Rio+20: Gemeinsam handeln für die Umwelt - zumindest ein bisschen
Rio+20 war mit seinen mehr als 45.000 Teilnehmern der größte UN-Gipfel aller Zeiten. Aber was wurde auf der Konferenz erreicht? Eine Bilanz.
Achim Steiner hätte sich mehr vorstellen können. Vier Jahre lang hat der Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) den Weltnachhaltigkeitsgipfel Rio+20 inhaltlich mit vorbereitet. Ohne die von Unep angestoßene Diskussion über eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise (Green Economy) wären die Ergebnisse im Gipfeldokument, das am Freitagabend vom Gipfel-Plenum gebilligt wurde, noch magerer ausgefallen. Das Dokument zeige vor allem eines, „wie weit die Weltgemeinschaft bereit ist, gemeinsam zu handeln“, oder eben gerade nicht. Das sagte Steiner nicht, es war aber gemeint. Steiner lobte das Papier dennoch, denn es enthalte „viele Aspekte“, auf denen sich aufbauen ließe. Mit anderen Worten: Niemand wird daran gehindert, zu handeln.
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Achim Steiner appellierte an Länder, die mehr dafür tun wollen, dass sich die Welt nicht mehr „in die komplett falsche Richtung entwickelt“. Genau das hat auch Umweltminister Peter Altmaier in seiner ersten Rede vor einem internationalen Gipfel angekündigt. Er will progressive Staaten zusammenbringen, um aus der deutschen Energiewende ein internationales Phänomen zu machen und er kann sich ähnliches für den Meeresschutz vorstellen. Da würde er bei Julia Gillard, der australischen Premierministerin, vermutlich offene Türen einrennen. Denn Australien hat gerade drei Millionen Quadratkilometer zu Meeresreservaten gemacht. Im übrigen hofft Gillard, dass die Welt sich schnell auf Meeresschutzgebiete auch außerhalb von Landesgrenzen, also auf Hoher See, einigt. Gillard kündigte an, ihr Land werde seine Entwicklungsmittel in den kommenden fünf Jahren um 60 Prozent erhöhen.
Dagegen stellte der indische Premierminister Manmohan Singh lediglich fest, dass „die Konsummuster in den Industriestaaten nicht nachhaltig sind“, was stimmt. Allerdings sah er dabei großzügig über die Konsummuster der wachsenden indischen Mittelschicht hinweg, deren Exzesse kaum hinter denen in Europa oder den USA zurückstehen. Im übrigen verlangte Singh, wie viele andere Staatschefs aus Entwicklungsländern, eine „Neuorientierung bei den intellektuellen Besitzrechten“, also Patenten oder anderen Regeln des Urheberschutzes.
Der größte UN-Gipfel aller Zeiten
Wenn Rio+20, mit seinen mehr als 45 000 Teilnehmern der größte UN-Gipfel aller Zeiten, später einmal nicht als kompletter Fehlschlag gesehen wird, dann wird das an den konkreten Initiativen liegen, die auf den Gipfel hin oder in Rio selbst auf den Weg gebracht worden sind. Die vermutlich wichtigste ist das Programm „Nachhaltige Energie für alle“, das UN-Generalsekretär Ban Ki Moon im vergangenen September auf die Schiene gesetzt hat. Das Programm hat drei universelle Ziele: Bis 2030 sollen alle Menschen Zugang zu modernen Energiedienstleistungen haben, gemeint ist eine Stromversorgung und energiesparende Öfen oder andere Lösungen zum Kochen half Feuerholz, Tierdung oder Holzkohle. Der Chef der UN-Industrieentwicklungsorganisation Unido, Kandeh Yumkella, berichtete bei einer Veranstaltung von Altmaier und Entwicklungsminister Dirk Niebel plastisch, was das heißt: „Jedes Jahr sterben zwei Millionen Menschen wegen der Innenraum-Luftverschmutzung. Das ist schlimmer als Malaria!“ Die Frauen in seiner Heimat Sierra Leone „laufen 20 Kilometer in der Woche, um Feuerholz zu sammeln und Wasser zu holen, und dann bringen sie sich beim Kochen um.“
Das zweite Ziel dürfte auch in Industriestaaten nicht ganz einfach erreicht werden. Bis 2030 soll die Energieeffizienz weltweit verdoppelt werden, das wären 2,5 Prozent pro Jahr. Deutschlands Effizienzsteigerungsraten liegen im Schnitt bei einem Prozent. Die Zielsetzung stimmt allerdings mit den selbst gesetzten Effizienzzielen in Deutschland wie der Europäischen Union überein. Das dritte Ziel: eine Verdopplung des Anteils erneuerbarer Energien am globalen Energiemix bis 2030.
