Burka-Debatte: "Genderfragen sind unglaublich wichtig für Europas Identität"
Vollverschleierte Frauen sind in Europa höchst selten. Worum geht es in der Burka-Debatte also? Darum, wie Europa sich selbst sieht, sagt die Soziologin Gökce Yurdakul.
Kaum vollverschleierte Frauen in Europa, dennoch wird sogar in Island über ein Burka-Verbot debattiert. Für die Berliner Soziologie-Professorin Gökce Yurdakul ist die Burka-Debatte, die Anfang der Woche auch hier wieder hochkochte, eine um Identität. Deutschland sei dabei allerdings relativ spät, das Thema werde anderswo, zum Beispiel in Frankreich, „schon länger zum Aufbau einer französischen und europäischen Identität genutzt“, sagte Yurdakul dem Tagesspiegel. Ihr zusammen mit Anna Korteweg verfasstes Buch zum Thema ist gerade erschienen (The Headscarf Debates. Conflicts in National Belonging).
„Genderfragen sind unglaublich wichtig für die europäische Identitätsdebatte. Die Gleichheit der Geschlechter ist darin ein zentraler Wert.“ Die Frau in der Burka stehe für das Gegenteil von Gleichheit, das Verbot ziele aber „stark auf muslimische Männer, denen man vorwirft, ihre Frauen in diese Kleidung, also zur Unterordnung, zu zwingen“. Darin werde die „alte kolonialistische Geschichte“ der Entschleierung fortgeschrieben. „Sie war ein wesentliches Merkmal der europäischen Kolonisation“, sagt Yurdakul. „Wie die postkoloniale Theoretikerin G.C. Spivak es ausdrückte: Weiße Männer retten braune Frauen vor braunen Männern.“
Gleichzeitig biete die Burka sich auch an als „ starkes Zeichen der Gefahr, die Europa angeblich durch den Islam droht“. Und sei nützlich dafür, lästige Fragen abzublocken - Yurdakul verweist auf die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Der deutsche Gender Pay Gyp ist mit 22 Prozent einer der höchsten in Europa.
Yurdakul sieht auch im Zeitpunkt der neuen Debatte ein Zeichen für deren Rolle in der Politik der Identitätsstiftung: „Es ist sicher kein Zufall, dass die Burka-Debatte genau zu dem Zeitpunkt losgetreten wird, da der Integrationsgipfel über Diskriminierung gegen Einwanderer auf dem Arbeitsmarkt spricht.“ Einerseits wolle Merkels CDU auch muslimische Stimmen. „Um die konservative Kernklientel nicht zu verprellen, wird aber eine Gegenbotschaft platziert.“
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