G20 in der Türkei: Gemeinsamer Kampf für den Frieden in Syrien
Pufferzone, Bodentruppen: Die 20 größten Wirtschaftsnationen der Welt beraten in Antalya, wie der IS am wirkungsvollsten bekämpft werden kann.
Nach der Terrornacht von Paris rückt die Frage nach einer internationalen Intervention in Syrien als Antwort auf die Anschläge des „Islamischen Staates“ (IS) auf die Tagesordnung. US- Präsident Barack Obama kündigte zu Beginn des zweitägigen G-20-Gipfels im türkischen Badeort Antalya ein verstärktes militärisches Vorgehen gegen den IS sowie intensivere Bemühungen um eine Friedenslösung für Syrien an. Der türkische Staatschef und G-20-Gastgeber Recep Tayyip Erdogan sagte, vom Gipfel werde eine „sehr starke und robuste“ Botschaft gegen den Terror ausgehen. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Westen und Russland halten jedoch an.
Ankara plädiert für eine Pufferzone an der Grenze
Als direkter Nachbar des Krisenlands Syrien – der Konflikt tobt nur eine knappe Flugstunde vom Tagungsort in Antalya entfernt – spielt die Türkei eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des IS. Am Vorabend des Gipfels erschossen türkische Soldaten an der syrischen Grenze vier IS-Mitglieder, die sich der Demarkationslinie genähert hatten. Laut Medienberichten soll einer der Getöteten ein Mitglied des IS-Führungskaders gewesen sein. In der türkischen Stadt Gaziantep in der Nähe der Grenze sprengte sich ein IS-Aktivist während einer Polizeiaktion in die Luft. Erdogan hatte schon vor den Pariser Anschlägen angekündigt, dass er beim Treffen der 20 stärksten Wirtschaftsnationen der Welt in Antalya erneut für die Einrichtung einer militärisch gesicherten Schutzzone in Syrien werben will. Dadurch könne der IS vollständig von der 900 Kilometer langen Grenze zur Türkei zurückgedrängt werden, sagen türkische Regierungspolitiker.
Ankara argumentiert, in das durch gemäßigte Rebellen und ein Flugverbot gesicherte Gebiet in Nord-Syrien könnten mehrere hunderttausend Flüchtlinge aus der Türkei und anderen Staaten zurückkehren. Die Türkei strebt die Einrichtung der Pufferzone auch an, um die Autonomiebestrebungen der syrischen Kurden zu stoppen, die den IS aus den meisten anderen Grenzgebieten verdrängt haben. Laut Presseberichten will Ankara einen etwa 100 Kilometer langen und 20 bis 30 Kilometer in syrisches Gebiet hineinragenden Streifen entlang der Grenze und nördlich der syrischen Millionenstadt Aleppo als Schutzzone absichern.
Erdogan wird mit Putin reden
Erdogan berichtete zuletzt von zunehmender Zustimmung zu dem Plan unter den westlichen Partnern. Ein UN-Beschluss für das Vorhaben ist allerdings nicht in Sicht, unter anderem wegen des Widerstandes von Russland als wichtigstem Verbündeten des syrischen Staatschefs Baschar al Assad. Erdogan will in Antalya deshalb mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin reden.
Putin sagte in Antalya, der Kampf gegen den Terror und die Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise könnten nur gemeinsam bewältigt werden. Putins Sprecher Dmitri Peskow betonte, es sei noch zu früh um abschätzen zu können, ob die Terrornacht von Paris den Westen und Russland zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen den IS bewegen werde. EU-Ratspräsident Donald Tusk rief die G20 zu konkreten Schritten auf. „Frankreich erwartet Taten“, sagte Tusk. In einem indirekten Hinweis auf Russland forderte er „jeden der G20-Anführer“ dazu auf, sich bei Militäreinsätzen in Syrien auf die Terrormiliz IS zu konzentrieren. Unabhängig von einer Einigung mit Moskau fasst der Westen offenbar verstärkte Angriffe auf die Dschihadisten ins Auge. Obama sagte nach einem Treffen mit Erdogan in Antalya, die USA würden ihre Anstrengungen verdoppeln, den IS zu „eliminieren“. Bisher greifen US-Kampfjets den IS im Norden Syriens an. Ob nun auch eine Bodenoffensive anvisiert wird, blieb unklar. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte vor dem Gipfel erklärt, die Türkei schließe eine Beteiligung an einer Intervention mit Bodentruppen in Syrien im Rahmen einer internationalen Aktion nicht aus.
