Islamgesetz für Deutschland?: Geregelte Religion
In Österreich gibt es seit 1912 ein Islamgesetz, das muslimische Religionsgemeinschaften anerkennt. Jetzt soll es sie stärker kontrollieren helfen. In der Union wird nun überlegt, dies auchauf Deutschland zu übertragen.
Die Österreicher haben es seit mehr als 100 Jahren – aber braucht auch Deutschland ein Islamgesetz? In der Union gibt es dazu offenbar Überlegungen. Nach Informationen des Tagesspiegels ist derzeit eine kleine Arbeitsgruppe in Gründung, der ein halbes Dutzend Politikerinnen und Politiker aus Bund und Ländern angehören. Sie wollen sich demnach auch damit beschäftigen, was von den österreichischen Plänen – die Novelle des alten Gesetzes wird zurzeit im Parlament in Wien beraten – auf Deutschland übertragbar wäre. Bestätigen will die Existenz der Gruppe keines der mutmaßlichen Mitglieder, Regelungsbedarf allerdings sieht etwa der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn schon: „Es stellen sich jedenfalls eine Reihe von Fragen zum Islam in Deutschland“, sagte er dem Tagesspiegel. „So kann es nicht dauerhaft richtig sein, dass noch immer ein Großteil der Imame in deutschen Moscheen kein Wort Deutsch spricht und nur für einen begrenzten Zeitraum aus der Türkei rübergeschickt wird. Ziel muss es sein, dass deutlich mehr Imame und Religionslehrer als bisher auch hier in Deutschland ausgebildet wurden.“
Was ist in Österreich geplant?
Der Einfluss ausländischer Geistlicher – und ausländischen Geldes – ist tatsächlich einer der wesentlichen und kontroversen Punkte in der Neufassung des österreichischen Islamgesetzes. In Paragraf 6 der Novelle, in dem es um „Verfassungen islamischer Religionsgesellschaften“ geht, wird beides praktisch verboten. Im Text heißt es: „Die Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder hat durch die Religionsgesellschaft, die Kultusgemeinden bzw. ihre Mitglieder im Inland zu erfolgen.“
Im gleichen Paragrafen sichert sich der Staat die Aufsicht über Glaubensinhalte: Er verpflichtet die muslimischen Gemeinschaften, ihm eine „Darstellung der Lehre“ vorzulegen, „einschließlich eines Textes der wesentlichen Glaubensquellen (Koran), der den Inhalt in deutscher Sprache wiedergibt“. Und er schreibt ihr ihre Personalpolitik vor: „Eine Religionsgesellschaft und die Kultusgemeinden haben Funktionsträger und -trägerinnen, einschließlich religiöser Funktionsträger und -trägerinnen, die durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind oder durch ihr Verhalten die öffentliche Sicherheit, Ordnung, Gesundheit und Moral oder die Rechte und Freiheiten anderer nachhaltig gefährden, ihrer Funktionen zu entheben.“
Im Gegenzug garantiert das Gesetz unter anderem die Ausbildung religiösen Personals – ab 2016 sollen dafür bis zu sechs wissenschaftliche Lehrkräfte in einem Institut an der Universität Wien zur Verfügung stehen – und schützt sowohl die Herstellung von Speisen nach den islamischen Vorschriften, also etwa das Schächten von Schlachttieren, wie auch hohe islamische Festtage. „Islamischen Feiertagen wird der Schutz des Staates gewährleistet“, heißt es im Entwurf. „Ihre Termine richten sich nach dem islamischen Kalender.“ Die im Text genannten acht Tage – dabei sind auch alevitische Festtage – werden dadurch zwar nicht zu offiziellen Feiertagen, die nichtmuslimische Gesellschaft muss aber auf sie Rücksicht nehmen; Moscheen zum Beispiel sind dann gegen Volksfeste, Umzüge oder andere lautstarke Veranstaltungen geschützt.
Wie kam es zu dem Gesetz?
