Es gibt „kaum Schnittmengen“: Gelingt der Ampel ein Aufbruch in der Außenpolitik?
Das Bündnis von SPD, Grünen und FDP könnte einen Neustart in der Außen- und Sicherheitspolitik wagen. Experten sind nach den Sondierungen wenig optimistisch.
Kurz vor der Bundestagswahl gab der Bundespräsident der Welt ein Versprechen, das jede neue Regierung binden sollte. „Deutschland bleibt auch nach dieser Wahl ein Land, das um seine internationale Verantwortung weiß und sie wahrnimmt“, sagte Frank-Walter Steinmeier vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen.
Doch angesichts der Sondierungsergebnisse von SPD, Grünen und FDP wachsen bei Expertinnen und Experten nun Zweifel, ob eine Ampelkoalition nicht nur Kontinuität gewährleisten kann, sondern auch den Willen und die Kraft für einen außen- und sicherheitspolitischen Aufbruch mitbringt, mit dem Deutschland Europas Einfluss in einer Welt im Wandel sichern könnte.
In dem Sondierungsergebnis findet sich ein Kapitel mit dem Titel „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“, das allerdings an vielen Stellen konkrete Antworten vermissen lässt.
„Das Papier strotzt zunächst einmal von allgemeinen Bekenntnissen und den üblichen außenpolitischen Floskeln wie einem allgemeinen Bekenntnis zu EU, Nato und Vereinten Nationen“, sagt Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle. Vieles müsse „erst noch ausbuchstabiert werden“.
Auch Gustav C. Gressel vom European Council on Foreign Relations findet das Papier „dünn“, zeigt sich davon aber nicht überrascht. Denn die großen Konflikte warteten in der Finanz-, Wirtschafts- und Klimapolitik auf die drei Verhandlungspartner.
Der Verzicht auf eine Klärung könne zur Folge haben, dass dann, wenn ein außenpolitisches Thema zu einer Entscheidung dränge, „es zu einem veritablen Krach zwischen den Koalitionspartnern kommt“. Zwischen dem „doktrinär-linken Flügel in der SPD und den Progressiven bei den Grünen und der FDP“ gebe es „kaum Schnittmengen“.
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Zum Verhältnis zu China, zu Russland und zum Zwei-Prozent-Rüstungsziel der Nato bietet das Papier kaum klare Aussagen. Bei all diesen Themen gebe es zwischen den Partnern „teils sehr fundamentale Unterschiede“, sagt Außenpolitikexperte Varwick.
Wenig konkret sei das Papier im Hinblick auf die Ausstattung und Finanzierung der Bundeswehr oder auch wenn es um die Beschaffung bewaffneter Drohnen geht. „Ein Knackpunkt mit Blick auf die Nato wird überhaupt nicht erwähnt“, moniert Varwick: „Wie soll sich Deutschland zur nuklearen Teilhabe verhalten?“ Bei diesem Thema seien „bald Entscheidungen fällig“.
Aus Gressels Sicht nimmt das Papier nur eine Bestandsaufnahme des internationalen Systems vor, „ohne dann zu sagen was Deutschland jetzt tun oder lassen sollte, um das Problem zu lösen“. Zwar sei es schön, dass festgeschrieben werde, dass autoritäre Regime den Westen herausfordern.
Es brauche aber eine Antwort auf die Frage: „Was gedenkt nun Deutschland dagegen zu tun? Welche militärischen, nachrichtendienstlichen, polizeilichen, ordnungspolitischen, oder anderen Mittel müsste es jetzt einsetzen oder entwickeln, um dem Entgegenzutreten?“ Hier ende stets die Weisheit deutscher Außenpolitik. Das allerdings sei „nicht nur ein Problem der Ampel“.
Milder als ihre Kollegen urteilt Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sie sieht in dem Papier „ziemlich viel Kontinuität“ und vor allem „den Willen der drei Partner, Kompromisse zu finden“. Die Aussagen ordneten sich weitgehend in deutsche Traditionslinien ein: mit einem starken Bekenntnis zur EU, dem Anerkennen der Rolle der Nato für deutsche Sicherheit und der Betonung der deutsch-französischen Beziehungen.
„Die Neuigkeiten, etwa eine Nationale Sicherheitsstrategie, eine restriktivere Rüstungsexportpolitik, sind im Vorfeld diskutiert worden und keine wirklichen Überraschungen“, meint die Expertin für Sicherheitspolitik und wirbt um Geduld: Ein Sondierungspapier habe nicht den Anspruch, alle Einzelheiten zu klären. Major sagt: „Es wäre daher nicht fair, die fehlenden Details zu kritisieren. Es ist eine Basis, und es war klar, dass diese Konkretisierungen erst im nächsten Schritt kommen.“
„Ich glaube, dass dieser Wille jeder deutschen Regierung fehlt“
Auch was den Willen der Ampel-Verhandler zu einem wirklichen Aufbruch in der Außen- und Sicherheitspolitik nach 16 Jahren Kanzlerin Angela Merkel angeht, will Major nicht vorschnell urteilen: „Ein großer Aufbruch scheint eher unwahrscheinlich, aber es sind viele Vorschläge im Sondierungspapier enthalten, die die deutsche Politik tatsächlich verändern könnten“, meint die Expertin und rät: „Daher: warten auf den Koalitionsvertrag mit mehr Details!“
Das Urteil von ECFR-Vertreter Gressel fällt härter aus: „Ich glaube, dass dieser Wille jeder deutschen Regierung fehlt, sowohl der alten, der gegenwärtigen und der zukünftigen.“ Deshalb seien es auch immer die Bundespräsidenten, die den Aufbruch verlangten, und nie die Kanzler. Die deutsche Bevölkerung erwarte, „dass man sich aus allem raushalten sollte und dass am besten alles so bleibt wie es war“. Doch das sei eine Illusion: „Das geht in einer sich schnell verändernden Welt nicht.“
Auch Varwick verbreitet keinen Optimismus im Hinblick auf einen Aufbruch. „Da erkenne ich recht wenig", meint der Professor aus Halle. Es werde im Papier zwar festgehalten, dass die deutsche Außenpolitik künftig aus einem Guss agieren und ressortübergreifend gemeinsame Strategien erarbeiten solle, die Forderung nach einer Stärkung des Bundessicherheitsrates tauche aber nicht auf.
Immerhin eines lobt Varwick: „Positiv ist die Absichtserklärung, eine nationale Sicherheitsstrategie auszuarbeiten – das wird dann der Lackmustest, ob man auch jenseits von Floskeln eine gemeinsame Haltung zu den Krisen dieser Welt findet und die deutschen Interessen formuliert.“