Koalitions-Problem Grundrente: Geplantes Spitzentreffen wegen offener Fragen verschoben
Die große Koalition wollte am Montag endlich ihren Streit um die Grundrente beenden. Doch eine Einigung ist offenbar weiterhin nicht in Sicht.
Die Spitzen der großen Koalition haben überraschend ihr für Montagabend geplantes Treffen zur Beilegung des Streits um die Grundrente auf den 10. November verschoben.
Ein SPD-Sprecher sagte: „Die Arbeitsgruppe hatte sehr gute Vorarbeit geleistet, aber es gibt noch Klärungsbedarf. Die SPD bleibt zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommt.“ Ein CDU-Sprecher sagte, die Arbeitsgruppe der Koalition habe wichtige Vorarbeiten geleistet und Positionen aufeinander zubewegt. Es gebe aber noch offene Punkte.
Wie die Deutsche Presse-Agentur aus SPD-Kreisen erfuhr, ging die Verschiebung des Spitzentreffens von der Union aus.
Unterhändler beider Seite hatten sich am Wochenende nach Angaben aus der Koalition bemüht, die letzten Hürden zu überwinden und die Kosten unterschiedlicher Grundrenten-Modelle durchzurechnen.
Streitpunkt Bedürftigkeitsprüfung
Führende CDU-Politiker hatten allerdings schon am Samstag Berichte über eine Grundsatzeinigung dementiert, derzufolge die Union ihre Forderung nach einer Bedürftigkeitsprüfung aufgegeben habe.
Eine „entscheidende Rolle“ bei dem angestrebten Kompromiss werde der Prüfung des Einkommens zufallen, erklärte CDU-Verhandlungsführer Hermann Gröhe. Dabei solle bei Ehepaaren auch das Einkommen des Partners berücksichtigt werden, nicht jedoch selbst genutztes Wohneigentum. Gröhe sprach nicht mehr von einer Bedürftigkeitsprüfung, sondern von einer „am tatsächlichen Bedarf ausgerichteten Ausgestaltung einer Grundrente“.
Spahn stellt drei Bedingungen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich am Samstag mit drei Bedingungen für eine Grundrenten-Einigung zu Wort gemeldet. Erste Bedingung sei eine „harte Einkommensprüfung als Bedürftigkeitsprüfung“, schrieb Spahn auf Twitter. Sie solle sicherstellen, „dass nur Rentner unterstützt werden, die trotz mehr als 35 Jahren Arbeit sehr wenig zum Leben haben“.
Spahn nannte als zweite Bedingung eine Begrenzung der Gesamtausgaben, wobei er keine konkrete Summe erwähnte. Drittens forderte er Maßnahmen zur Konjunkturförderung - etwa eine Senkung der Unternehmenssteuer. Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft sei die Voraussetzung für jede Rente. „Vor dem Verteilen kommt immer das Erwirtschaften.“
„Ohne Bedürftigkeitsprüfung weder sozial noch gerecht“
Der Vorsitzende der „Jungen Gruppe“ in der Unions-Fraktion, Mark Hauptmann, sagte dem „ZDF-Hauptstadtstudio“ am Sonntag: „Wir als 'Junge Gruppe' lehnen eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung ab, weil diese weder sozial noch gerecht ist. Es werden die Kosten einer jungen Generation für viele Jahre in die Zukunft aufgebürdet – und es werden neue Ungerechtigkeiten geschaffen.“ Die Union sollte sich keinen Millimeter wegbewegen von dem, was im Koalitionsvertrag vereinbart sei, nämlich eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung.
Dreyer: „Niemand soll einen riesigen Stapel an Formularen ausfüllen müssen“
Die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer zeigte sich zuversichtlich, dass es bald eine Einigung geben könne. Auch Dreyer nannte Bedingungen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Die Grundrente soll für mehr Gerechtigkeit sorgen und automatisch gezahlt werden.“ Niemand solle „zum Amt gehen und einen riesigen Stapel an Formularen ausfüllen müssen“.
Der SPD gehe es nicht um eine Sozialleistung, sondern um die Anerkennung von Lebensleistung. Wer 35 Jahre für einen geringen Lohn gearbeitet habe, müsse im Alter mehr haben als die Grundsicherung.
Grundlegende Einigkeit: Wer 35 Jahre Beiträge gezahlt hat, muss mehr als Grundsicherung bekommen
Die Arbeitsgruppe der Koalition hatte bis zum frühen Freitagmorgen getagt. Danach hieße es aus Koalitionskreisen, zwar solle auf das Wort „Bedürftigkeitsprüfung“ verzichtet werden – die Finanzämter sollten aber „das zu versteuernde Einkommen“ den Berechnungen zugrunde legen. Das könnte bedeuten, dass steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalerträgen oder aus Mieten und Verpachtungen mitberücksichtigt werden.
Einigkeit besteht darüber, dass alle, die 35 Jahre an Beitragszeiten aufweisen, eine Rente zehn Prozent oberhalb der Grundsicherung bekommen. Allerdings streiten Union und SPD seit Monaten darüber, wer genau den Rentenaufschlag erhalten soll.
Eigentlich hatte die Grundrente noch vor der Landtagswahl in Thüringen am vergangenen Sonntag kommen sollen. Thüringens CDU-Chef Mike Mohring hatte im September im Tagesspiegel gesagt, die Grundrente sei für viele Ostdeutsche ein „existenzielles Thema“. (AFP/dpa/tsp)