Prozess gegen den "Buchhalter von Auschwitz": "Für uns war das Routine"
Der frühere SS-Unteroffizier Oskar Gröning beschreibt vor dem Landgericht Lüneburg die Abläufe an der Rampe von Auschwitz-Birkenau – und hebt hervor, dass das Morden "ordentlich" ablief.
Wenn der frühere SS-Unteroffizier Oskar Gröning vor Gericht über das nationalsozialistische Vernichtungslager Auschwitz spricht, dann taucht ein Begriff immer wieder auf: Ordnung. Über die Rampe in Birkenau, an der die Züge mit den in Viehwaggons gezwängten Juden ankamen, sagte der 93-Jährige: „Es war sehr viel ordentlicher und nicht so strapaziös wie auf der Rampe in (dem Lager Auschwitz) Eins.“ Von der Rampe wurden die meisten Menschen direkt in die Gaskammern geschickt. „Es hat keine Exzesse gegeben. Das ist alles ruhig vonstatten gegangen,“ sagte Gröning am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Lüneburg, wo er sich wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Menschen verantworten muss.
„Ich bin nur ein armer kleiner Unteroffizier gewesen“
Den täglichen, unaufhörlichen Massenmord in Auschwitz beschreibt Gröning distanziert. Besondere Befehle für die „Ungarn-Aktion“, wie die Nationalsozialisten die Ermordung der ungarischen Juden im Sommer 1944 nannten, habe es nicht gegeben. „Für uns war das Routine.“ Von dem Bau neuer Gaskammern in Birkenau oder anderen Vorgängen im Lager will er nichts gewusst haben: „Ich bin nur ein armer kleiner Unteroffizier gewesen.“
Wenn es um die Ermordeten geht, werden Grönings Aussagen unscharf. Als er darüber spricht, wie viele Juden in einem ankommenden Zug waren, muss er kurz überlegen. „Ich weiß es nicht so genau, ich war nie gut im Kopfrechnen“, behauptet der ehemalige Bankangestellte und Buchhalter. Manchmal greift Gröning auf Formulierungen zurück, die seine innere Distanz, das Fehlen von Empathie mit den Opfern, sehr deutlich machen: „Man rühmte sich damit, dass man in 24 Stunden 5000 Leute versorgen konnte.“ Gröning habe in Auschwitz das „normale“ Töten akzeptiert, sagte der Staatsanwalt Jens Lehmann.
Wie oft stand Oskar Gröning an der Rampe?
Am weiten Prozesstag stand die Frage im Mittelpunkt, wie oft Gröning an der Rampe von Auschwitz-Birkenau im Einsatz war. Er selbst sagt, er sei nur dreimal dort gewesen. „In dieser Zeit war alles normal und lief ohne irgendwelche Schwierigkeiten.“ Doch in einer Vernehmung im Jahr 1978 habe Gröning etwas anderes ausgesagt, hält ihm einer der Richter vor. Damals erklärte Gröning, dass auch die Angehörigen der Häftlingsgeldverwaltung, in der er tätig war, „zum regelmäßigen Dienst auf der Rampe eingeteilt“ worden seien, um das Gepäck der Ankommenden zu bewachen. Der Angeklagte behauptete nun in Lüneburg, bei der früheren Vernehmung habe man ihm versichert, er habe nichts zu befürchten. „Dass Sie mich heute hier zitieren, habe ich damals nicht gewusst. Dann wäre ich sicher vorsichtiger gewesen.“
Eva Kor überlebte Mengeles Menschenversuche in Auschwitz
Am Ende des zweiten Prozesstages kam die Nebenklägerin Eva Kor zu Wort. In einer Erklärung schilderte die Auschwitz-Überlebende, wie sie im Mai 1944 als Zehnjährige in dem Vernichtungslager ankam und gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester vom SS-Arzt Josef Mengele furchtbaren Experimenten ausgesetzt wurde. Bis heute weiß sie nicht, was die Ärzte in Auschwitz ihr und ihrer Schwester bei ihren Menschenversuchen injiziert haben. Vor Gericht betonte Eva Kor nun, sie habe den Nazis vergeben. „Aber meine Vergebung spricht die Täter nicht frei, Verantwortung zu übernehmen für ihr Handeln.“
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