Fall Sebastian Edathy: Gabriel nimmt Friedrich gegen Vorwürfe in Schutz
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat den zurückgetretenen Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegen den Verdacht des Geheimnisverrats verteidigt. Das Vertrauensverhältnis zur Union sieht er nicht beschädigt.
Friedrich habe durch seinen Hinweis auf Verdachtsmomente gegen den SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy „versucht, Schaden abzuwenden“, sagte Gabriel am Freitag dem ARD-"Hauptstadtstudio“. „Wenn wir das von hinten betrachten, ist ihm das sogar gelungen. Und dass er dafür jetzt so bitter bezahlen muss, das bedauert in der SPD mit Sicherheit jeder.“ Friedrich hatte zuvor sein Ministeramt niedergelegt, weil ihm Verrat von Dienstgeheimnissen vorgeworfen wird. Als Bundesinnenminister hatte Friedrich den SPD-Vorsitzenden Gabriel im Oktober 2013 darüber informiert, dass Edathys Name im Zusammenhang mit Ermittlungen im Ausland aufgetaucht sei.
Friedrich habe mit dem Hinweis möglicherweise auch verhindert, dass Edathy bei der Bildung der großen Koalition mit einem hohen Amt etwa als Staatssekretär bedacht worden sei, sagte Gabriel. Die Partei hätte sonst „Personalentscheidungen getroffen, die wir heute vielleicht sehr, sehr bedauern würden“, sagte der Parteichef weiter. „Man würde Herrn Friedrich heute den Vorwurf machen: Warum hast Du das damals nicht gesagt, bevor Menschen in ihre Ämter gekommen sind?“ Gabriel sagte, er wisse nicht, wie Edathy selbst an die Informationen über möglicherweise bevorstehende Kinderpornografie-Ermittlungen gekommen sein könnte. Er selbst habe als Parteichef nur die damaligen Fraktionsspitzen Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann informiert.
„Ich habe jedenfalls, nachdem ich das den beiden gesagt habe, absolut mit niemandem mehr geredet, weil man natürlich immer die Angst haben muss, dass es Informationen gibt, die nach außen dringen und dann die Strafverfolgung behindern“, sagte Gabriel. Der SPD-Chef verwies darauf, dass die Informationen über Edathy breit gestreut gewesen seien - etwa an die 16 Landeskriminalämter.
Die Affäre belastet nach Einschätzung Gabriels die Arbeit der großen Koalition nicht nachhaltig. „Wir haben eine Reihe von politischen Maßnahmen auf den Weg gebracht, die das Land auch braucht. Und ich bin sicher, dass wir sehr schnell auch wieder zu diesem Arbeitsklima zurückfinden“, sagte er weiter. Das Vertrauensverhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei durch den Vorfall nicht beschädigt worden.
Seibert hatte ostentativ vermieden, dem Minister das Vertrauen der Kanzlerin auszusprechen
Regierungssprecher Steffen Seibert hatte es am Freitagmittagvormittag in der Bundespressekonferenz ostentativ vermieden, dem Minister das Vertrauen der Kanzlerin auszusprechen. Vielmehr betonte er mehrfach, dass Angela Merkel mit Friedrich ein "intensives Gespräch geführt habe", und dass dem Minister nun "die Dimension des Falles bewusst" sei. Im übrigen sei der Erklärung Friedrichs selbst nichts hinzuzufügen.
Dieser hatte zuvor erklärt, er wolle zunächst im Amt bleiben. Er sagte aber auch: "Sollte die Staatsanwaltschaft zu anderen Ergebnissen kommen und ein Ermittlungsverfahren aufnehmen, werde ich mein Amt zur Verfügung stellen." Friedrich betonte: "Ich habe damals im Oktober mit der Information an den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Ich war davon überzeugt, dass ich politisch wie rechtlich richtig gehandelt habe."
Friedrich hatte Gabriel als damaliger Bundesinnenminister darüber informiert, dass der Name des SPD-Abgeordneten Edathy bei internationalen Ermittlungen aufgetaucht sei. Die Opposition hält Friedrich vor, damit Dienstgeheimnisse gebrochen zu haben.
In der Tat hatte Jens Teschke, Sprecher des Agrarministers, heute Schwierigkeiten, den Vorgang plausibel darzustellen. Friedrich sei im Oktober 2013 von seinem Staatssekretär über internationale Ermittlungen informiert worden, in deren Rahmen eine Liste mit dem Namen Edathys darauf aufgetaucht sei. Der Minister habe dann mehrfach nachgefragt, ob es sich um Kinderpornografie handele. Dies sei verneint worden. Dementsprechend habe er Gabriel "als vertrauensbildende Maßnahme im Rahmen der Koalitionsgespräche" über die Existenz einer derartigen Liste informiert. Dass niemand auch nur nachgefragt hat, um was für eine Liste es sich handeln könnten, und wenn es vor allem nicht um Kinderpornographie gehe, um was dann - dies blieb trotz mannigfaltiger Erklärungsversuche nicht nachvollziehbar.
