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Umstrittener Gipfelgastgeber: Der türkische Prasident Recep Tayyip Erdogan.
© OZAN KOSE/AFP

G-20-Gipfel in der Türkei: Im Schatten des Terrors

Vor dem G-20-Gipfel in der Türkei lebt der Streit über das Verhältnis Ankaras zur Terrormiliz IS neu auf.

Nach der Terrornacht von Paris rückt beim G-20-Gipfel in der Türkei an diesem Sonntag und Montag die Frage nach einer internationalen Antwort auf die Anschläge des "Islamischen Staates" (IS) auf die Tagesordnung. Der türkische Präsident und G-20-Gastgeber Recep Tayyip Erdogan rief zu einer gemeinsamen Haltung gegen den Terror auf. Gleichzeitig wurden wieder Vorwürfe gegen die Erdogan-Regierung wegen ihrer angeblichen Unterstützung für radikale Gruppen in Syrien laut.

Der angesehene türkische Kommentator Murat Yetkin forderte, die zum G-20-Gipfel anreisenden Spitzenpolitiker aus aller Welt müssten sich nach den Ereignissen von Paris klar sein, dass es sich um einen Wendepunkt handele, nach dem "nichts mehr so ist wie vorher". Der Kampf gegen den IS sei spätestens seit Freitagabend nicht mehr auf den Nahen Osten beschränkt und werde sich auch nicht mehr nur mit Luftangriffen und mit der Unterstützung "gemäßigter" Rebellen in Syrien führen lassen. Gebraucht werde eine gemeinsame Strategie, die neben militärischen auch politische und psychologische Dimensionen haben müsse.

Erdogan betonte mit Blick auf die Anschläge von Paris, sein Land fordere schon seit langem eine gemeinsame Front gegen den Terrorismus. In Anspielung auf türkische Vorwürfe einer Unterstützung für die kurdischen PKK-Rebellen in einigen europäischen Staaten fügte Erdogan laut Präsidialamt hinzu, es müsse Schluss sein mit der Haltung wonach "mein Terrorist gut und deiner böse ist".

Schon vor den Pariser Anschlägen hatte Erdogan erkennen lassen, dass er beim G20-Gipfel von Antalya erneut für die Einrichtung einer militärisch gesicherten Schutzzone in Syrien werben will. Dadurch könne der IS vollständig von der 900 Kilometer langen Grenze zur Türkei zurückgedrängt werden, sagen türkische Regierungspolitiker.

Ankara argumentiert, in das durch gemäßigte Rebellen und ein Flugverbot gesicherte Gebiet in Nord-Syrien könnten mehrere hunderttausend Flüchtlinge aus der Türkei und anderen Staaten zurückkehren. Zudem soll die Zone als Rückzugs- und Ausbildungsarreal für Rebellentruppen dienen. Die Türkei strebt die Einrichtung der Pufferzone auch an, um die Autonomiebestrebungen der syrischen Kurden zu stoppen. Mit Argwohn beobachtet Ankara die Hilfe der USA für die YPG-Miliz der syrischen Kurden, die als wirksame Bodentruppe im Kampf gegen den IS gelten.

Türkei plant Schutzzone - Bereitschaft der Verbündeten wächst

Laut Presseberichten will die Türkei einen etwa 100 Kilometer langen und 20 bis 30 Kilometer in syrisches Gebiet hineinragenden Streifen entlang der türkischen Grenze und nördlich der syrischen Millionenstadt Aleppo als Schutzzone absichern. Ein UN-Beschluss für das Vorhaben ist allerdings nicht in Sicht.

Lange hatte die Türkei vergeblich bei ihren westlichen Partnern für die Schutzzone geworben – jetzt wachse bei den Verbündeten die Bereitschaft, diesen Plan umzusetzen, sagte Erdogan vor den Pariser Gewalttaten im US-Sender CNN. Allerdings lehnt Russland, Verbündeter des syrischen Präsidenten Baschar al Assad, den türkischen Plan ab. Erdogan will in Antalya mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin reden. Am Abend des ersten Gipfeltages am Sonntag kommt Erdogan zudem zu einem Einzeltreffen mit US-Präsident Barack Obama zusammen.

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte in den vergangenen Tagen erklärt, die Türkei schließe eine Beteiligung an einer Intervention mit Bodentruppen in Syrien im Rahmen einer internationalen Aktion nicht aus. Türkische Twitter-Nutzer diskutierten am Samstag über die Frage, ob die IS-Anschläge in Frankreich nun eine großflächige Intervention auslösen könnte. Einige Oppositionsmedien in der Türkei meldeten verstärkte Truppenbewegungen türkischer Militäreinheiten an der Grenze zum Nachbarland.

Auch die Flüchtlingskrise in Europa, ein weiteres wichtiges Gipfelthema in Antalya, erscheint nach Einschätzung türkischer Beobachter nach der Gewaltnacht von Paris in einem neuen Licht. Fahrettin Altun von der regierungsfreundlichen Denkfabrik Seta sagte, die EU-Staaten würden nun wahrscheinlich wieder eine abweisendere Position hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen einnehmen. Ankara und Brüssel hatten im Vorfeld des Gipfels über eine Vereinbarung in der Flüchtlingsfrage gesprochen. Sie sieht im Gegenzug für stärkere Bemühungen Ankaras zur Eindämmung der Abwanderung von Syrern nach Europa finanzielle Hilfe und Reiseerleichterungen für die Türkei vor.

Kritiker werfen der Türkei vor, Extremisten ermutigt zu haben

Während sich die türkische Regierung auf den Gipfel in Antalya vorbereitete, erneuerten Oppositionspolitiker ihren Vorwurf, die Türkei habe unter Erdogan in den vergangenen Jahren zumindest zeitweise radikalislamistische Gruppen unterstützt. Die legale Kurdenpartei HDP verwies darauf, dass IS-Anhänger in den vergangenen Monaten bei Selbstmordanschlägen in Ankara und der Stadt Suruc an der syrischen Grenze fast 150 kurdische und linke Aktivisten getötet hätten.

Noch vor zwei Jahren habe Ankara den IS und Gruppen wie die zu Al Kaida gehörende Nusra-Front in Syrien offen unterstützt und lastwagenweise mit Waffen versorgt, sagte HDP-Chef Selahattin Demirtas. Bis heute sei die Türkei ein bequemer Rückzugsraum für die Dschihadisten. Bisher greife der IS in der Türkei auch nur Regierungsgegner an. Demirtas erinnerte daran, dass Ministerpräsident Davutoglu die IS-Kämpfer vor nicht allzu langer Zeit noch als "wütende Jugendliche" verharmlost habe.

Kritiker innerhalb und außerhalb werfen der Türkei vor, radikal-sunnitische Gruppen wie den IS oder die Nusra-Front in der Hoffnung unterstützt zu haben, dass die Extremisten den Sturz der Assad-Regierung in Damaskus beschleunigen könnten. Die Regierung in Ankara weist dies zurück und betont, die Türkei betrachte den IS als Bedrohung der nationalen Sicherheit.

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