zum Hauptinhalt
Update

Syrien Kontaktgruppe in Tunis: "Freunde Syriens" erhöhen Druck auf das Assad-Regime

Immer mehr Nationen fordern den Rücktritt des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Das erhoffte Ultimatum fehlt aber in der Abschlusserklärung der Syrien-Kontaktgruppe, die sich am Freitag zum ersten Mal traf.

Über 60 Staaten, arabische und europäische, die Vereinigten Staaten und die Türkei, trafen sich am Freitag in Tunis zur ersten Konferenz der „Freunde Syriens“, auch wenn die UN-Vetomächte Russland und China erneut demonstrativ fernblieben. In der Abschlusserklärung des Treffens fordert die „Freundesgruppe“ von Assad ein „sofortiges Ende aller Gewalt“, damit humanitäre Hilfe geleistet werden könne. Andernfalls sei man zu weiteren „politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Maßnahmen“ bereit. Von einem Ultimatum an das Assad-Regime war in einem der Nachrichtenagentur dpa vorliegenden Entwurf keine Rede. Stattdessen wurde der Vorschlag der Arabischen Liga wiederholt, der die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit unter der Ägide von Vizepräsident Scharaa vorsieht.

In der Abschlusserklärung der Konferenz wurde auch freier Zugang für internationale Organisationen zu belagerten Städten wie Homs verlangt. Zugleich stellte die Gruppe unverzüglich umfassende humanitäre Hilfe in Aussicht, sobald Assad die Angriffe gegen die eigene Bevölkerung stoppt. Der ägyptische Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, hatte zuvor erklärt, die Liga sei dabei, konkrete Maßnahmen für medizinische und humanitäre Hilfe in Syrien zu ergreifen. Nothelfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds begannen am Freitag in Homs damit, verletzte Menschen zu versorgen. Zugleich nahmen sie Verhandlungen mit den Behörden auf. Das Viertel Baba Amro lag in den letzten Tagen laut Berichten von Augenzeugen unter schwerem Beschuss durch syrische Regierungstruppen.

Seit rund einer Woche hatte das Rote Kreuz die syrischen Behörden und die bewaffnete Opposition immer wieder aufgefordert, eine Feuerpause zur Versorgung der Verletzten und Notleidenden zu ermöglichen. Unter den Menschen, die in Homs dringende Hilfe brauchen, sind laut Angaben des Roten Kreuzes auch verwundete Journalisten.

Der tunesische Präsident Moncef Marzouki legte Assad nahe, mit seiner Familie nach Russland ins Exil zu gehen. Eine Lösung nach dem Vorbild des Jemen sei auf jeden Fall besser als eine Militärintervention oder die Bewaffnung von Deserteuren. Assad solle ins Exil gehen und die Macht an Vizepräsident Faruk al-Scharaa übergeben, ähnlich wie dies Präsident Ali Abdullah Salih im Jemen getan hatte. Der Assad-Familie solle - wie zuvor der Familie Salih - Immunität zugesichert werden. Ähnlich äußerten sich die Vertreter mehrerer Golfstaaten.

Die im Syrischen Nationalrat (SNC) zusammengeschlossene Opposition wurde in Tunis erstmals anerkannt als „eine legitime Vertretung des syrischen Volkes“, wenn auch nicht als „einzige legitime Vertretung des syrischen Volkes“. Eine völkerrechtliche Anerkennung, auf die Teile der Opposition gehofft hatten, bedeutet dies nicht. Denn der SNC ist stark zerstritten. Ihm gehören politische Gruppen verschiedenster Richtungen und ideologischer Überzeugungen an, Exil-Syrer genauso wie kommunalen Komitees oder Bewaffnete, die auf eigene Faust in kleinen Gruppen kämpfen oder in Einheiten der „Freien Syrischen Armee“ organisiert sind. Das zehnköpfige Exekutivkomitee unter Vorsitz von Burhan Ghalioun, das sich letzte Woche im Four-Seasons-Hotel in Doha zu mehrtägigen Beratungen traf, gilt als gespalten und faktisch handlungsunfähig. Kaum Kontakt hat die SNC-Spitze zu dem anderen Oppositionsverband, dem in Syrien ansässigen Nationalen Syrischen Koordinationskomitee (NCC). Anders als der Syrische Nationalrat lehnt der NCC eine militärische Intervention von außen strikt ab und ist zu Verhandlungen mit Präsident Assad über einen schrittweisen Machttransfer bereit.

Der SNC bat die „Freundesgruppe“ darum, auch Waffenlieferungen und Hilfe durch Militärberater zu prüfen. Er versprach, Racheakte nach einem Sturz des Regimes zu verhindern und eine „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ einzusetzen.

