Bundeswehr: Fregatten ohne Besatzung
Die Bundeswehr hat Milliarden für vier Fregatten ausgegeben. Laut einem internen Bericht des Rechnungshofs wurde aber die Ausbildung der Crews vergessen.
Wer neue Schiffe baut, muss auch neue Besatzungen dafür ausbilden, die diese Schiffe fahren können. Das klingt selbstverständlich – denn was nützt ein Schiff ohne Mannschaft? Die Marine hat es trotzdem nicht getan. "Die Bundeswehr versäumte es, bei der Beschaffung von vier Fregatten der Klasse 125 zeitgerecht ein detailliertes Ausbildungskonzept zu erarbeiten", heißt es in einem internen Bericht des Bundesrechnungshofs, der ZEIT ONLINE vorliegt.
Das mag nach einer Nebensache klingen, es ist aber keine. Die Folgen sind gravierend und werden viele Jahre lang dazu führen, dass die neuen und sehr teuren Bundeswehrfregatten nicht so eingesetzt werden können wie geplant – weil die Besatzungen dafür fehlen. Das bereits jetzt um Jahre verspätete Milliardenprojekt verzögert sich dadurch weiter und wird wohl auch noch teurer.
Das Urteil der Rechnungsprüfer ist vernichtend. Auf 24 Seiten attestieren sie dem Verteidigungsministerium, dass die Beamten zwar neue Schiffe bestellten, sich aber nicht darum kümmerten, wer diese Schiffe später steuern soll. Mehrfach hat das Ministerium demnach die Planung verschleppt, wo und wie die neuen Crews ausgebildet werden sollen und viele Jahre ungenutzt verstreichen lassen. Erst 2016 – zwei Jahre nachdem das erste Schiff laut ursprünglichem Zeitplan im Dienst sein sollte – habe die Marine ein Konzept für die nötigen Ausbildungseinrichtungen vorgelegt.
Wurde das Projekt schöngerechnet?
Der Fehler begann demnach bereits mit der Bestellung. Im Jahr 2007 unterschrieb die Bundeswehr den Vertrag für die vier Fregatten der neuen Schiffsklasse F 125. Doch im Etat waren nur die Schiffe selbst verbucht, mit damals kalkulierten 650 Millionen Euro pro Stück. Dass man neue Ausbildungsanlagen würde bauen müssen, um die dafür nötigen Besatzungen zu schulen, habe die Bundeswehr zwar bereits damals erkannt, schreibt der Rechnungshof. Trotzdem seien solche Ausbildungszentren nicht Teil des Projektes gewesen und damit nicht Teil des Etats.
Ein Grund, warum Großprojekte des Militärs so oft schiefgehen, ist der Versuch, sie billiger zu rechnen, damit sie im Parlament genehmigt werden. Hinter vorgehaltener Hand wird das im Verteidigungsministerium ironisch planerischer Dreikampf genannt: schieben, strecken, streichen.
Wollte das Ministerium auch das Projekt F 125 preiswerter erscheinen lassen und hat deshalb die Ausbildung nicht miteingerechnet? Mit immerhin 169 Millionen Euro werde die Ausbildung derzeit kalkuliert, schreibt der Rechnungshof und bemängelt gleichzeitig, dass das nur eine grobe Schätzung sei. Die Bundeswehr "könne auch elf Jahre nach Unterzeichnung des Beschaffungsvertrags nicht genau abschätzen", was das neue Besatzungskonzept der Fregatten wirklich kosten werde.
Auf Nachfrage bestätigte das Ministerium zwar grundsätzlich, den Prüfbericht erhalten zu haben. Es beantwortete aber nicht die Frage, warum die Ausbildung so lange ignoriert worden ist. "Die Ausbildung unserer Soldatinnen und Soldaten genießt sehr hohe Priorität", schrieb ein Sprecher des Ministeriums lediglich. Daher werde in jedem Rüstungsprojekt das Thema Ausbildung mitverhandelt "und schließlich auch die dafür notwendigen Mittel beschafft".
Projekt F 125 hätte so nie bestellt werden dürfen
Auch dem Rechnungshof ist es nicht gelungen, etwas zu den Gründen zu erfahren. Im Bericht heißt es zweimal, das Ministerium habe nur angegeben, "dass es zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für die Beschaffung der Fregatten 125 möglicherweise Gründe gegeben haben könne, die für die Einsatzausbildung der Besatzungen benötigten Landausbildungsanlagen nicht in das Projekt aufzunehmen". Welche Gründe das gewesen sein könnten, bleibt offen.
Der Sprecher des Verteidigungsministeriums schreibt dazu: "Die Besonderheiten des neuen und bis dahin nicht angewendeten Mehrbesatzungskonzepts inklusive einer Intensivnutzung der Fregatten konnten zum Zeitpunkt der Vertragsschließung noch nicht vollumfänglich wegen mangelnder Erfahrung berücksichtigt werden."
Die Marine habe vor dem Bauauftrag nicht rechtzeitig geprüft, ob sie auch genug Besatzungen für die Schiffe ausbilden könne, heißt es dagegen in dem Bericht des Rechnungshofes. Daher sei ihr nicht aufgefallen, dass die bisherige Kapazität der Marineschulen nicht genüge und dass sie ein eigenes Einsatzausbildungszentrum für die neuen Fregatten aufbauen müsse. Doch ohne ein solches Ausbildungskonzept hätte es nie einen Bauauftrag geben dürfen, findet der Bundesrechnungshof. Denn damit "fehlte zum Entscheidungszeitpunkt ein wesentliches Projektelement, ohne das die Bundeswehr die Beschaffung der F 125 nicht hätte beginnen dürfen".
