Halbzeit für den Präsidenten: François Hollandes zieht für Frankreich Bilanz
Zur Hälfte seiner Amtszeit will François Hollande nach vielen Querelen und Skandalen die Stimmung drehen – aber hört ihm jemand zu?
François Hollande und Manuel Valls haben eine neue Methode des Regierens entdeckt. „Man muss aufhören, Frankreich schlechtzureden“, wurde Frankreichs Präsident dieser Tage zitiert, und sein Premierminister soll ihm mit den Worten beigepflichtet haben: „Wir müssen häufiger positiv über das sprechen, was in die richtige Richtung geht.“ An diesem Donnerstag, dem Tag, an dem Hollandes fünfjährige Amtszeit ihre Halbzeit erreicht, soll den Franzosen eine Kostprobe dieser Rezeptur verabreicht werden.
In einem 90-minütigen TV-Auftritt zur besten abendlichen Sendezeit will Hollande im Gespräch mit Journalisten und ausgesuchten Vertretern der Bürgergesellschaft eine Bilanz der zweieinhalb Jahre seit seiner Wahl 2012 ziehen und die noch bis zum Ende seiner Präsidentschaft 2017 ausstehenden Ziele aufzeigen. Für Hollande, der gern Hände schüttelt, mit Leuten spricht, Medienvertreter empfängt und über Pressekonferenzen mit den Franzosen kommuniziert, wird es diesmal keine leichte Übung sein, sein Publikum für sich einzunehmen: Er ist der unpopulärste Präsident, der Frankreich seit Bestehen der V. Republik regiert. Keiner seiner Vorgänger von Charles de Gaulle bis Nicolas Sarkozy verlor das Vertrauen, das ihm die Franzosen mit ihren Stimmzetteln erwiesen hatten, so rasch und so gründlich wie er. Nur noch etwa 15 Prozent der befragten Franzosen haben heute laut den Erhebungen der Meinungsforschungsinstitute eine gute Meinung von ihrem Präsidenten.
Zur Zeit wäre Rechtsaußen Le Pen Wahlsiegerin
Wie Hollande die Stimmung im Lande wenden und die von ihm Enttäuschten zurückgewinnen will, die aus Verdruss auf eine Rückkehr von Sarkozy setzen oder aus Zorn bei der nächsten Wahl mit einer Stimmabgabe für Marine Le Pen von der rechtsradikalen Nationalen Front liebäugeln, ist die große Frage. Darüber hinaus hat es Hollande jetzt auch mit einer wachsenden Opposition im eigenen Lager zu tun. Die Grünen gehören der Regierung nicht mehr an und stimmen nur noch wahlweise für sie. Etwa 40 sozialistische Abgeordnete verweigern Premier Valls im Parlament die Gefolgschaft. Die Linksfront von Kommunisten und von sozialistischen Sektierern verschärft mit Parolen wie „Hollande ist schlimmer als Sarkozy“ die politische Atmosphäre. Wären jetzt Wahlen, würde Marine Le Pen laut Umfragen in der ersten Runde vor Sarkozy die meisten Stimmen erhalten und in der zweiten Runde, wenn es denn gegen Hollande ginge, auf jeden Fall gewinnen.
Hauptgrund für diese Stimmungslage ist, dass alle für die Befindlichkeit der Franzosen wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Warnlichter blinken. Das Wachstum bleibt aus. Die staatliche Verschuldung hat eine Rekordhöhe von 2000 Milliarden Euro erreicht. Das Defizit der öffentlichen Finanzen liegt trotz drastischer Steuererhöhungen und einiger Ausgabenkürzungen unverändert über den vertraglich zulässigen drei Prozent der wirtschaftlichen Gesamtleistung. Die von der Regierung vorgelegten Zahlen zum Haushalt 2015 haben in Brüssel Stirnrunzeln hervorgerufen. Auch 2017 wird Frankreich das Euro-Stabilitätskriterium verfehlen.
Am meisten belastet jedoch der Misserfolg im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Seit Hollandes Amtsantritt ist die Zahl der Beschäftigungsuchenden um eine halbe Million auf über drei Millionen gestiegen – das entspricht einer Quote von 10,3 Prozent. Wie das Defizit bei den Staatsfinanzen ist auch dieser Fehlschlag zum Teil eine Folge der Versäumnisse der früheren Regierung. Es ist dennoch „unbefriedigend“, wie Arbeitsminister François Rebsamen eingestand. Der „Le Monde“-Kolumnist Gérard Courtois meinte denn auch: „Der Präsident spricht und niemand hört ihm mehr zu.“
Hans-Hagen Bremer