Rechtspolitik: Gaffern muss man Grenzen setzen
Immer öfter behindern Schaulustige Rettungsarbeiten. Strafgesetze dagegen gibt es schon. Aber das genügt noch nicht. Ein Kommentar.
Man muss nicht Psychologie studiert haben, um zu wissen, was Menschen zu Schaulustigen macht: Erstens ist es das Ereignis an sich, der Unfall, die Katastrophe, das Feuer, das die Routine unterbricht; dann die Erleichterung, nicht selbst betroffen zu sein; schließlich die Möglichkeit, das Erlebte als Geschichte zu verbreiten, um andere ähnlich empfinden zu lassen und sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Gerade bei Unfällen meinen wir, der Schaulustige müsse von Scham und Schuld erdrückt werden. Oft ist das Gegenteil der Fall. Gaffen macht glücklich.
So viel dazu, weshalb die soziale Stigmatisierung des Gaffens versagt. Und es nun, wie oft, das Strafrecht richten soll. Niedersachsen und Berlin treiben dazu im Bundesrat ein Gesetz voran. Keine Sorge, weil das Strafrecht allzu Menschliches nicht verbieten sollte, bleibt Gaffen erlaubt. Doch verfügt die anthropologische Konstante, sich am Unglück anderer zu weiden, seit ein paar Jahren über eine technische Erweiterung. Das Smartphone ist das Werkzeug des Gaffers. Erst die Dokumentation vervollständigt das Erlebnis. Die Polizeiberichte häufen sich, in denen darüber geklagt wird, wie Rettungsarbeiten durch Filmaufnahmen behindert werden, die sich anschließend sogar im Internet wiederfinden.
Derartiges ist im Prinzip schon jetzt strafbar. Paragraf 201a droht Gaffern Haft bis zu zwei Jahren an, die Fotos oder Videos machen, in denen „die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau“ gestellt wird. Aber weder Polizisten noch Retter haben Zeit, sich im Fall der Fälle darum zu kümmern. Die meisten Video-Gaffer dürften die Vorschrift nicht kennen. Ähnlich wird es später dann der Vorschrift ergehen, die Berlin und Niedersachsen in den Paragrafen einfügen wollen. Danach soll sich das Verbot nicht nur auf hilflose, sondern auch auf Verstorbene beziehen. Doch wer rücksichtslos Sterbende filmt, filmt Tote erst recht.
Als tauglicher kann sich der zweite Vorschlag der Länder erweisen, ein neuer Paragraf 115, der bestraft, wer Rettungsdienste oder Katastrophenschutz bei ihrem Einsatz „behindert“. Behindern heißt: Wer den Einsatzkräften nicht umgehend den Weg freimacht, ist dran. Wer seine Kamera in den Weg hält, auch.
Das wäre etwas, das jeder kapiert. Ein klares Signal. Es verwundert, dass Bundesschutzlückenminister Heiko Maas (SPD) hier noch nicht sein Justizministerium aufs Gleis gesetzt hat. Freilich bringt der Vorstoß nur etwas, wenn er entsprechend kommuniziert wird. Es wäre ein Strafgesetz, für das wirklich geworben werden könnte, auf Plakaten, in Anzeigen und Werbespots. Geht, ihr Gaffer! Oder helft! Seine Schaulust wird dem Menschen nicht auszutreiben sein. Aber dieses Gesetz könnte helfen, sie wieder in diejenigen Bahnen zu lenken, die sie für alle noch erträglich machen.
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