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Es wird wieder gebummelt, wie hier in Frankfurt Main
© Ralph Peters / Imago Images

Läden klagen gegen 800-Quadratmeter-Regel: Gerechtigkeit ist derzeit schwer zu bekommen

Bayerns Justiz kippt die 800-Quadratmeter-Grenze für den Einzelhandel. Auch woanders wird sie nicht überdauern. Dennoch ist Abstufung nötig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Lange hat sich die Justiz gefügt, jetzt wird sie aufmüpfig in Sachen Corona-Restriktionen. Dass Händler sich angesichts der Virengefahr auf 800 Quadratmeter zu beschränken haben, hält der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für verfassungswidrig. Zuvor hatte ein Hamburger Gericht ähnlich entschieden.

Anderswo wurde die Regelung dagegen bestätigt. Auf eine Linie ist die Rechtsprechung kurzfristig kaum zu bringen. In solchen Eilverfahren ist der Weg zum Bundesgericht weitgehend versperrt. In einigen Ländern könnten Großgeschäfte nun Glück, in anderen Pech haben.

Es dürfte voller werden in den Einkaufszonen

Ist das gerecht? Natürlich nicht. Genauso wenig gerecht wie die Festlegung auf 800 Quadratmeter. Sie stammt aus Urteilen zum Baurecht und gilt als Schwellenwert für großflächigen Einzelhandel. Es geht dort um Stadtentwicklung, nicht um Infektionsschutz. Die Länder-Verordnungen haben ihn im Bemühen um Einheitlichkeit gewählt, weil sie hofften, den Andrang in den Innenstädten vorerst mäßigen zu können. Zudem glaubt man wohl, ein Warenhaus komme vielleicht besser über den Lockdown als die Boutique um die Ecke.

Gerechtigkeit ist schwer zu bekommen derzeit. Gewiss können auch Kaufhäuser und Großfilialisten auf Hygiene achten und den Kundenverkehr begrenzen. Trotzdem dürfte es bald wieder voller werden in den Einkaufszonen. Und damit infektiöser. Zugleich steigt mit der Masse der Anspruch, versorgt zu werden. Warum sind die Cafés noch zu? Und wo bekomme ich den Lunch nach dem Bummel?

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Die 800er-Grenze mag daher als rechts- oder verfassungswidrig verurteilt werden, ganz falsch in der gegenwärtigen Situation war sie nicht; sie gibt etwas Aufschub, lässt die Entwicklung besser beobachten. Zudem war sie von Anfang an als Zwischenstufe konzipiert. Das akzeptiert auch die bayerische Justiz und lässt die Regelung formal bestehen. Anfang Mai soll sie ohnehin auslaufen, eine Verlängerung ist unwahrscheinlich; der erwünschte Föderalkonsens ist mit dem Gerichtsbeschluss erledigt.

Es spricht einiges dafür, wieder mutiger zu werden

Nicht erledigt ist das eigentliche Problem, die empfindliche Balance zwischen Kommerz und Krankheit. Schwierig ist, sich nach dem verordneten Stillstand wieder zu bewegen, ohne vom Seil zu fallen. Gerichtsurteile sind hier, ähnlich dem guten Rat der Virologie, nur eine Handreichung. Gehen müssen wir selbst. Und damit auch darüber entscheiden, welche Lockerungen die richtigen sein sollen, damit es nicht zu locker wird.

Hier spricht derzeit einiges dafür, mutiger zu werden. Politik darf auch mit guten Entwicklungen kalkulieren, und leer gebliebene Betten auf Intensivstationen sind eine davon. Doch natürlich kann auch der nächste Lockdown drohen. Er dürfte, auch dank der Prozesse um die 800 Quadratmeter, umsichtiger ausgestaltet werden als der erste.

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