Türkei-Politik: Gabriel irritiert, Brok beschwichtigt
Der Außenminister gibt eine Art persönlicher Reisewarnung für die Türkei heraus. Ein CDU-Europapolitiker mahnt indes, sich nicht provozieren zu lassen.
Außenminister Sigmar Gabriel hat im Konflikt mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen: Der SPD-Politiker riet von Reisen in die Türkei ab. „Man kann das nicht mit gutem Gewissen machen zurzeit“, sagte Gabriel der „Bild“-Zeitung und verwies auf die innenpolitisch angespannte Lage in dem Land und die zahlreichen Festnahmen deutscher Staatsbürger. Zugleich betonte er: „Die Entscheidung können wir als Staat niemandem abnehmen.“
Das Auswärtige Amt (AA) versuchte die Bedeutung von Gabriels Schritt nach der Veröffentlichung des Interviews zu relativieren: Der Minister habe das Wort Warnung nicht in den Mund genommen, sagte eine Sprecherin am Freitag. Deshalb bereite das AA derzeit auch keine förmliche Reisewarnung vor. Bislang werden deutsche Türkei-Urlauber lediglich zur Vorsicht gemahnt. Zudem wird ihnen geraten, sich bei der Botschaft sicherheitshalber registrieren zu lassen.
Nach der Festnahme des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner hatte die Bundesregierung Anfang Juli den Kurs gegenüber der Türkei verschärft. In diesem Zusammenhang hatte das AA die Reisehinweise überarbeitet. Inzwischen werden zehn deutsche Staatsbürger wegen politischer Tatvorwürfe in türkischen Gefängnissen festgehalten. Prominentester Fall ist der des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der seit Anfang des Jahres in Haft sitzt.
Gabriels verklausulierte Urlaubswarnung kommt insofern überraschend, als der Außenminister bei vielen anderen Gelegenheiten dafür plädiert, nicht auf Erdogans Spiel einzugehen, der aus innenpolitischem Kalkül die Eskalation suche und von Auseinandersetzungen mit deutschen Politikern profitieren wolle. Genau dieses Argument bemühte der Außenminister auch am Donnerstagabend in der Talkshow Maybrit Illner im ZDF. Unter deutschen Diplomaten stieß Gabriels Interview auf Unverständnis. Auch AA-Spitzenbeamte klagen intern darüber, dass der Minister den Umgang mit außenpolitischen Konflikten seinen Wahlkampf-Interessen unterordne.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu kritisierte Gabriel. Dessen Türkei-Politik sei „genauso verwirrend wie die Russland-Politik der SPD: Der eine sagt hü, der andere hott", sagte der Vizechef der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Einerseits drohe der Außenminister der Türkei, anderseits scheue er davor zurück, Sanktionen umzusetzen. Gabriel habe „nicht verstanden, dass Ankara diplomatisches Vorgehen als Zeichen der Schwäche deutet“, meinte Mutlu. „Deshalb genügt es nicht, mit Erdogan Tacheles zu reden. Man muss seinen Worten auch Taten folgen lassen.“
Brok: Erdogan-Gegner in der Türkei im Blick behalten
Der Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU) warnte unterdessen vor einer rhetorischen Eskalation im Umgang mit der Türkei während des Bundestagswahlkampfs. „Man sollte sich nicht von jedem blöden Satz provozieren lassen“, sagte der EU-Parlamentarier dem Tagesspiegel mit Blick auf die Verbalattacken türkischer Politiker. Erdogan hatte zuvor türkischstämmige Deutsche dazu aufgerufen, bei der Bundestagswahl nicht für CDU, SPD und Grüne zu stimmen.
Zudem hatte Erdogan Außenminister Gabriel persönlich angegriffen. Nachdem sich Gabriel Einmischungen in den deutschen Wahlkampf verbeten hatte, sagte Erdogan am vergangenen Wochenende in einer Rede vor Anhängern in der türkischen Provinz Denizli an die Adresse des Bundesaußenministers: "Wer sind Sie, dass Sie mit dem Präsidenten der Türkei reden? Beachten Sie Ihre Grenzen!" Erdogan fügte hinzu: "Wie lange sind Sie eigentlich in der Politik? Wie alt sind Sie?" Anschließend sagte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz dem Bonner "General-Anzeiger": „Herr Erdogan benutzt die Sprache eines Wirtshausschlägers.“
Statt sich von Ankara provozieren zu lassen, solle man Erdogan „ganz kühl signalisieren“, dass an eine Fortsetzung der EU-Beitrittsgespräche und an Verhandlungen über einen Ausbau der Zollunion nicht zu denken sei, so lange der türkische Präsident an seiner Politik festhalte, sagte Brok. Allerdings sprach sich der CDU-Politiker gegen eine formelle Beendigung der EU-Beitrittsgespräche aus. Man müsse beispielsweise immer auch jene 49 Prozent der türkischen Wähler im Blick behalten, die sich beim Referendum im vergangenen April gegen Erdogans Präsidialverfassung ausgesprochen hätten, sagte er zur Begründung.
Frage der EU-Beitrittsgespräche ist in CDU/CSU umstritten
In der Union ist die Frage umstritten, ob die derzeit ruhenden EU-Beitrittsgespräche angesichts der Unterdrückung der Opposition in der Türkei komplett abgebrochen werden sollen. Im Gegensatz zu Brok hatte im Interview mit dem Tagesspiegel der Chef der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), gefordert, die Verhandlungen ganz ad acta zu legen. "Die Beitrittsgespräche, die von Anfang an eine Illusion waren, müssen komplett beendet werden", hatte Weber gesagt.
Flüchtlingsdeal: Oettinger fordert mehr Geld für Türkei
Unterdessen forderte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger für das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei mehr Geld von den EU-Staaten. „Die Mitgliedstaaten müssen zwei Milliarden plus x finanzieren“, sagte Oettinger dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Die EU habe der Türkei insgesamt sechs Milliarden Euro bis 2018 zugesagt, beispielsweise für Unterbringung und Ausbildung der Flüchtlinge. Die erste Tranche in Höhe von drei Milliarden Euro werde bis Jahresende verplant sein, im Etatentwurf 2018 hat Oettinger daher bereits einen Betrag von etwa 300 Millionen Euro für die zweite Tranche eingestellt, wie es heißt.
Für den größten Teil der restlichen Summe sieht Oettinger die EU-Mitglieder in der Pflicht. Deutschland steuerte im Rahmen des Flüchtlingsdeals den Angaben zufolge bislang etwa 500 Millionen Euro bei, EU-Experten gehen jedoch davon aus, dass Berlin bei der zweiten Tranche deutlich mehr zahlen müsse. Zum einen dürfte es der EU kaum gelingen, aus ihrem eigenen Budget erneut eine Milliarde Euro aufzubringen. Zum anderen sei offen, ob Großbritannien, das die EU verlassen will, bereit sei, weiterhin für das Abkommen zu zahlen.
Das seit 2016 gültige EU-Türkei-Abkommen sieht unter anderem vor, dass die EU alle Migranten zurückschicken kann, die illegal über die Türkei nach Griechenland kommen und kein Asyl erhalten. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling darf ein anderer Syrer aus der Türkei legal und direkt in die EU einreisen. (mit dpa)