Atomabkommen mit dem Iran: Gefährlich naives Wunschdenken
Ob das Atomabkommen mit dem Iran dem Nahen Osten mehr Sicherheit bringt, muss sich erst noch erweisen. Schön wär’s. Nur: Realistisch ist es nicht. Ein Kommentar.
Geschafft, endlich! Die Teilnehmer des Verhandlungsmarathons in Wien haben sich mit Müh und Not ins Ziel geschleppt. Kein Wunder, der Weg der Diplomatie war nicht nur lang, sondern voller Hürden. Erschöpft sind sie nun, aber zufrieden mit sich und dem Erreichten. Deshalb gibt es große Worte sowohl auf Seiten des Iran als auch bei den Vertretern der Weltgemeinschaft. „Historisch“ sei das Atomabkommen, ein „Triumph“. Politik im Rauschzustand.
Der Iran kann sich jetzt schon als Sieger fühlen
Verständlicherweise. Denn nun gibt es die langersehnte Einigung, die Teherans nuklearen Ambitionen Grenzen setzen soll. Ein Erfolg, der auf vielen zähen, nervenaufreibenden Gesprächen gründet – und noch mehr Geduld. Die Botschaft soll lauten: Mit politischen Mitteln ist Besonderes zu erreichen. Kompromiss statt Konfrontation. Doch nun muss sich erst zeigen, welchen Wert die Übereinkunft tatsächlich hat.
Die Islamische Republik kann sich allerdings schon jetzt als Sieger fühlen. Zwar muss das Regime Kontrollen seines Atomprogramms akzeptieren. Die klerikale Führung hat aber große Erfahrung im Täuschen und Tricksen, wenn es darum geht, die Inspektoren ins Leere laufen zu lassen. Und das Spiel auf Zeit haben die Mullahs über die Jahre perfektioniert.
Deshalb zählt für sie vor allem, dass die UN-Sicherheitsratsmitglieder und Deutschland den Iran als eine nukleare Schwellenmacht akzeptieren. Das wird durch das Abkommen festgeschrieben. Daran ändern auch Fristen nichts. Sie kaschieren allenfalls, was auf der Hand liegt. Und gaukeln Sicherheit vor, wo es keine gibt. Weil der 100 Seiten zählende Vertrag eben nicht ausschließt, dass diese Schwelle in einigen Jahren überschritten wird – den Bau einer Atombombe eingeschlossen. Man muss kein Freund von Israels Premier Benjamin Netanjahu und seiner schrillen Warnungen sein, um bei dieser Vorstellung ein mulmiges Gefühl zu bekommen. Abgesehen davon, dass der große sunnitische Rivale Saudi-Arabien nuklear aufrüsten wird. Für die ohnehin krisen- und konfliktgeplagte Region eine düstere Aussicht.
Milliarden fließen nun in die leeren Staatskassen des Iran
Den schiitischen Iran wird das kaum kümmern. Für ihn zählt nicht nur das Ende des Paria-Daseins, sondern vor allem die Aufhebung der lähmenden Sanktionen. Milliarden werden so in die leeren Staatskassen fließen. Das nutzt nicht nur dem Prestige der sich moderat gebenden Kräfte um Präsident Hassan Ruhani, sondern auch dem autoritär herrschenden Establishment um Ajatollah Chamenei.
Denn das wirtschaftliche Aufatmen wird vorerst nichts am repressiven Charakter des „Gottesstaates“ ändern. Grundlegende politische Reformen, mehr individuelle Freiheit, gar Demokratie – alles Teufelszeug. An dieser Überzeugung ändert keine noch so wohlklingende Übereinkunft. Und es ist mehr als zweifelhaft, dass in zehn Jahren nette, friedvolle Menschen das Land regieren. Auch Barack Obamas Hoffnung, der Iran werde sich nun vom Unruheherd zum zivilisierten Stabilitätspartner wandeln, dürfte sich als gefährlich naives Wunschdenken entpuppen. Erst vor wenigen Tagen wetterte Chamenei gegen die „arroganten“ USA und machte aus seinem Hass auf den Westen keinen Hehl. Zwar mag Teheran und Washington der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ einen. Damit erschöpfen sich aber schon die Gemeinsamkeiten. Jemen, Libanon, Syrien, Gaza, Irak: Der Iran arbeitet seit Jahren mit allen Mitteln daran – Terror-Sponsoring via Hamas und Hisbollah inklusive –, seinen Einflussbereich auszudehnen. Durch die Atomeinigung gestärkt und von internationalen Strafmaßnahmen wie dem UN-Waffenembargo befreit, könnte das Land zu einem Schlüsselfaktor in der Region werden. Ein Staat, von dessen Wohlwollen viele Schicksale abhängen. Auch Israels.
Von Irans Wohlwollen hängen viele Schicksale ab - auch das Israels
Jahrelang hat Benjamin Netanjahu als Regierungschef des jüdischen Staats versucht, das Atomabkommen zu torpedieren. Weil er und viele seiner Landsleute die Drohung des iranischen Regimes ernst nehmen, das „zionistische Gebilde“ von der Landkarte tilgen zu wollen. Bei Obama hat das nicht verfangen.
Der US-Präsident wollte die Vereinbarung – um jeden Preis. Und nimmt damit die Isolation seines Verbündeten billigend in Kauf. Stattdessen reicht er dem früheren Erzfeind die Hand. Das sichert einen Eintrag in die Geschichtsbücher. Ob das Atomabkommen dem Nahen Osten wenigstens ein bisschen mehr Sicherheit bringt, muss sich jedoch erst noch erweisen. Schön wär’s. Nur: Realistisch ist es nicht.