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Syrien: Gespenstische Ruhe

In Syrien wird nicht mehr gekämpft, aber kaum jemand traut dem Frieden. Ob die Waffenruhe halten wird, muss sich erst noch zeigen. Zu oft schon hat Baschar al Assad sein Wort nicht gehalten.

Noch immer ist die Lage in Syrien fragil. Oft schon hat Machthaber Baschar al Assad getroffene Zusagen gebrochen. Und die Gesamtsituation ist unübersichtlich. Deshalb will kaum jemand der eingetretenen Stille trauen. Dennoch keimte am Donnerstag Hoffnung, dass nach dem Schweigen der Waffen ab 6 Uhr am Morgen doch noch eine diplomatische Lösung des Konflikts nach dem Friedensplan des UN-Vermittlers Kofi Annan möglich ist.

Wie war am Donnerstag die Lage im Land?

Stille hat in Syrien Einzug gehalten. Doch es ist eine gespenstische Ruhe, berichten Augenzeugen Stunden nach Inkrafttreten des Waffenstillstands. In den Straßen der Protesthochburg Homs sind keine Menschen zu sehen, dafür umso mehr Schutt nach den vielen Explosionen. In ganzen Wohnblöcken fehlen die Fensterscheiben. „Hier gibt es ganze Viertel, in denen kein einziger Mensch mehr zu finden ist“, sagte ein Regierungsgegner. Die meisten Bewohner sind schon vor zwei Monaten aus der Stadt geflohen, um ihr Leben zu retten. Auch an anderen Orten trauen sich die Menschen nicht aus ihren Häusern – aus Angst, die überall noch präsenten Soldaten von Präsident Baschar al Assad eröffnen wieder das Feuer. Das Land und seine Menschen sind weit von einem normalen Leben entfernt.

„Scharfschützen, Panzer und Soldaten sind noch da, sie sind nicht abgezogen. Die Leute sind vorsichtig und sie glauben, dass die Waffenruhe nur vorübergehend hält“, sagt Jasan, ein Oppositioneller aus Homs. Ausschnitte aus Videos, die von Aktivisten verdeckt von zerstörten Gebäuden aus oder durch die Löcher zerbombter Betonwände heimlich aufgenommen wurden, gewähren ungewöhnliche Einblicke in das Land, das ausländischen Journalisten den Zugang weitgehend verwehrt. Ein Aktivist aus Homs klagt, es gebe immer noch keinen Strom. Die Lebensmittel sind knapp und die Infrastruktur ist zerstört.

Wie schätzen die UN die Situation ein?

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnete den Waffenstillstand als „sehr zerbrechlich“. Ein einzelner Schuss könnte den verfeindeten Parteien den Vorwand zu neuer Gewalt geben, warnte Ban am Donnerstag in Genf. „Die Situation erscheint ruhig“, sagte er. Er verlangte von der Regierung in Damaskus und von den bewaffneten oppositionellen Kräften, den Waffenstillstand voll zu respektieren. Die Gewalt müsse enden. Ban übte weiteren Druck auf die Regierung von Präsident Assad aus: Das Regime habe schon viele Zusagen gebrochen, Assad müsse jetzt liefern.

Berichte von syrischen Oppositionellen und arabischen Medien, wonach es auch nach Inkrafttreten des Waffenstillstands Tote gegeben habe, kommentierte Ban mit den Worten: „Es ist schwer, die Lage zu beurteilen, ohne Beobachter vor Ort zu haben.“ Die UN wollten so schnell wie möglich eine Beobachtermission in Syrien stationieren. Zunächst müsse aber der UN-Sicherheitsrat die Entsendung einer Mission genehmigen.

Der norwegische General Robert Mood verhandelte unlängst im Auftrag der UN mit dem Militär in Syrien über die mögliche Stationierung von UN-Beobachtern in dem Land. Die Waffenruhe und ihre Überwachung sind Teile des Sechspunkteplans des internationalen Syrien-Sondergesandten Kofi Annan. Annan wollte noch am Donnerstag den UN-Sicherheitsrat in New York über die jüngste Entwicklung informieren. Führende westliche Mitglieder des UN-Entscheidungsgremiums machten bereits klar: Sollte das Assad-Regime den Waffenstillstand brechen und der Friedensplan scheitern, müssten UN-Sanktionen die Antwort sein. Allerdings geht ein Riss durch den Sicherheitsrat: Die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere Mitglieder drängen schon lange darauf, das syrische Regime für seine Grausamkeiten mit einem Strafkatalog zu belegen. Die beiden Vetomächte Russland und China hingegen sperrten sich bislang gegen Syrien-Sanktionen.

Wie geht es jetzt weiter?

Der heutige Freitag wird die Bewährungsprobe sein, ob die Waffenruhe hält. Zunächst einmal wird sich zeigen, ob die Opposition bei den geplanten Demonstrationen nach den Freitagsgebeten tatsächlich viele Leute auf die Straßen bringt oder ob die Angst der Menschen vor erneuten Übergriffen der Regierungstruppen noch zu groß ist. Und dann wird entscheidend sein, wie das Regime reagiert. Noch immer hat die Regierung die schweren Waffen nicht aus den Städten zurückgezogen – entgegen dem Friedensplan. Die Opposition ist überzeugt, dass Assad die Kontrolle über große Teile des Landes verlieren wird, wenn er seinen Sicherheitskräften verbietet, Gewalt anzuwenden.

Während die Türkei für den Schutz ihres Territoriums bereits an die Verantwortung der Nato appellierte, ist auch die Einrichtung einer militärisch gesicherten Pufferzone durch die Türkei auf syrischem Gebiet noch nicht vom Tisch. Nach Zeitungsberichten sehen die Pläne der türkischen Militärs eine Schutzzone in der syrischen Provinz Idlib, jenseits der Grenze in der Provinz Hatay vor. Die meisten der rund 25 000 syrischen Flüchtlinge in der Türkei kamen aus Idlib nach Hatay. Auch die Ankaraner Denkfabrik Orsam hält dies für die erfolgversprechendste Variante. Anders als in anderen Teilen des Grenzgebiets könne die Türkei in diesem Gebiet davon ausgehen, dass die Bevölkerung die Ankunft türkischer Soldaten begrüßen würde. mit rtr

Thomas Seibert

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