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Frankreichs neuer Präsident Francois Hollande kann sich in seiner Amtszeit auf die Unterstützung der Parlaments freuen.
© dapd

Linksrutsch im Parlament: Frankreich steht ein Reform-Sommer bevor

Nach dem Linksrutsch in Frankreichs Nationalversammlung hat François Hollande mehr Macht als jeder andere sozialistische Präsident zuvor. Noch im Juli sollen die ersten Reformen durchs Parlament gehen.

Nach den zwei großen Wahlsiegen der Sozialisten steht Frankreich ein heißer Reform-Sommer bevor. Präsident François Hollande will einen Teil seiner politischen Versprechen bereits in den kommenden Wochen durchs Parlament bringen. Vom 3. Juli bis zum 2. August sind dazu außerordentliche Sitzungswochen angesetzt. Die konstituierende Sitzung soll bereits am 26. Juni stattfinden.

Die Vorbereitungen für die neue Legislaturperiode wurden am Montag mit dem traditionellen Rücktritt der übergangsweise amtierenden Regierung eingeleitet. Es gilt allerdings als sicher, dass sie nahezu unverändert wieder eingesetzt wird. Jean-Marc Ayrault wurde bereits am Montag erneut zum Premierminister ernannt.

Bei den Parlamentswahlen in Frankreich hatten die regierenden Sozialisten am Sonntag mit 314 Sitzen eine komfortable Mehrheit erreicht, deutlich mehr als die absolute Mehrheit von 289. Trotzdem wollen die Sozialisten nach den Worten von Parteichefin Martine Aubry weiter mit den Grünen regieren, die auf 17 Mandate kamen.

Als großes Projekte für die außerordentlichen Sitzungswochen steht unter anderem eine umfassende Steuerreform auf dem Programm, bei der Spitzenverdiener und Finanzinstitute deutlich stärker belastet werden sollen. Zudem will die Regierung um Hollande die unter Ex-Präsident Nicolas Sarkozy beschlossene Mehrwertsteuererhöhung kippen und die langfristige Finanzplanung vorstellen. Das Haushaltsdefizit lag die vergangenen Jahre deutlich über dem EU-Grenzwert von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch erste Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit stehen auf dem Programm. Die Arbeitslosenquote in Frankreich stieg zuletzt auf den höchsten Stand seit Ende der 90er Jahre und lag fast doppelt so hoch wie in Deutschland - derzeit ist etwa jeder zehnte Franzose ohne Job.

Sechs Wochen nach Hollandes Wahl zum Präsidenten errangen die Sozialisten und ihre direkten Verbündeten nach Angaben des Innenministeriums vom Montag 314 der 577 Sitze und damit die absolute Mehrheit. 155 Mandate wurden von Frauen gewonnen, so dass ihr Anteil nun mit 26,8 Prozent einen Höchststand erreicht hat. Die mit der Parti Socialiste verbündeten Grünen kamen auf 17 Sitze, die linke Front de Gauche auf 10, die rechtsextreme Front National (FN) auf zwei Mandate.

Die 22-jährige Enkelin von FN-Gründer Jean-Marie Le Pen, Marion Maréchal-Le Pen, wird Frankreichs jüngste Parlamentarierin. Sie errang einen Abgeordnetensitz im südfranzösischen Carpentras. Auch der zweite Sitz der FN ging mit Gilbert Gollard an einen Anwalt aus dem südfranzösischen Departement Gard. Zuletzt war die FN zwischen 1986 und 1988 in der Nationalversammlung vertreten, aber damals galt das kleine Parteien bevorzugende Verhältniswahlrecht, nicht das aktuelle Mehrheitswahlrecht.

FN-Parteichefin Marine Le Pen, unterlag ganz knapp ihrem sozialistischen Gegenkandidaten. Sie will das Wahlergebnis anfechten. Sie hatte am Sonntag gegen den Sozialisten Philippe Kemel mit einem Rückstand von nur 118 Stimmen verloren, bei insgesamt 55.000 abgegebenen Stimmen.

Die Wahlbeteiligung war mit 56 Prozent die schlechteste seit 1958. Dies stärkt üblicherweise die Regierungspartei. Hollande wird nun sein linkes Regierungsprogramm und sein europäisches Wachstumsprogramm leichter durchsetzen können.

Die Union für eine Volksbewegung (UMP) des am 6. Mai abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy stürzte mit 194 Mandaten erdrutschartig ab und wird erstmals seit 2002 wieder auf der Oppositionsbank sitzen. Direkte Verbündete eingeschlossen verlor die konservativ-rechte Partei mehr als 100 Abgeordnetensitze. Der Ex-Außenminister und UMP-Politiker Alain Juppé kündigte im TV-Sender BFM eine Grundsatzdebatte innerhalb der Partei an. Die UMP hatte bei der Wahl unter ihrer Annäherung an die rechtsextreme Front National (FN) gelitten. Kandidaten, die sich im zweiten Wahlgang explizit an die Wähler des FN richteten, scheiterten. Alain Juppé, konservativer Bürgermeister von Bordeaux und ebenfalls Anwärter auf den Chefposten der UMP, forderte in der Tageszeitung „Le Monde“ einen Richtungswechsel. „Wir müssen unsere fundamentalen Wertunterschiede mit der FN herausarbeiten“, sagte Juppé. Die UMP könne nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, die ihr Verhältnis zum Holocaust nie geklärt habe und die aus dem Euro aussteigen wolle. „Die UMP muss noch vor dem Parteikongress im November ihre Werte-Charta neu auflegen“, forderte der Spitzenpolitiker. Neben Juppé sollen sich auch der derzeitige Parteivorsitzende Jean-Francois Copé, der ehemalige Finanzminister François Baroin und der ehemalige Premierminister François Fillon für das Amt an der Parteispitze interessieren.

Auch für die ehemalige Frontfrau der Sozialisten, Ségolène Royal, bleibt die Zukunft ungewiss. Die frühere Präsidentschaftskandidatin und ehemalige Lebensgefährtin von Hollande hatte am Sonntag in La Rochelle gegen einen sozialistischen Dissidenten verloren. Sie werde nun über einen neuen Weg nachdenken, sagte sie am Montag in verschiedenen Fernsehinterviews. Aktuelle politische Termine als Präsidentin der Region Poitou-Charentes sagte sie am Montag ab.

Die größten Verlierer der Wahl sind aber die Liberalen (Modem), die nur zwei Sitze erhielten. Parteichef François Bayrou verlor seinen Sitz in Pau, den er seit 1986 gehalten hatte. Er hatte sich bei der Präsidentschaftswahl nach dem ersten Wahlgang für Hollande ausgesprochen, was ihm seine Anhänger offenbar übel nahmen. Der dreimalige Präsidentschaftskandidat bleibt Gemeinderat in Pau, will aber nun erst einmal Abstand gewinnen. (dapd)

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