Vorwahl der US-Demokraten in South Carolina: Für Joe Biden geht es schon um alles
In South Carolina wird sich entscheiden, ob Joe Biden noch eine Chance hat im Präsidentschaftsrennen der Demokraten. In Umfragen liegt er vorn.
Der große Saal der Mt. Moriah Missionary Baptist Church füllt sich. An runden Zehnertischen nehmen die schwarzen Geistlichen Platz, begrüßen sich freundlich, holen Frühstück und vor allem Kaffee. Der Tag ist ja noch jung. Manche wie Ethel Talley aus Greenville sind schon um zwei Uhr morgens aufgestanden, um nach North Charleston zu fahren.
Auf der Bühne versammeln sich derweil Organisatoren und andere Honoratioren des alljährlichen "National Action Network South Carolina Ministers' Breakfast", unter anderem der bekannte schwarze Prediger und Bürgerrechtler Al Sharpton sowie der afroamerikanische Kongressabgeordnete James Clyburn, der seinen Wahlkreis in Charleston hat. Und Joe Biden, der erste von insgesamt sechs demokratischen Präsidentschaftsbewerbern, die hier am Mittwochmorgen sprechen.
Joe Biden spricht als erster
Dass der ehemalige Vizepräsident zum Auftakt dran ist, kann man als klare Ansage verstehen. Denn dieser Auftritt, einer von Dutzenden, die er vor der Vorwahl an diesem Samstag in South Carolina absolvieren wird, ist ein Heimspiel für ihn. Biden war nicht nur der treue Stellvertreter des ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama.
Der ehemalige Senator gilt auch seit Jahrzehnten als Freund der afroamerikanischen Community – und, sehr wichtig an diesem Ort, dass er tief gläubig ist, muss der 77-Jährige niemandem mehr beweisen. Er fühlt sich wohl, wird viel umarmt – und er baut fest darauf, dass er in South Carolina dank der Stimmen der Afroamerikaner (sie machen hier gut 60 Prozent der demokratischen Wählerschaft aus) endlich mal einen Sieg nach Hause bringt.
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Sein Abschneiden in den ersten drei Vorwahlen war so enttäuschend, dass inzwischen mancher schon glaubt, dass der monatelange Favorit bald aus dem Rennen aussteigt. Auch darum schauen viele bereits auf den ehemaligen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, der Milliardär, der in South Carolina noch nicht zur Wahl steht, aber landesweit schon Rekordsummen für Werbung ausgibt.
Eine neue Umfrage sieht Biden in South Carolina klar vorne
Doch dieser Mittwoch ist erst einmal ein guter Tag für Joe Biden. Nur wenige Minuten nach seinem mit Standing Ovations belohnten Auftritt, bei dem er über seinen "Freund" Barack, aber auch über seinen Glauben und die zahlreichen Tragödien in seinem Leben ("Glaube kommt am stärksten in der Dunkelheit zum Ausdruck") redet, spricht der einflussreiche Abgeordnete Clyburn sich für ihn aus.
"Ich kenne Joe, wir kennen Joe. Aber am Wichtigsten: Joe kennt uns", sagt Clyburn bei einer eigens organisierten gemeinsamen Pressekonferenz in einem Nebenraum. Daher werde er für Biden stimmen, und die Wähler in South Carolina sollten das auch tun. Dieses "Endorsement" ist extrem wichtig – wie wichtig, zeigt eine neue Umfrage der Monmouth University: Darin liegt Joe Biden mit 36 Prozent auf einmal wieder völlig unangefochten vorne. Bernie Sanders, der deutlich weiter links stehende Senator aus Vermont, der durch die ersten Vorwahlen die Favoritenrolle eingenommen und in South Carolina in den letzten Wochen stark aufgeholt hat, folgt mit weitem Abstand auf Biden an zweiter Stelle (16 Prozent).
Für Biden ist South Carolina die "Brandmauer": Gewinnt er hier wieder nicht, droht am "Super Tuesday" drei Tage später ein Desaster. Schafft er allerdings einen überragenden Erfolg, hofft er auf genügend Rückenwind, um am 3. März dranbleiben zu können, wenn in 14 Staaten gleichzeitig gewählt wird, darunter in den wichtigen Staaten Kalifornien und Texas.
Bernie Sanders setzt auf den "Super Tuesday" am 3. März
Auf diesen Tag schaut Sanders ganz besonders. Zwar wirbt auch er in zahlreichen Events um die Stimmen der Wähler in South Carolina. Aber er ist deutlich stärker als Biden auch im Rest des Landes aktiv, vor allem in den "Super Tuesday"-Staaten, wo rund ein Drittel der Delegierten für den Nominierungsparteitag der Demokraten bestimmt werden.
Auch Sanders spricht beim Ministers' Breakfast, allerdings nicht über seinen Glauben. Er will die Wähler, auch die afroamerikanischen, durch sein Programm für mehr soziale Gerechtigkeit überzeugen. Seine Forderungen – ein Mindestlohn von 15 Dollar, höhere Steuern für Konzerne und reiche Amerikaner, ein Erlass der horrenden Studiengebühren-Schulden und vor allem eine bezahlbare Krankenversicherung für alle – sind teuer, für viele radikal und, das ist wichtig, seit Jahrzehnten dieselben. Diese Stringenz lieben seine Anhänger.
