kritisierte die Entscheidung. Die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen müssten vor dem Wahltag überprüft werden und nicht danach, betonte Generalsekretär Thorbjorn Jagland. „Die Entscheidung des Hohen Wahlrates hat das Potenzial, das Vertrauen der türkischen Wähler in die Wahlbehörden schwer zu beschädigen.“ Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth bewertete die Entscheidung der Wahlkommission als „Ergebnis massivsten Drucks von ganz oben“.

AKP weist Kritik aus dem Ausland zurück

Das türkische Außenministerium wies die „politisch motivierte Kritik“ aus dem Ausland zurück. Auch AKP-Chef Ömer Celik forderte dazu auf, die Entscheidung der Wahlbehörde zu akzeptieren. Laut dem AKP-Politiker Recep Özel, der selbst in dem Gremium sitzt, hatten sieben Kommissionsmitglieder für eine Wiederholung der Wahl gestimmt, vier dagegen. Die Behörde habe unter anderem festgestellt, dass zahlreiche Vorsitzende der Wahlräte und deren Mitglieder keine Beamten waren. Das verstoße nach einer Änderung des Wahlgesetzes vom vergangenen Jahr gegen die Vorschriften. Die AKP hatte damals trotz Einspruchs der Opposition durchgesetzt, dass nur noch Staatsbedienstete den Vorsitz in Wahlräten innehaben dürfen.

Demonstranten protestieren in Istanbul.
Demonstranten protestieren in Istanbul.
© REUTERS

Imamoglu kritisierte, dieselben Wahlräte seien bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen im vergangenen Jahr im Dienst gewesen - und beim Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems, mit dem Erdogan seine Machstellung ausgebaut hatte. Diese Abstimmungen, die Erdogan und seine Partei gewonnen hatten, müssten folglich auch fehlerhaft sein, argumentierte er.

Istanbul wurde bis zum Wahlsieg Imamoglus 25 Jahre lang von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert. Die Niederlage für die AKP war ein Gesichtsverlust für Erdogan, der einst selbst Bürgermeister der Metropole mit rund 16 Millionen Einwohnern gewesen war. Der Staatschef hatte am Samstag erneut deutlich gemacht, dass er die Abstimmung vom März für unrechtmäßig hält. Korruption und Unregelmäßigkeiten bei der Wahl würden schwer auf der Nation lasten. Damit erhöhte er auch den Druck auf die Wahlkommission, dem Antrag auf Annullierung stattzugeben. (dpa, AFP)

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