Antibabypille "Yasminelle": Frau verklagt den Pharmakonzern Bayer
200.000 Euro Schadensersatz fordert eine Frau, die fast an einer Lungenembolie gestorben wäre. Sie gibt der Antibabypille "Yasminelle" die Schuld. Das Landgericht verhandelt jetzt.
Ihre Frauenärztin sagte damals, die „Yasminelle“ sei besonders verträglich. Sie verhindere nicht nur eine Schwangerschaft, sondern auch die Gewichtszunahme. Und sorge für eine reine Haut. Ein Schönheitselixier in Pillenform. Über Risiken sprach sie nicht. Acht Monate später, im Juni 2009, starb Felicitas Rohrer beinahe an einer doppelten Lungenembolie.
Für die 31-Jährige ist klar: Ihre Anti-Baby-Pille ist schuld. Deswegen verklagte sie den Pharmariesen Bayer im Mai 2011 auf Schadensersatz und 200000 Euro Schmerzensgeld. An diesem Donnerstag verhandelt das Landgericht Waldshut-Tiengen in Baden-Württemberg ihren Fall. Eine außergerichtliche Einigung wollte Felicitas Rohrer ganz bewusst nicht. Es ist der erste Prozess dieser Art in Deutschland.
Sie war keine Risiko-Patientin
„In dem Beipackzettel wurde das Thrombose-Risiko zwar erwähnt“, sagt die Klägerin am Telefon. „Es wirkte aber so, als wenn das nur für ältere oder übergewichtige Frauen gilt.“ Nicht für sie: Jung, sportlich, Nichtraucherin, Nicht-Risikopatientin. Die Packungsbeilage hat Bayer inzwischen geändert und weist mehrfach auf das erhöhte Risiko hin.
Umstritten sind Verhütungsmittel, seitdem es sie gibt. Die „Yasminelle“ gehört zur vierten Generation der Anti-Baby-Pillen. Studien belegen, dass diese Pillen und die der vorhergehenden dritten Generation mit dem Wirkstoff Drospirenon ein doppelt so hohes Thromboserisiko haben wie Pillen der ersten und zweiten Generation. Thrombosen sind Blutgerinnsel, die in den Venen entstehen und zu Schlaganfällen und Embolien führen können. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) hat schon öfters vor den neueren Präparaten gewarnt.
Bayer wehrt sich gegen die Vorwürfe
Der Pharmakonzern wehrt sich gegen den Vorwurf, ein Gesundheitsrisiko gewusst und verschwiegen zu haben: „Bayer hält die geltend gemachten Ansprüche für unbegründet und wird sich dagegen zur Wehr setzen“, sagte der Sprecher Michael Diehl am Mittwoch. Seit der Übernahme des Konkurrenten Schering im Jahr 2006 ist Bayer der weltweit größte Hersteller von Verhütungsmitteln. Im vergangenen Jahr setzte der Konzern mit „Yaz“, „Yasmin“ und „Yasminelle“ 768 Millionen Euro um – mehr als mit Aspirin. Der Gesamtumsatz lag bei 42,2 Milliarden Euro.
Zu den Vorwürfen der Klägerin sagt der Sprecher noch, die Anti-Baby-Pillen von Bayer hätten „ein positives Nutzen-Risiko-Profil, wenn sie gemäß ihrer Indikation eingenommen werden.“ Was allerdings nicht ausschließen könne, dass es im Einzelfall zu „unerwünschten Nebenwirkungen“ kommen kann.
In den USA haben schon mehrere tausend Frauen gegen Bayer geklagt. Bis Anfang dieses Jahres schloss der Konzern rund 9000 Vergleiche in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden US-Dollar ab. Dadurch muss der Konzern keine Schuld einräumen und die Pille nicht vom Markt nehmen. In Frankreich ist die Pille „Diane 35“ aus dem Haus Bayer wegen der Thrombosegefahr seit fast drei Jahren verboten.
Techniker-Krankenkasse warnt erneut
Ob die Pille tatsächlich die Ursache für die Erkrankung von Felicitas Rohrer ist, ist schwer nachzuweisen. „Eine hundertprozentige Bestätigung ist nicht möglich“, sagt sie. „Die Universitätsklinik Freiburg geht aber mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon aus.“
Wenn keine Risikofaktoren bekannt sind, beziffert das Bfarm das Thromboserisiko bei einer Frau, die eine Pille der zweiten Generation nimmt, auf fünf bis sieben von 10000, bei einer Pille wie der „Yasminelle“ auf neun bis zwölf von 10000. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber wegen der Folgen ernst zu nehmen.
Kurz vor dem Prozess warnt auch die Techniker-Krankenkasse noch einmal: Die Unternehmen sollten nicht nur die angeblichen Vorteile der neueren Pillengenerationen wie die bessere Hautverträglichkeit in den Fokus ihrer Informationen rücken, sondern auch auf das höhere Thromboserisiko hinweisen. Vor allem jüngere Frauen würde die umstrittenen Präparate nehmen.
Sie kann nicht lange stehen und sitzen
Felicitas Rohrer hatte 2009 gerade ihr Studium abgeschlossen. Als Tierärztin kann sie aber nicht arbeiten: Sie kann nicht einmal lange sitzen und stehen. Heute arbeitet Felicitas Rohrer als freie Journalistin. Sie nimmt nach wie vor blutverdünnende Medikamente, was eine Schwangerschaft schwierig macht. Wahrscheinlich wird sie nie Kinder bekommen können. In der Packungsbeilage der Pille hatte damals gestanden: „Mit der Yasminelle kannst du das Leben und die Liebe so richtig genießen.“
Seit Jahren macht Rohrer ihren Fall auf den Hauptversammlungen der Bayer-Aktionäre zum Thema. Dank der Vereinigung der kritischen Aktionäre hat sie dort ein Rederecht. Auf der Internetseite www.risiko-pille.de dokumentiert sie Fälle wie ihren – mittlerweile sind es 478. Sollte ein Bayer-Anwalt im Prozess weiter an der Argumentation vom Einzelfall festhalten, dann will sie ihm jeden einzelnen Namen vorlesen.