Vier Jahre verstrichen, bis die Marine sich ein Konzept überlegte, wie und wo man die Besatzungen ausbilden könnte. Dann dauerte es laut Rechnungshof drei weitere Jahre, bis man das dafür nötige Ausbildungszentrum auch plante. Allerdings gab es nicht genug Dienststellen, um die Pläne gründlich auszuarbeiten. Erst 2016 seien diese Pläne ausreichend konkret geworden, um mit dem Aufbau des Zentrums auch beginnen zu können. Und erst 2023 sollen genug Dienststellen vorhanden sein, um den Aufbau auch abzuschließen.
Kein Orchester, aber das Konzerthaus wird schon gebaut
Die Klasse F 125 ist das Prestigeprojekt der Marine. Jedes der vier neuen Schiffe ist inzwischen ungefähr so teuer wie die Hamburger Elbphilharmonie, fast 800 Millionen Euro. Der Vergleich mit dem Konzerthaus lässt das Ausmaß des Desasters bei der Marine erahnen: Würde man vier Konzerthäuser in Auftrag geben, ohne auch für Orchester zu sorgen, die nach der Eröffnung darin spielen?
Zudem war von Anfang an klar, dass die Fregatten des Typs F 125 eine andere Ausbildung nötig machen würden. Denn der Grund, warum sie entwickelt und angeschafft wurden, ist ihre Fähigkeit, besonders lange unterwegs zu sein. Bis zu zwei Jahre sollen die Schiffe auf dem Meer bleiben, ohne eine Werft anlaufen zu müssen. Und das mit nur 120 Mann, einer viel kleineren Besatzung als frühere Fregatten.
Damit das funktioniert, sollen die Besatzungen während des Einsatzes getauscht werden. Keine soll mehr als vier Monate am Stück Dienst tun müssen – auch um den bisher sehr langen Dienst auf See attraktiver zu machen. Zumindest war das der Plan. Mehrbesatzungsmodell heißt das Konzept, das bei der Schiffsklasse F 125 zum ersten Mal angewendet werden soll.
Es bedeutet, dass eine Besatzung das Schiff sofort an eine andere übergeben kann, die es dann weiterfährt. Dazu sollten pro Schiff zwei vollständige Besatzungen ausgebildet werden, also insgesamt acht für die vier Schiffe. Jede Crew soll dann im Wechsel jedes Schiff übernehmen können, also nicht mehr wie bisher fest an eines gebunden sein. Von den vier Schiffen sollten außerdem immer zwei gleichzeitig unterwegs sein, ein drittes in der Werft liegen und das vierte für die Ausbildung zur Verfügung stehen. Das war der Plan.
Ausbildungszentrum kommt erst 2030
Doch dazu wird es auf Jahre hinaus nicht kommen, da es nicht genügend Crews gibt. Zwar ist auch noch kein Schiff da – das erste soll nach langer Mängelbeseitigung Anfang 2019 nun endlich von der Bundeswehr in Dienst gestellt werden. Doch werden die übrigen drei Schiffe wahrscheinlich in den kommenden beiden Jahren in schneller Folge geliefert.
Allein um zwei der Schiffe parallel in Krisengebiete zu schicken, bräuchte es jedoch bereits alle acht Besatzungen. Bisher gibt es aber nur vier Crews, und keine davon hat ihre Ausbildung beendet – sie haben noch kein Schiff, auf dem sie üben können.
Eine weitere Neuerung des Mehrbesatzungsmodells ist, dass die Seeleute an Land ausgebildet werden und dann nahtlos das Schiff am Einsatzort von der abgelösten Crew übernehmen. Dazu aber bräuchte es eben jenes Einsatzausbildungszentrum, das es bislang nicht gibt und auch so bald nicht geben wird. Denn nach Meinung der Prüfer des Rechnungshofes wird dieses Zentrum frühestens 2030 fertig.
Das Verteidigungsministerium dementierte diese Zahl nicht. Der Sprecher schrieb dazu, das Ausbildungszentrum werde "absehbar ab Anfang der 2020er-Jahre kontinuierlich aufwachsen und seine volle Leistungsfähigkeit in den weiteren Jahren erreichen".
Das wird wohl dazu führen, dass in den kommenden Jahren höchstens eine der vier Fregatten im Einsatz sein kann. Die anderen drei liegen in der Werft oder dienen vor allem der Ausbildung. Denn ohne Ausbildungszentrum an Land muss die auf den Schiffen selbst stattfinden. Zwei Schiffe parallel im Einsatz zu haben werde der Marine so nicht gelingen, schreiben die Prüfer.
Die Hoffnung der Marine, dank der neuen Schiffe mehr internationale Aufträge erfüllen zu können, ist damit dahin. Dabei beklagt sich die Nato jetzt schon über die Deutschen, weil sie so wenig Schiffe haben, ihren Verpflichtungen nicht nachkommen und ihre Versprechen nicht halten.
Nebenbei wird das Ganze damit wohl auch wieder teurer. Nach derzeit bekannten Informationen sollen die Schiffe samt Ersatzteilen insgesamt 3,1 Milliarden Euro kosten. Doch ein Kostenrisiko wurde in dieser Kalkulation nie berücksichtigt: die Menschen, die die neuen Kriegsschiffe bedienen sollen.
Dieser Text erschien zuerst bei Zeit Online.