In Berlin wird über Militäreinsatz debattiert
Auch in der Berliner Koalition wird über ein verstärktes Engagement im Kampf gegen den IS debattiert. Der CDU-Außen- und Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sagte dem Tagesspiegel, die Zeit der Symbolpolitik sei vorüber. Deutschland solle prüfen, Aufklärungsflugzeuge zur Unterstützung des Luftkrieges gegen die Islamisten bereitzustellen. Den Einsatz von Bodentruppen schließt er jedoch aus. „Die müssen aus der Region selbst kommen.“ Kiesewetter plädiert außerdem dafür, Syriens Nachbarn Libanon und Jordanien zu stabilisieren – durch Hilfen für die dortigen Flüchtlingslager, aber auch durch Unterstützung bei der Grenzsicherung. „Diese Staaten stehen vor dem Kollaps, wir müssen daher alles tun, um zu verhindern, dass dort Terroristen einsickern – auch im Interesse Israels.“ Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, der SPD-Politiker Wolfgang Hellmich, sagte dagegen, mit militärischen Mitteln sei das Problem nicht zu lösen. „Wir sehen ja, dass die Luftschläge nicht den gewünschten Erfolg haben “, sagte Hellmich dem Tagesspiegel. Nur eine Stärkung politischer Foren für den Irak und Syrien könnten Frieden in die Region bringen.
Syrienkonferenz in Wien: Fahrplan Richtung Frieden
Schon bei der Syrienkonferenz in Wien war deutlich geworden, dass die Staatengemeinschaft nun viel daran setzt, eine politische Lösung für das Kriegsland zu finden. Das Treffen der Diplomaten am Samstag begann dann auch mit einer Schweigeminute für die Opfer von Paris. Und dem erklärten Willen, sowohl das Blutvergießen in Syrien endlich zu beenden als auch das Vorgehen gegen den IS besser zu koordinieren.
So vereinbarten die Teilnehmer des Treffens – unter ihnen die regionalen Erzrivalen Iran und Saudi-Arabien – einen Fahrplan in Richtung Frieden. Dieser sieht vor, dass möglichst rasch ein Waffenstillstand zwischen dem Assad-Regime und moderaten Aufständischen vermittelt wird. In einem nächsten Schritt sollen Regierung und Opposition ab Anfang 2016 über eine Interimsregierung verhandeln. Inwieweit daran islamistische Gruppen beteiligt werden, ist unklar. Innerhalb von 18 Monaten könnte es dann Neuwahlen geben. An denen würden laut den Vorstellungen der in Wien versammelten Staaten auch die Millionen Flüchtlinge teilnehmen.
Noch wie vor uneins sind sich vor allem die USA und Russland über einen möglichen Machtverzicht Assads. Moskau will am syrischen Herrscher festhalten und sieht ihn sogar als Bestandteil einer möglichen Übergangsregierung. Washington lehnt das strikt ab.
Einig war man sich in Wien allerdings, dass der Kampf gegen den IS und andere Extremistengruppen unvermindert weitergehen, am besten intensiviert werden muss. Die Anschläge von Paris würden die Staatengemeinschaft darin bestärken, gemeinsam gegen die Terrorgruppe vorzugehen, hieß es. Das ist nach Auffassung von Experten dringend notwendig. Die Last der Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien tragen die USA fast allein. Vor allem die arabischen Verbündeten Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien haben sich stillschweigend aus dem Bündnis zurückgezogen. Und die Türkei attackiert lieber die Kurden als den „Islamischen Staat“.