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Der SPD-Wahlkämpfer Sigmar Gabriel versucht mit Kritik an Donald Trumps USA zu punkten.
© Timothy A. Clary and Tobias Schwarz/AFP

US-Kongress verschärft Russland-Sanktionen: Gabriel opfert die Diplomatie dem Wahlkampf

Der Außenminister irrlichtert: Auf bedenkliche Weise attackiert er den US-Kongress und verharmlost Russland. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Sigmar Gabriel ist immer für eine Überraschung gut, mal positiv, mal negativ. Er kann bewundernswert standfest sein und öffentlichen Gegenwind aushalten; als Wirtschaftsminister verteidigte er, zum Beispiel, das geplante transatlantische Wirtschaftsabkommen TTIP überraschend lange mutig gegen die Linken in seiner Partei. Es kann aber auch passieren, dass der SPD-Wahlkämpfer in ihm durchgeht und er die staatspolitische Vernunft und jedes Augenmaß vermissen lässt.

Russisches Friedensgas, amerikanisches Imperialistengas

Dann irrlichtert Gabriel durch die politische Landschaft. Wie gestern. Da vergaß der SPD-Mann offenbar, dass er ja auch noch Außenminister ist. Den Beschluss des US-Kongresses, die Russland-Sanktionen zu verschärfen, nahm er zum Anlass, den USA eine Völkerrechtsverletzung vorzuwerfen. Und, Gipfel der Tatsachenverdrehung: Gabriel stellt es so dar, als gehe es dem US-Kongress nicht um ein Zeichen gegen Russlands Völkerrechtsverletzungen, sondern als wollten die US-Parlamentarier Wirtschaftsinteressen durchsetzen und den Europäern gegen ihren Willen amerikanisches Flüssiggas aufdrängen. Es klingt, als sei russisches Gas gutes Friedensgas, US-Gas hingegen höchstgefährliches Imperialistengas.

Der Kontext der Presseerklärung lässt schon ahnen, woher der Wind weht. Ko-Autor ist der österreichische Bundekanzler Christian Kern (SPÖ) und nicht etwa der Wiener Außenministerkollege Sebastian Kurz (ÖVP). Hier tun sich zwei Sozialdemokraten zusammen, die beide Grund haben, eine krachende Niederlage bei der nahenden Wahl zu erleiden. Es tut gewiss weh, dass die SPD die Gegnerschaft zu Trump nicht zu ihrem Alleinstellungsmerkmal machen kann, weil Kanzlerin Angela Merkel leider, leider neulich im Bierzelt auch schon auf Distanz zum US-Präsidenten gegangen ist.

Wer nutzt Energieversorgung als Waffe: Russland oder die USA?

Aber berechtigt das dazu, die Realität so brachial zu verbiegen? Die Motivation des US-Kongresses ist doch leicht nachvollziehbar. Russland hat offenkundig versucht, den Ausgang der US-Wahl zu beeinflussen. Es hat mit der Annexion der Krim und dem verdeckten Krieg in der Ukraine das Völkerrecht gebrochen - und sabotiert die Versuche, diese Konflikte friedlich-schiedlich beizulegen. Außerdem zielen die US-Parlamentarier darauf ab, Präsident Trump mit ihrem Beschluss die Hände zu binden: eine Absicht, die Gabriel im Herzen begrüßen dürfte. Die Beschlüsse in Washington fallen zudem in seltener überparteilicher Einigkeit von Demokraten und Republikanern.

Und zum Wirtschaftsaspekt: Wer hat denn in Wahrheit die Energieversorgung Europas als politische Waffe einzusetzen versucht: die vom russischen Staat kontrollierte Gazprom oder die USA? Vielen EU-Staaten erscheint die Perspektive, dass es in absehbarer Zeit eine Alternative zur Abhängigkeit von russischem Gas geben könnte, wie eine Rettung, nicht wie eine Drohung.

Gabriel spricht hier nicht im Namen Europas, sondern gegen die Mehrheit

Das ist freilich noch ein weiter Weg, wenn man sich die Infrastruktur und die US-Rechtslage anschaut. Weder gibt es ausreichende Verladeterminals auf der US-Seite und Anlandungsterminals auf der europäischen Seite des Atlantiks, um einen nennenswerten Teil des Gasverbrauchs in der EU mit US-Flüssiggas zu ermöglichen. Noch erlaubt das US-Recht massenhafte Energieausfuhr.

Was Gabriel und Kern da auftischen, sind Schauermärchen, die Wähler beeindrucken sollen. Sie erheben ihren Protest nicht im Namen Europas, wie sie behaupten, sondern im Gegensatz zur Einschätzung der meisten EU-Partner. Deren Mehrheit sieht verständlicherweise in Russland und in Putin die größere Bedrohung, nicht in den USA und in Trump. Und soweit es um das Spannungsverhältnis zwischen Moral und Geschäftsinteressen geht, ist der einträgliche Job des Ex-Bundeskanzlers Gerhard Schröder bei Gazprom und Gabriels Schmusekurs gegenüber Wladimir Putin fragwürdiger als das Vorgehen des US-Kongresses.

Bundespräsident Steinmeier warnt Moskau

Ach ja, es gibt auch andere Stimmen von SPD-Mitgliedern mit außenpolitischer Erfahrung: Am selben Tag, an dem Gabriel irrlichterte, warnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Russland vor einer Einmischung in den deutschen Wahlkampf.

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