Österreichs Islamgesetz stammt von 1912 und ist bis heute ein Unikum in Westeuropa. Es war die Reaktion auf einen plötzlichen Zuwachs an muslimischen Untertanen der ohnehin multikulturellen K.u.K.-Monarchie. Sie hatte 1878 das bis dahin osmanische Bosnien okkupiert, 1908 wurde es der Donaumonarchie auch formal einverleibt. Die ursprüngliche Fassung des Gesetzes spiegelt diese Entstehungsgeschichte, indem es sich ausdrücklich auf die sogenannte hanafitische Rechtsschule des Islam bezieht, die damals in Bosnien dominierte. Das Islamgesetz anerkannte die Muslime als Religionsgemeinschaft und erlaubte ihnen die Selbstverwaltung. Seit 1912 gab es für bosnische Soldaten auch Imame als Militärgeistliche in der Armee – was auch die jetzt diskutierte Neufassung ihnen wieder garantiert. Mit dem Untergang der Monarchie im Ersten Weltkrieg und der Gründung der Republik kam dem viel kleineren Österreich das Gros jener bosnischen muslimischen Bürger abhanden, das Gesetz hatte kaum noch Bedeutung. Das hat sich mit der Arbeitsmigration seit den 60er Jahren, parallel der nach Deutschland und anderen mittel- und nordeuropäische Staaten, geändert. Der Gesetzgeber passte das Gesetz 1979 der neuen Wirklichkeit und der wachsenden Gemeinde an: Von Hanafiten ist seitdem nicht mehr die Rede im Gesetz, es gilt jetzt für alle Muslime, die in Österreich leben. Im selben Jahr entstand die „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGiÖ), die als anerkannte Religionsgemeinschaft seither die Ansprechpartnerin des Staates ist.
Was ließe sich für Deutschland lernen?
Die Basis des österreichischen Gesetzes von 1912 ist eine Art Zwangszusammenschluss der Muslime gewesen – was heute im Großverband IGGIÖ weiterwirkt, neben dem es weitere muslimische Vereinigungen gibt. Gegen eine stärkere Zentralisierung, die Gründung einer islamischen Quasi-Kirche allerdings haben sich die Muslime in Deutschland in den Debatten der vergangenen Jahre immer gewehrt. Die vier größten Verbände sind seit 2007 lediglich locker im „Koordinationsrat der Muslime“ zusammengeschlossen. Nach Vereinbarungen in einzelnen Bundesländern – zum Beispiel über islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen oder auch zur Etablierung von islamischer Theologie an sechs deutschen Universitäten – scheint das Problem und der Vorwurf weitgehend entschärft, der Islam biete dem Staat keine klaren Ansprechpartner.
Der Münchner Religionsverfassungsrechtler Christian Walter sieht in Österreich schon durch das alte Islamgesetz eine andere Ausgangslage. Da habe es womöglich nahegelegen, es zu modernisieren. Ein eigenes Islamgesetz schafft aus seiner Sicht aber auch Voraussetzungen für doppelte Standards: „Problematisch scheint mir vor allem die Möglichkeit der Diskriminierung“, sagt Walter und nennt die Pflicht zur Absetzung verurteilter Funktionsträger in der Neufassung des Wiener Gesetzes. „Gibt es eigentlich auch für katholische Geistliche eine vergleichbare Pflicht, sie ihrer Ämter zu entheben, wenn sie zu einer bestimmten Haftstrafe verurteilt wurden?“ Ein Religionsgesetz, sagt Walter, „sollte den betroffenen Religionsgemeinschaften gegenüber neutral formuliert sein“.
Außerdem, so sagt der Münchner Professor, müsse man „nach dem Mehrwert“ eines solchen Gesetzes fragen. „Was will man damit erreichen?“ Zum Beispiel die Pflicht der Religionsgemeinschaft, die zitierten „wesentlichen Glaubensquellen“ offenzulegen: „Wer wird schon eine problematische Koranübersetzung einreichen?“ fragt Walter. „Und wer will auf staatlicher Seite entscheiden, ob die, die sie vorlegen, sich wirklich an sie halten?“
Was sagen die organisierten Muslime?
Kein Geld mehr aus dem Ausland – das dürfte in Deutschland in großem Maßstab vor allem die türkisch-islamische Ditib treffen, für deren Imame auch in Deutschland das Ankaraer Religionsamt sorgt. Aber auch viele andere ethnische Moscheegemeinden nutzen mangels eigener Masse Hilfe aus den Heimatländern. Die Ausbildung von theologischem Nachwuchs ist allerdings an deutschen Hochschulen bereits angelaufen – und der sieht seine berufliche Zukunft sowieso in Deutschland und wird von den meisten Gemeinden dringend erwartet.
Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga reagiert im Gespräch mit dem Tagesspiegel reserviert auf die Idee eines deutschen Islamgesetzes. In der Deutschen Islamkonferenz, die es inzwischen seit fast einem Jahrzehnt gibt, habe man darüber nie geredet. „Und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand dies im Alleingang und ohne Abstimmung dort plant.“
Was die Eingriffsrechte in die Organisation und Inhalte der muslimischen Gemeinden angeht, die das neue Gesetz dem österreichischen Staat zugestehen will, hält Alboga die deutsche Rechtsordnung für ausreichend klar: „Nach der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sind die Zuständigkeiten genau geregelt. Der Staat kümmert sich um das Seine, die Religionsgemeinschaften kümmern sich um ihre religiösen Angelegenheiten. In Inhalte der Religion darf sich der Staat nicht einmischen.“
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