Neue Risiken an der Börse: Gamestop könnte der „Patient Null“ der nächsten Finanzkrise sein
Vermeintlich tolle Gewinne verlocken auch Ahnungslose zu Risiko-Investitionen. Social Media beschleunigt das noch. Warum das böse enden kann. Ein Zwischenruf.
Den Auslöser für die große Krise kennt man immer erst hinterher. Da geht es Aktienbörsen ähnlich wie Pandemien. Und es kann sein, dass der „Patient Null“ der nächsten Finanzkrise gerade gesichtet und auf die Intensivstation gebracht wurde: Es könnte Gamestop gewesen sein.
Die kränkelnde Videospiel-Kette war das Zentrum eines Aufstands von Kleinanlegern in den USA, die eine Spekulationswelle lostraten. Die Kleinen wollten in den vergangenen Wochen die großen Hedgefonds in die Knie zwingen und dabei noch ordentlich Geld verdienen. Beides mit mäßigem Erfolg.
Und doch sind die Gamestop-Spekulation, die Bitcoin-Hausse, der Tesla-Hype und in den vergangenen Tagen der Cannabis-Boom möglicherweise Zeichen für ein und dasselbe Phänomen. Der Aktienmarkt verliert seinen Boden. Nicht nur wegen der hohen Kurse, die jetzt auch jene – vor allem die Jüngeren haben selbst im börsenfeindlichen Deutschland in 2020 hunderttausende Depots eröffnet - anziehen, die bisher ihr Geld auf Sparbüchern und Girokonten aufgehoben haben. Sondern auch, weil Kleinanleger sich von vermeintlich traumhaften Gewinnaussichten verführen lassen, zu viel Geld in hochriskante Papiere zu investieren, von denen sie keine Ahnung haben.
Wenn etwa Tesla-Gründer Elon Musk erzählt, er werde von Whatsapp zum Messengerdienst Signal wechseln, schießt die Signal-Aktie um 12 000 (!) Prozent in die Höhe. Nur: Der Messengerdienst ist gar nicht börsennotiert, die Anleger kauften irrtümlich die Papiere eines Medizintechnik-Herstellers.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Weil jetzt viele Kleinanleger soziale Medien nutzen, um sich über ihre Investments auszutauschen, bekommt die Bewegung zusätzlichen Schub. Wer sich auf Plattformen wie Reddit zum Kauf eines bestimmten Papiers verabredet, darf sich als Teil einer großen Bewegung der Guten fühlen, die den Hedgefonds endlich Paroli bietet. Wenn die Handelsplattform dazu auch noch Robinhood heißt, bekommt die Sehnsucht nach anstrengungslosem Einkommen sogar einen politisch korrekten Anstrich.
[Lesen Sie hier bei T-Plus: Was Sie über Smartphone-Broker wissen sollten]
Niemandem soll die Freude an der Geldanlage vermiest werden. Und, ja, Spekulationswellen gab es schon immer. Die Wirtschaft wird sich nach Corona wahrscheinlich schneller erholen als nach der Finanzkrise, so dass die heute zu hohen Aktienkurse möglicherweise schon bald durch die reale Entwicklung gerechtfertigt sind. Außerdem sind die Banken solider aufgestellt, und die Notenbanken sind wacher als sie es 2008 waren. Es soll nur keiner sagen, man hätte es nicht ahnen können.