Rede beim Deutsch-Russischen Forum: Gabriel für "Neuanfang" des Dialogs mit Russland
Vizekanzler Sigmar Gabriel will schon vor dem Ende der Sanktionen gegen Russland die Wirtschaftsbeziehungen verbessern. Außerdem plädiert er für ein Freihandelsabkommen zwischen Brüssel und Moskau.
Für Sigmar Gabriel ist die Festrede beim Deutsch-Russischen Forum ein Heimspiel. Schließlich hat der Vizekanzler und SPD-Chef schon im Herbst ein Ende der Sanktionen gegen Russland ins Gespräch gebracht und sich damit sichtbar von der Russland-Politik der Kanzlerin distanziert. Beim Deutsch-Russischen Forum wird man dies mit Genugtuung wahrgenommen haben. Denn in der Organisation sind vor allem diejenigen versammelt, die trotz des Krieges in der Ukraine eine rasche Aufhebung der Sanktionen und eine Wiederannäherung an Russland anstreben. In seiner Rede im Hotel Adlon plädiert Gabriel am Donnerstagabend für einen „Neuanfang des deutsch-russischen Dialogs“. Dieselbe Forderung hat kürzlich der Vorstandschef des Deutsch-Russischen Forums erhoben, Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD).
Fast wirkt es, als habe jemand den Bundeswirtschaftsminister gebeten, in seiner Rede unbedingt die heiklen Punkte anzusprechen. Bei Gabriel klingt das dann so: „Auch wenn wir die Annexion der Krim für völkerrechtswidrig halten, und das ist sie, müssen wir Wege der Verständigung mit Russland suchen.“ Für den „Konflikt in der Ukraine“ gelte dasselbe wie für den Krieg in Syrien: „Nicht gegen, sondern nur mit Russland kann es Frieden geben.“
Zugleich wandte sich Gabriel gegen die Kritiker des russischen Vorgehens in der Ukraine: „Die Kritiker Russlands nehmen nur die mangelnden Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Beschlüsse wahr, aber nicht den Anteil, den die Ukraine daran hat.“ Auch den russischen Beitrag zur Lösung des Atomstreits mit dem Iran würden Russlands Kritiker vergessen.
Kritik an Russlands Unterstützung für Rechte in Europa
Nach dieser Auseinandersetzung mit den deutschen Kreml-Kritikern bemängelt Gabriel indirekt Moskaus Umgang mit dem Fall eines vorübergehend verschwundenen russlanddeutschen Mädchens aus Marzahn. Russische Medien „unter Regierungseinfluss“ hätten eine „Kampagne gegen Deutschland“ gefahren, die „nicht akzeptabel“ sei. Moskaus Unterstützung für rechte Parteien wie den Front National lässt der Vizekanzler ebenfalls nicht unerwähnt – und nennt in diesem Zusammenhang auch die Kontakte von AfD und NPD nach Russland. Doch all das hält Gabriel nicht davon ab, einen „Neustart“ der Beziehungen zwischen Berlin und Moskau zu fordern. Ziel müsse die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland im Sommer sein, betont er. Die EU hatte die Strafmaßnahmen wegen der russischen Rolle im Ukraine-Krieg und der Annexion der Krim verhängt, im Januar wurden sie für sechs Monate verlängert.
Gabriel greift Putins Vision einer Freihandelszone auf
Gabriel berichtet, er habe sich mit seinem russischen Amtskollegen darauf verständigt, schon jetzt die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wiederzubeleben. Russland sei immer ein „verlässlicher Partner“ gewesen, eine Kooperation im Energiebereich deshalb „keine Bedrohung“. Nicht nur den vielen Wirtschaftsvertretern im Saal ist klar, dass der Minister auf das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream II anspielt. Bei seinem Treffen mit Präsident Wladimir Putin im Oktober hatte Gabriel betont, man müsse bei diesem Projekt die „Einmischung von außen beschränken“ – gemeint waren Brüssel und Deutschlands östliche Nachbarn.
Doch Gabriel geht noch einen Schritt weiter, indem er Putins Vision einer Wirtschaftszone von Lissabon bis Wladiwostok aufgreift. Der Minister erinnert an die Verhandlungen zwischen Brüssel und Washington über das Freihandelsabkommen TTIP und betont: „Europa sollte mit gleicher Kraft ein Freihandelsabkommen mit der Russischen Föderation anstreben.“ Der Applaus des Publikums ist ihm an dieser Stelle sicher.