Linksrutsch im französischen Parlament: Triumph und Enttäuschung bei den Sozialisten
Nach dem Wahlsieg der Sozialisten kann Präsident Hollande durchregieren – doch sein Budget ist knapp.
François Hollande hat sein Ziel erreicht. Nach seiner Wahl zum neuen Präsidenten Frankreichs ging jetzt auch seine Sozialistische Partei als klarer Sieger aus der Parlamentswahl hervor. Nach ersten Hochrechnungen nach der Stichwahl am Sonntag kamen die Sozialisten auf bis zu 320 Mandate. Die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung liegt bei 289 der 577 Sitze. Bisher dominierte dort die konservative Partei UMP des im Mai abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy. Sie wird jetzt mit etwa 220 Abgeordneten die Opposition stellen. Ihr Chef Jean-François Copé nahm den Sieg der Sozialisten „zur Kenntnis“.
Triumph und Enttäuschung lagen für die Sozialisten eng beieinander. Im nordfranzösischen Wahlkreis Hénin-Beaumont schlug ein bisher unbekannter Sozialist, Philippe Kemel, mit knapp hundert Stimmen Vorsprung die Chefin der rechtsextremen Nationalen Front (FN), Marine Le Pen. Diese focht das Ergebnis sofort an und verlangte eine neue Auszählung der Stimmen. In La Rochelle in Westfrankreich unterlag dagegen Ségolène Royal, die frühere Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, mit 37 Prozent gegen den sozialistischen Dissidenten Olivier Farloni. Royal warf ihm vor, seine Wahl der Unterstützung durch UMP und FN zu verdanken und sprach von „politischem Verrat“. Der populäre frühere Kulturminister Jack Lang verlor in Lothringen gegen einen UMP-Kandidaten.
Gewählt wurde in 541 Wahlkreisen, in denen im ersten Durchgang vor einer Woche noch keine Entscheidung gefallen war. Die Wahlbeteiligung war mit 56 Prozent so gering wie bei keiner Wahl zuvor.
So begann die Amtszeit des neuen Präsidenten in Frankreich:
Die sozialistische Regierung, die sich bereits im Senat auf eine eigene Mehrheit stützt, ist jetzt auch in der Nationalversammlung von der Unterstützung durch andere Linksparteien unabhängig. Für die Grünen, mit denen die Sozialisten ein Wahlbündnis eingegangen waren und die in der Regierung von Premierminister Jean-Marc Ayrault vertreten sind, wurden 20 Sitze vorausgesagt, für die Linksfront aus Kommunisten und radikalen Linken bis zu elf Sitze. Die Zentrumspartei Modem schmolz auf zwei Mandate zusammen. Ihr populärer Chef François Bayrou unterlag in seinem Wahlkreis. Die FN kam auf zwei Deputierte. Unter ihnen ist Marion Maréchal-Le Pen, eine Enkelin des Parteigründers Jean-Marie Le Pen und Nichte der der jetzigen FN-Chefin Marine Le Pen. Die 22-jährige Jurastudentin wird als jüngste Abgeordnete in der Geschichte der V. Republik im Palais Bourbon Platz nehmen.
Das neue Parlament wird bereits Anfang Juli zusammentreten, um erste von Hollande angekündigte Reformen zu beraten. Dazu gehören unter anderem die sogenannte Reichensteuer von 75 Prozent auf Einkommen von über einer Million Euro sowie die Finanzierung der 60 000 Stellen, die schrittweise im Bildungssektor geschaffen werden sollen. Noch vor der Sommerpause müssen Grundzüge eines Nachtragshaushalts für 2012 und des Budgets für 2013 festgelegt werden.
Mit dem Ende des Wahlmarathons schlägt damit für die Franzosen die Stunde der Wahrheit. Nachdem die Regierung vor der Parlamentswahl die Erfüllung der von Präsident Hollande gegebenen Versprechen wie die Erhöhung der Beihilfen zum Schulanfang, die Rückkehr zur Rente mit 60 für bestimmte Versicherte oder die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns bestätigt hat, wird sie jetzt die bitteren Pillen zur Sanierung der Staatsfinanzen verabreichen müssen.
Dazu dürften angesichts der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums größere „Anstrengungen“ nötig sein als die, von denen bisher die Rede war. Die Zunahme der Wirtschaftstätigkeit um 0,5 Prozent in diesem Jahr und um 1,7 Prozent im nächsten scheint nach neuesten Gutachten von Konjunkturforschern nicht mehr erreichbar. Vergangene Woche räumte auch Wirtschaftsminister Pierre Mocovici ein, dass die Regierung bereits dabei sei, ihre Prognosen zum Wachstum nach unten zu korrigieren. Infolge der geringeren Steuereinnahmen dürfte der Rechnungshof Einsparungen empfehlen. Auf Hollande, der den Wählern versprochen hatte, die Haushaltssanierung mehr über Steuererhöhungen als über Ausgabenkürzungen anzustreben, kommen damit schwierige Entscheidungen zu. Am Ziel, die Neuverschuldung bis 2013 auf drei Prozent zurückzuführen, will er festgehalten.