Bei einer Rallye in Charleston nur wenige Stunden nach dem Frühstück jubeln sie ihm wieder zu, hier im Messe-Zentrum und später in Myrtle Beach zählt seine Kampagne gut 4000 "Bernie"-Fans, an einem ganz normalen Werktag. Die Atmosphäre erinnert schon wegen der Lautstärke an Rockkonzerte.
"Es geht um uns, nicht um mich", ruft Bernie Sanders
Die Energie des weißhaarigen 78-Jährigen, der meist mehr brüllt als spricht und hinter fast jede seiner Aussagen ein Ausrufezeichen mit seinem ausgestreckten rechten Zeigefinger in die Luft hämmert, ist erstaunlich, vor allem, wenn man bedenkt, dass er im vergangenen Jahr einen Herzinfarkt erlitt. "Es geht um uns, nicht um mich", ruft er und fügt dann etwas leiser, dafür umso eindringlicher an, dass "wahrer Wandel niemals von oben nach unten" erreicht werde. Darum werde er für die größte Wahlbeteiligung in der Geschichte der Vereinigten Staaten sorgen und viele neue Wähler an die Urnen bringen.
Sanders ist stolz auf seine riesige Graswurzelbewegung. Ob das mit der Wahlbeteiligung allerdings aufgeht, die vielen jungen Anhänger also tatsächlich wählen gehen, ist noch offen: In den ersten Vorwahlen war dieser Effekt nicht festzustellen.
Viele Demokraten fürchten eher, dass Sanders moderate Wähler mit seinem radikalen Plänen abschrecken und damit den ersehnten Wahlsieg gegen Amtsinhaber Donald Trump gefährden könnte. Schon heißt es, das Parteiestablishment bereite sich darauf vor, beim Nominierungsparteitag im Juli alles dafür zu tun, dass es am Ende nicht Sanders werde.
Sie glauben fest, dass ihr Kandidat mehrheitsfähig ist
Dessen Anhänger macht das wütend. Sie sind fest davon überzeugt, dass ihr Kandidat mehrheitsfähig ist. "Bernie ist echt. Er ist ehrlich und spricht darüber, was die Menschen tatsächlich brauchen", sagt Jimmy Dukes. Sanders sei eben keine Hochglanz-Titelgeschichte, er spreche alle Amerikaner an, auch die weniger erfolgreichen.
Dukes hat gerade seinen Job bei Volvo in Charleston verloren, "wegen der Handelskriege von Donald Trump". Die Produktion sei zurückgegangen, statt 186 Fahrzeugen pro Tag würden derzeit nur noch 130 gebaut. Daher würden auch weniger Leute gebraucht. Der 42-Jährige hat zwei Töchter und macht sich nun Sorgen. "Irgendeinen Job werde ich schon finden", sagt Dukes, der als Teamleiter für Testfahrer arbeitete.
Aber mit zehn Dollar die Stunde könne er sich sein Haus nicht mehr leisten, für das er 1800 Dollar im Monat zahle. "Charleston ist sehr teuer." Wie so viele hier vertraut er auf Sanders, dass der die "großen Probleme" des Landes, die ungerechte Wohlstandsverteilung in den Griff kriege.
Beim TV-Duell gehen alle auf den Favoriten los
Dass der Senator der derzeitige Favorit ist, zeigte sich auch am Dienstagabend bei der zehnten TV-Debatte der Demokraten in Charleston. Hier wurde er von seinen Kontrahenten kräftig unter Beschuss genommen. Doch Sanders konnte gut kontern und schien sich fast über die große Aufmerksamkeit zu freuen. "Ich höre meinen Namen heute Abend immer wieder. Ich frage mich, warum", sagte er da.
Joe Biden muss nun beweisen, dass er weiterhin der aussichtsreichste Kandidat der Moderaten ist. Erfahrung, aber ganz besonders Empathiefähigkeit werden immer wieder als seine größten Stärken genannt. Das spürt man bei seinen Auftritten. Es sind oft kleine Events, wo ihm die Menschen ganz nah kommen, ihn anfassen können.
Der ehemalige Vizepräsident hat keine Berührungsängste
Am Donnerstag besucht er ein Community Health Center in der Kleinstadt McClellanville eine knappe Stunde von Charleston entfernt. Vor gerade mal rund zwei Dutzend Afroamerikanern, die dieses Zentrum schätzen, weil sie hier ortsnah und günstig medizinisch versorgt werden, spricht Biden über die Sorgen, die er bei den Mitarbeitern des Zentrums spüre, über Würde – und über die Politik, die das Leben dieser Menschen besser macht. Auch hier erzählt er wieder über Barack Obama und der nach diesem benannten Gesundheitsreform. Anders als Sanders will Biden keine Revolution, die den Menschen Angst mache. Er will Obamacare weiterentwickeln.
Auf welches Konzept die Demokraten bei ihrem Kampf gegen Trump setzen wollen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Eine Vorentscheidung könnt es bereits in den nächsten Tagen geben.