Der UN-Menschenrechtsrat legt Beweise für die Gräueltaten in Syrien vor: Auf beiden Seiten wird gemordet.

Stunden vor Beginn der Konferenz in Tunis überraschte UN-Generalsekretär Ban ki-Moon die internationale Öffentlichkeit und ernannte seinen Vorgänger Kofi Annan zum gemeinsamen Vermittler von Vereinten Nationen und Arabischer Liga in Syrien, ein Schritt, der auch in Moskau begrüßt wurde. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach von einer „klugen Wahl“. Der frühere UN-Generalsekretär besitze „eine Autorität, an der auch Länder wie Russland und China nicht vorbeigehen werden“.

Zuvor hatte der UN-Menschenrechtsrat Damaskus in einem 72-seitigen Bericht vorgeworfen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Streitkräfte und Milizen hätten gezielt Frauen und Kinder getötet, Wohnviertel wahllos mit Granaten beschossen sowie verletzte Demonstranten aus Krankenbetten geholt und gefoltert, heißt es in dem Text. Nach Ansicht der UN-Ermittler lässt sich die Befehlskette der Untaten bis in die höchsten Ränge von Staat und Militär zurückverfolgen. Der UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay übergaben sie eine vertrauliche Liste mit Namen von Regimegrößen und Armeekommandeuren, gegen die vor dem Strafgerichtshof Den Haag Verfahren eröffnet werden könnten. Auch die „Freie Syrische Armee“ ist laut Text für Folter und Hinrichtungen verantwortlich, die jedoch „in Umfang und Organisation nicht vergleichbar“ seien mit der Regimeseite.

Ungeachtet immer lauterer Rufe aus der Opposition lehnt US-Präsident Barack Obama eine Bewaffnung der Rebellen in Syrien weiter ab. „Eine weitere Militarisierung in Syrien ist zu diesem Zeitpunkt nicht klug“, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, in Washington. Zuletzt hatten sich prominente republikanische US-Senatoren für Waffenlieferungen an die syrische Opposition ausgesprochen. US-Außenministerin Hillary Clinton warnte in Tunis, Assads Regime werde einen hohen Preis wegen der Verletzung der Menschenrechte zahlen müssen. Damaskus habe alle Appelle der internationalen Staatengemeinschaft ignoriert. Clinton rief zu einem internationalen Öl-Boykott gegen das Land auf.

Derweil ging der Beschuss des Stadtteils Baba Amr in Homs auch am Freitag unvermindert weiter, während im ganzen Land nach dem Freitagsgebet wieder Zehntausende gegen das Assad-Regime auf die Straße gingen unter dem Motto „Wir stehen auf für Baba Amr“. Wie Menschenrechtler berichten, sind in dem umkämpften Wohnviertel nach 21 Tagen Offensive rund 20.000 Zivilisten von der Armee umzingelt und werden wahllos mit 240-Millimeter-Mörsergranaten aus russischer Produktion beschossen, die besonders verheerende Schäden anrichten. 70 Prozent der Häuser seien inzwischen unbewohnbar. 465 Menschen haben nach Informationen von Amnesty International seit Beginn der Offensive ihr Leben verloren. In der provisorischen Klinik von Baba Amr arbeite nur noch ein einziger Arzt. In der bisher ruhigen Wirtschaftsmetropole Aleppo skandierten am Freitag die Demonstranten „Wir beugen uns nur vor Allah“, auch in Idlib protestierten wieder tausende gegen das Regime. In der Nähe von Hama exekutierten Soldaten 18 Dorfbewohner mit Schüssen in den Kopf.

Auch in Berlin sympathisieren viele mit der syrischen Opposition. Bilder von den Demonstrationen in der Hauptstadt:

Ungeachtet der gnadenlosen Gewalt hat Präsident Bashar al-Assad für kommenden Sonntag ein Referendum über eine neue Verfassung angesetzt, die zum ersten Mal in der mehr als 40-jährigen Baath-Herrschaft ein Mehrparteiensystem zulässt und die Präsidentschaft auf zwei siebenjährige Amtsperioden begrenzt. Die amerikanische Regierung bezeichnete das Vorhaben angesichts der Situation im Land als „lachhaft“. Der Syrische Nationalrat (SNC) rief die Bevölkerung zum Boykott auf. Regimegegner in Damaskus dagegen warben über Facebook, den Urnengang für neue Großkundgebungen zu nutzen. In den letzten acht Tagen war es bereits zwei Mal im Zentrum der syrischen Hauptstadt zu größeren Protesten gekommen. Auch am Freitag gingen im zentral gelegenen Midan-Viertel wieder tausende auf die Straße und forderten den Sturz von Präsident Assad. (mit dpa)

Zur Startseite