Jean-Claude Juncker und Griechenland: Gab es wirklich eine Annäherung?
EU-Kommissionspräsident Juncker hat am Sonntag das Gläubiger-Angebot ins Netz gestellt. So will er belegen, wie stark sich Geldgeber und Griechen eigentlich angenähert hatten. Ein Überblick über den Austausch und Einblick in die Dokumente.
Am 22. Juni hatten zunächst die Griechen ein vorerst letztes Angebot an die Gläubiger vorgelegt. Darin war der griechische Regierungschef Alexis Tsipras - wohl auch wegen der massiven Bankenabhebungen und dem dadurch entstandenen Druck - den Forderungen der Geldgeber in vielen Punkten nachgekommen: Zum Beispiel erklärte sich die Syriza-Regierung bereit, bis 2022 das Rentenalter auf 67 Jahre anzuheben – bisher wollte sie sich dafür drei Jahre länger Zeit lassen. Die Mehrwertsteuererhöhungen, die nach Forderungen der Gläubiger ein Prozent des Bruttoninlandprodukts ausmachen sollten, setzte die Regierung in Athen nun bei 0,97 Prozent an. Ein minimaler Unterschied.
Das Papier wurde von vielen EU-Politikern begrüßt: Dies sei endlich die Verhandlungsgrundlage, die man von Athen erwartet habe, hieß es. In Griechenland allerdings wurde Alexis Tsipras für das Angebot bereits massiv kritisiert. Aus der eigenen Partei wurde es als zu unsozial angegangen (unter anderem wegen der massiven Mehrwertsteuererhöhungen) und von der Opposition wurde kritisiert, dass Griechenland zu stark auf Steuererhöhungen statt auf Kürzungen setze. Syriza wolle das eigene Klientel damit schützen.
Bevor Tsipras am Donnerstag, dem 25. Juni, erneut nach Brüssel reiste, um am Gipfel teilzunehmen, teilte er vorher der Presse mit, die Geldgeber würden seinen Vorschlag nicht akzeptieren. Tatsächlich hatte er ein Papier zugeschickt bekommen, das vor allem aus mit rot durchgestrichenen griechischen Vorschlägen bestand. In Griechenland wurde das wütend diskutiert: Da sei der eigene Regierungschef schon so weit gegangen und dann lasse man ihn derart auflaufen und demütige ihn. Viele sehen heute in dieser Kommunikation einen Grund für Tsipras' Entscheidung, ein Referendum abzuhalten und sich gegen den Gläubiger-Vorschlag zu stellen. http://www.tagesspiegel.de/downloads/11964006/1/Counter%20proposal
Dieser Vorschlag war aber nicht der letzte aus Brüssel. Nach einer langen Sitzung am Donnerstag und Freitag gab es ein weiteres Papier - es ist das, das Juncker nun Online gestellt hat. Auch Tsipras hatte es bereits, als er sich offiziell für das Referendum aussprach. Darin nehmen die Gläubiger einige ihrer Streichungen wieder zurück. So war bezüglich der Mehrwertsteuererhöhungen lange die Frage diskutiert worden, ob Hotels nun bei 23 Prozent oder bei 13 Prozent Mehrwertsteuer verbucht werden sollen. Die Gläubiger ließen sich zum Schluss auf eine niedrigere Rate ein.
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5270_en.htm
Einige Streitpunkte blieben: Tsipras wollte zum Beispiel die Zusatzrenten für die Ärmsten nicht „auslaufen“ lassen, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) forderte, sondern „ersetzen“. Nach Forderungen der Gläubiger sollten diese Kürzungen sofort einsetzen und zwar bei den zwanzig Prozent, der "wohlhabendsten" Armen. Zudem wollten die Griechen ihre geplante einmalige Abgabe von 12 Prozent für Unternehmensgewinne über 500.000 Euro nicht streichen. Hierüber waren die Gläubiger noch uneins. Auch bei den geforderten Kürzungen im Militärhaushalt klaffte noch eine Lücke zwischen 400 Millionen Euro (Gläubiger) und 200 Millionen Euro (Griechenland).
Doch der größte und schlussendliche Dissens herrscht bei der Frage der Schuldenumstrukturierung. Sowohl Tsipras als auch Varoufakis betonten von Beginn an, dass sie nur einen „belastbaren“ Kompromiss für ihr Land schließen könnten. Griechenland könne nur mit weniger Schuldenlast wieder wirtschaftlich wachsen. Doch besonders Deutschland und damit Schäuble sind gegen Schuldenerleichterungen. Vorgeschlagen wird den Griechen stattdessen, das jetzige Programm bis November zu verlängern und dann ein drittes Bail-out-Programm mit weiteren Auflagen zu beschließen. So begründete auch Varoufakis gegenüber der Euro-Gruppe die Ablehnung des Gläubiger-Vorschlags. http://yanisvaroufakis.eu/2015/06/28/as-it-happened-yanis-varoufakis-intervention-during-the-27th-june-2015-eurogroup-meeting/
Juncker allerdings betont nun, dass die Kreditgeber auch bereit seien, verstärkt über die Frage der Schuldentragfähigkeit zu sprechen. Damit bezieht er sich auf eine Veröffentlichung der Eurogruppe am Samstag (unter Ausschluss des griechischen Ministers Varoufakis). http://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2015/06/27-eurogroup-statement-greece/
Bereits 2012 war dem konservativen Premierminister Antonis Samaras zugesagt worden, ab einer Verschuldung von 120 Prozent des Bruttoinlandprodukts könne es eine Schuldenerleichterung geben. Das aber war an Auflagen gekoppelt, die seine Nea Dimokratia Ende 2014 nicht mehr erfüllen wollte. Inzwischen liegt die Verschuldung Griechenlands bei über 170 Prozent des Bruttoinlandprodukts.