Bundeswehr-Einsätze im Inland?: Frank-Walter Steinmeier stoppt Ursula von der Leyen
Die Verteidigungsministerin hat ins Weißbuch für die Sicherheitspolitik geschrieben, dass die Bundeswehr öfter im Inland eingesetzt werden soll. Die SPD will das nicht.
Es gibt Vorstöße in der Politik, die langen Streit nach sich ziehen, und andere, die sind ratzfatz erledigt. Der jüngste Coup der Bundesverteidigungsministerin hat alle Chancen, in die zweite Kategorie zu fallen. Ursula von der Leyen will den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ausweiten. Die SPD und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier wollen das nicht.
Am Montag hat Leyen einen Entwurf des neuen „Weißbuchs“ für die künftige Sicherheitspolitik der Bundesregierung in Umlauf gebracht. Am Dienstag setzt Steinmeier ein Stoppsignal: „Mit der SPD ist eine Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren nicht zu machen“, verbreitet sein Umfeld.
Tatsächlich ist Steinmeier nicht nur einfach politisch gegen den Vorstoß der Frau Kollegin, sondern obendrein stinkesauer über die Art und Weise, wie sie ihm den unterzujubeln versucht. Vor 15 Monaten wurde der Plan gefasst, ein neues Weißbuch zu schreiben. Seit 1969 werden in diesem Dokument die Ziele und Vorgaben für die Verteidigungspolitik niedergelegt, und zwar im Namen der gesamten Bundesregierung. Das letzte „Weißbuch“ stammt aus der Amtszeit von Franz Josef Jung 2006. Die Welt hat sich verändert.
Die Kritik: Das "Weißbuch" wurde ausführlich diskutiert - der Militäreinsatz im Inneren nicht
Das Verteidigungsministerium als federführendes Ressort legte den Diskussionsprozess über das Nachfolgedokument betont breit an. In zahllosen Diskussionsrunden durften sich Politiker, Militärs, Wissenschaftler, selbst Journalisten zu Wort melden, und auch alle mit Außen- und Sicherheitspolitik befassten Ministerien waren einbezogen. Im Hause von Leyen entstand ein Formulierungsvorschlag, 130 Seiten stark. Am Montag ging er zur Vorabstimmung zunächst an die Mitglieder des Bundessicherheitsrats, also auch an das Auswärtige Amt.
Dort trauten sie ihren Augen nicht. Im Abschnitt „Bundeswehr im Inneren“ fand sich ein Satz, von dem in Vorentwürfen nie die Rede war. Die Bundeswehr, hieß es dort, könne bereits im Fall „inneren Notstands“ zu Hilfe geholt werden, und weiter: „Charakter und Dynamik gegenwärtiger und zukünftiger sicherheitspolitischer Bedrohungen machen hier Weiterentwicklungen notwendig, um einen wirkungsvollen Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr an der Grenze von innerer und äußerer Sicherheit auf einer klaren Grundlage zu ermöglichen.“
Für eine Veränderung müsste das Grundgesetz geändert werden
„Klare Grundlage“ heißt Änderung des Grundgesetzes, das dem Einsatz der Armee als Hilfstruppe der Polizei kategorisch im Wege steht. Man habe in den 15 Monaten mit den Kollegen aus dem Bendlerblock nun wirklich über alles und jedes geredet und Formulierungen ausgetauscht, ärgert sich ein enger Steinmeier-Mitarbeiter – diese Bombe aber habe Leyen in letzter Minute platziert.
Ein Versehen war das nicht. Die Union versucht seit Jahrzehnten, die Fesseln zu lösen, die die Verfassung dem Militäreinsatz jenseits der Katastrophenhilfe anlegt. Die große Koalition böte theoretisch schon mal im Bundestag die Chance auf die nötige Zweidrittelmehrheit. Die Terrorgefahr bietet aus Unionssicht inhaltlich Gründe für einen neuen Vorstoß. In Paris und Brüssel gehörten Soldaten nach den Terroranschlägen ja auch sofort zum Stadtbild.
Die SPD ist seit jeher dagegen, und Leyens Vorgehen erhöht die Lust zum Umdenken nicht. Auch an anderen Stellen sind Steinmeiers Leute unglücklich über den „Weißbuch“-Entwurf. Leyen will die bisher sehr informelle Ministerrunde des Bundessicherheitsrat zur Schaltstelle für Sicherheitsfragen mit eigenem Stab und „Koordinierungsgremium“ machen, fordert auf EU-Ebene einen eigenen Rat der Verteidigungsminister und für Auslandseinsätze eine neue Rechtsgrundlage, die Einsätze außerhalb eines „Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ wie Uno oder Nato rechtfertigt. Etwa über Letzteres, heißt es im Auswärtigen Amt, könne man ja reden – nur bitte zuerst mit dem Parlament!