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Zehntausende Menschen demonstrierten am Sonntag in Hongkong gegen das von der Regierung geplante Auslieferungsgesetz.
© dpa/Erin Hale

Hongkong hält an Auslieferungsgesetz fest: Gegen eine Million Menschen

Hongkongs Verwaltungschefin hält trotz der größten Proteste seit 1989 an einem umstrittenen Auslieferungsgesetz fest.

Am Montagmittag lud Hongkongs Verwaltungschefin Carrie Lam überraschend zu einer Pressekonferenz. In der Nacht zuvor hatten nach Veranstalterangaben eine Millionen Menschen beziehungsweise nach Polizeiangaben 240 000 Menschen in den Straßen von Central auf Hongkong Island gegen ein geplantes Auslieferungsgesetz demonstriert, womit Menschen leichter an das autoritär regierte China ausgeliefert werden könnten. Dass Carrie Lam das Vorhaben jetzt vielleicht zurückzieht, hofften einige Demonstranten am Tag danach. „Ich glaube nicht, dass es für uns eine angemessene Entscheidung wäre, das Gesetz jetzt aufzugeben“, sagte die Verwaltungschefin vor Journalisten. „Das Gesetz soll sehr wichtige Ziele erreichen.“

Trotz der größten Proteste in Hongkong seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 in Peking bleibt die Verwaltungschefin bei ihrem Plan, das umstrittene Gesetz am Mittwoch in zweiter Lesung ins Hongkonger Parlament zu geben. Das Gesetz fülle nur eine gesetzgeberische Lücke, sagte Lam nach Bloomberg-Informationen, niemand wolle, dass Hongkong ein Zufluchtsort für Straftäter werde. Immerhin schlug sie bei ihrer Pressekonferenz auch versöhnliche Töne an. Sie betonte, dass „die meisten Demonstranten Hongkong lieben“ und dankte ihnen für die „Überprüfung unserer Arbeit“. Lam sagte auch Ergänzungen zu dem Gesetz zu, um Menschenrechte besser zu schützen.

Das alles dürfte die Kritiker des Auslieferungsgesetzes kaum zufriedenstellen. Sie befürchten, dass Hongkong seine juristische Unabhängigkeit zunehmend verlieren und dass China das Gesetz benutzen könnte, um Dissidenten unter seine Kontrolle zu bringen. Lange Jahre war die Stadt Zufluchtsort für chinesische Dissidenten gewesen. Hongkongs letzter britischer Gouverneur Chris Patten sieht Stabilität, Sicherheit und die Position als internationaler Handelsplatz in Gefahr. „Wir haben keinerlei Vertrauen mehr in dieser Sache“, sagte die oppositionelle Hongkonger Abgeordnete Claudia Mo. Menschenrechtsorganisationen warnen davor, dass Ausgelieferten in China Folter und willkürliche Gerichtsverfahren drohen könnten.

Was dort mit Kritikern passieren kann, zeigt zum Beispiel der Fall Gui Minhai. Er gehört zu den fünf Hongkonger Buchhändlern, die im Jahr 2015 aus Thailand, Südchina und Hongkong verschwunden sind und in chinesischer Haft wieder auftauchten. Gui Minhai, der auch einen schwedischen Pass besitzt, sitzt bis heute unter ungeklärten Umständen in einem chinesischen Gefängnis. Sein Vergehen könnte gewesen sein, dass er mit chinakritischen Büchern gehandelt hatte.

Die Sonderverwaltungszone Hongkong ist seit ihrer Rückgabe für eine Übergangsphase bis 2047 nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ an China gebunden. Demnach gehört Hongkong zwar zum von der Kommunistischen Partei regierten China, darf aber sein politisches System zunächst behalten. Tatsächlich aber ist der politische, wirtschaftliche und kulturelle Einfluss Chinas in der ehemaligen Kronkolonie immer stärker gestiegen. Auch die Demokratiebewegung 2014, als bis zu 100 000 Menschen wochenlang zentrale Straßen Hongkongs besetzt hielten, änderte daran nichts.

In China wurden Berichte über die Proteste zensiert

Im Mai ist bekannt geworden, dass Deutschland als erstes Land weltweit zwei politische Aktivisten aus Hongkong als Flüchtlinge anerkennt. Das Auswärtige Amt hat die Menschenrechtssituation in der Sonderverwaltungszone als „im Großen und Ganzen gut“ bezeichnet, äußerte aber zugleich die Sorge über den „zunehmend schwindenden Raum für die politische Opposition und eine schleichende Erosion der Meinungs- und Pressefreiheit“. Die beiden Aktivisten gehörten einer Gruppe an, die sich für die Unabhängigkeit Hongkongs von China eingesetzt hatte. Sie sollen in Hongkong an gewaltsamen Protesten teilgenommen haben.

Auch am Sonntagabend kam es in der Nacht vor dem Gebäude des Legislativrates, wo am Mittwoch das Auslieferungsgesetz beraten wird, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten. Als Demonstranten Sicherheitsgitter einrissen, setzten die Beamten Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Mindestens drei Polizisten und ein Journalist wurden verletzt.

In China bekamen die Internetnutzer kaum etwas davon mit. Das Wort „Hongkong“ wurde von den Behörden auf dem Social-Media-Portal Weibo zensiert. Die staatlich kontrollierte Zeitung „China Daily“ verkündete ihren englischsprachigen Lesern, dass „ausländische Mächte“ China Schaden zufügen wollten, indem sie Chaos über Hongkong brächten.

Hongkongs Verwaltungschefin, die von Peking vorausgewählt worden ist, wies nach Informationen der „South China Morning Post“ alle Anschuldigungen von sich, wonach das Gesetz eine „Anordnung aus Peking“ sei. Zurücktreten wollte Carrie Lam auch nicht. Die Verwaltungschefin sieht die Proteste vielmehr als Bestätigung dafür, dass die Freiheitsrechte in Hongkong nicht beschädigt seien. So gesehen kann sie sich auch auf Mittwoch freuen: Dann sind erneute Proteste und Streiks angekündigt.

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