Friedrich widerspricht Oppermann
Und dann widersprach Teschke noch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Der hatte am Donnerstag erklärt, der CSU-Politiker Friedrich habe SPD-Chef Gabriel im vergangenen Oktober nicht nur informiert, dass es im Fall Edathy nicht um strafbare Inhalte gehe. Sondern nach der Oppermannschen Darstellung hat Friedrich auch noch gesagt, allerdings "werde es möglicherweise zu strafrechtlichen Ermittlungen kommen". Das sei nicht so gewesen, sagte nun Teschke am Freitag: "Wir widersprechen diesem Satz in der Oppermannschen Erklärung." Friedrich habe lediglich gesagt, dass es in dem Fall nicht um strafbare Inhalte gehe.
Der Sprecher von Wirtschaftsminister Gabriel wiederum betonte, dass Friedrich den SPD-Chef im Oktober 2013 darauf hingewiesen habe, "dass in dem Gespräch nicht ausgeschlossen wurde, dass es möglicherweise noch zu strafrechtlichen Ermittlungen kommen könnte". Auch hier wurden die widersprüchlichen Angaben nicht geklärt. Eines aber machte Gabriels Sprecher klar: Der SPD-Chef sieht in der Weitergabe von Informationen im Fall Sebastian Edathy keinen Grund für persönliche Konsequenzen: "Das steht wirklich nicht zur Debatte", sagte sein Sprecher.
Die Staatsanwaltschaft Hannover indes ist ausgesprochen empört über die offensichtliche Weitergabe von Informationen im Fall Edathy an die Parteispitze der SPD. "Aufgrund der zahlreichen Pressemeldungen ist uns erst am gestrigen Tage bekanntgeworden, dass es hier offenbar eine Vorgeschichte gibt, die weit in den Oktober 2013 hineinreicht. Ich darf nochmals betonen: Wir sind fassungslos.", sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich.
Krisentreffen in Berlin
Am Freitagmorgen war CSU-Chef Horst Seehofer in Berlin zu Beratungen mit Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zusammengekommen. Auch dort ging es um Friedrich und sein Verhalten im Fall Sebastian Edathy. Schon zu diesem Zeitpunkt war die Situation als sehr kritisch eingestuft worden. .
Die Staatsanwaltschaften in Berlin und Hannover haben indes noch nicht entschieden, ob sie gegen Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wegen Geheimnisverrats ermitteln wollen. Das teilten die Behörden am Freitag mit. Neben der strafrechtlichen Bewertung müsste auch geklärt werden, welche der Behörden ein Ermittlungsverfahren gegen den früheren Innen- und heutigen Agrarminister einleiten würde. Nach dem Tatortprinzip wäre Berlin zuständig, weil Friedrich dort seinen Sitz hat. Legt man den sachlichen Zusammenhang zugrunde, wäre das Verfahren ein Fall für Hannover, weil hier gegen Edathy wird.
FDP, Linke und Grüne forderten Rücktritt Friedrichs
FDP, Linke und die Grünen hatten am Freitag den Rücktritt von Bundesagrarminister Hans-Peter Friedrich gefordert. Der Agrarminister habe offensichtlich Geheimnisse ausgeplaudert, sagte Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. "Das ist ein schwerwiegender Vorgang, der mit dem Amt eines Bundesministers nicht vereinbar ist. Friedrich muss zurücktreten." Geprüft werden müsse, auf welche Rechtsgrundlage er sich stützte. "Auch die Bundeskanzlerin ist gefordert, sich selbst zum Fall Friedrich zu äußern."
Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sagte, Friedrich habe sein Amt "für parteitaktische Kumpanei benutzt, dieses Verhalten ist für ein Mitglied der Bundesregierung völlig inakzeptabel". Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Thomas Oppermann müssten aufklären, "durch wen Edathy vorgewarnt wurde".
Edathys Name war laut Behörden bei Ermittlungen zum Thema Kinderpornografie aufgetaucht.
Innenausschuss berät kommende Woche
Der Fall des SPD-Innenpolitikers Sebastian Edathy und die umstrittene Weitergabe von Informationen kommt in der kommenden Woche auch im Innenausschuss des Bundestages auf den Tisch. Auf Wunsch der Grünen-Fraktion ist das Thema für die Sitzung am Mittwoch auf die Tagesordnung gerückt, wie die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic am Freitag ankündigte. Eingeladen seien dazu auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke.
"Wir wollen wissen, wann genau welche Information an wen weitergegeben wurde, und wer davon wusste", sagte Mihalic. Außerdem gehe es um die Einschätzung des aktuellen Innenministers zur Weitergabe der Informationen. (mit dpa/AFP)