Die Initiative ist schnell gewachsen. Zwar konnte sich der Rio-Gipfel lediglich dazu durchringen, sie im Gipfeldokument zu erwähnen. Aber 50 Regierungen aus Entwicklungsländern haben bereits Energie-Entwicklungspläne angekündigt oder arbeiten schon daran. Firmen und Investoren haben bereits 50 Milliarden Dollar für die Umsetzung zugesagt, dazu kommen weitere Milliarden Dollar von Regierungen oder Nicht-Regierungsorganisationen sowie Entwicklungsbanken. Brasilien hat angekündigt, im eigenen Lkand bis 2014 weitere 4,3 Milliarden Dollar in die Elektrifizierung zu investieren. In den vergangenen zehn Jahren hat das Land bereits 15 Millionen Menschen ans Stromnetz angeschlossen.
Weitere 235 Milliarden Dollar will Brasilien in den kommenden zehn Jahren in Staudämme, Biomasse und Windkraft investieren und seine Energieeffizienz bis 2030 um neun Prozent im Strom- und Transportsektor verbessern. Die Europäische Union hat 63 Millionen Dollar zugesagt bis 2014. US-Außenministerin Hillary Clinton kündigte in Rio an, ihre Regierung wolle zwei Milliarden Dollar als Zuschüsse, Kredite und Kreditabsicherungen in das Programm investieren. Auch große Firmen machten Zusagen. Microsoft führt eine firmeninterne Kohlendioxid-Abgabe ein, um seine Treibhausgasemissionen zu senken. Mehrere Ölfirmen versprachen, die Verbrennung von bei der Ölförderung mitgeförderten Erdgases zu beenden, allerdings ohne dafür einen genauen Zeitplan zu nennen.
Die soziale und wirtschaftliche Dimension nachhaltiger Entwicklung
In Rio haben sich drei dutzend Banken, Investment Fonds und Versicherungen dazu verpflichtet, das Naturkapital, das bei ihren Transaktionen geschädigt wird, zu bewerten und in ihren Bilanzen auszuweisen. 70 Unternehmen haben eine Plattform für grüne Wirtschaft gegründet. Und fünf Börsen wollen für nachhaltige Geldanlagen werben. Zudem haben die UN 692 freiwillige Selbstverpflichtungen entgegengenommen. Wenn die allerdings so eifrig umgesetzt werden wie die etwa 400 privat-öffentlichen Partnerschaften, die vor zehn Jahren beim Weltgipfel in Johannesburg beschlossen worden sind, dann wäre ihr Veränderungspotenzial gering. Nach, zugegeben unvollständigen, Tagesspiegelrecherchen lassen sich von den 400 PPPs von Johannesburg höchstens ein Viertel überhaupt rückverfolgen. Lediglich für 20 davon lassen sich Beweise ihrer Existenz finden.
Gro Harlem Brundtland, die frühere norwegische Premierministerin, hat 1987 mit ihrer Kommission den Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ vorgelegt, der das Konzept einer „nachhaltigen Entwicklung“ begründet hat. Auf ihren Bericht ging der Rio-Gipfel 1992 zurück. Sie saß im Vorfeld des Rio+20-Gipfels wieder in einer Kommission, die einen Bericht mit dem Titel „Widerstandsfähige Menschen, widerstandsfähiger Planet“ vorgelegt hat. Doch dieser Bericht fand bei den Regierungen weit weniger Interesse. Brundtland sagte zum Ende des Gipfels, die Lobbyarbeit all derer, denen die soziale und wirtschaftliche Dimension nachhaltiger Entwicklung 1992 zu kurz gekommen sei, „sind sehr erfolgreich gewesen“.
Denn im Abschlussdokument findet sich „kein Hinweis auf die planetaren Grenzen“, also darauf, dass die Ozeane als Ökosysteme kurz vor dem Zusammenbruch stehen, und dass der Kohlendioxid-Anteil in der Atmosphäre höher ist, als es das Erdklima verträgt. Kurz vor Ende des Rio-Gipfels gab UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bekannt, dass er einen speziellen Repräsentanten für kommende Generationen berufen wolle. Auf einen Ombudsmann für die kommenden Generationen oder einen Hochkommissar hatte sich der Gipfel zuvor nämlich nicht einigen können.