Die Hugenotten und das Heute: Flüchtlingspolitik nach Kurfürsten-Art? Besser nicht!
Was hinter der 330 Jahre alten Geschichte vom Toleranzedikt steckt. Ein Kommentar
In Magdeburg standen drei Häuser in Flammen, in denen die Zuwanderer lebten, und als Feuerwehrleute den Brand löschen wollten, skandierte das Volk, man solle das Haus brennen lassen. Im niedersächsischen Celle wurden die Fremden von der einheimischen Bevölkerung feindselig beschimpft. In Berlin zeigte sich die Regierung enttäuscht über die mangelnde Qualifizierung der Neuankömmlinge und entwickelte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Was sich wie aktuelle Meldungen zur Flüchtlingskrise liest, sind Informationen über mehr als 300 Jahre alte Vorkommnisse. Aus jener Zeit, in der die aus Frankreich stammenden Hugenotten, in ihrer Heimat plötzlich verfolgt, massenweise in europäische Nachbarstaaten flohen. Am 29. Oktober 1685 erging darum von Friedrich Wilhelm, später der „Große Kurfürst“, eine Einladung an die Verfolgten in sein Herrschaftsgebiet, verbunden mit der Aussicht auf Religionsfreiheit, in schriftlicher Form festgehalten als „Edikt von Potsdam“, auch genannt Potsdamer Toleranzedikt.
Mancher sieht eine Mut machende Parallele
Toleranz! In Preußen! Hurra! Eine treffliche und Mut machende Parallele zur heutigen Masseneinwanderungskrise, wie nicht zuletzt Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh in einem Tagesspiegelbeitrag befand. Denn wie man damals die Situation gemeistert habe, könne man das doch auch heute. Doch so besonders vorbildlich in Toleranzfragen war man damals gar nicht gewesen.
Die Einladung von Friedrich Wilhelm an die französische Minderheitengruppe war durchaus eigennützig motiviert. Sein Herrschaftsraum Brandenburg-Preußen war eine durch den 30-jährigen Krieg und die Pest verwüstete Gegend, die schnell neue Bevölkerung brauchte, denn ohne Bevölkerung konnte kein Machtanspruch begründet werden, schon gar nicht dem 20 Millionen Menschen starken Frankreich gegenüber. Wie Jochen Desel von der Deutschen Hugenottengesellschaft weiß, wurde die erste hugenottische Einwanderungswelle 1685 unterschiedslos erfreut begrüßt, die zweite um 1699 aber schon nicht mehr. Bis dahin hatte sich herumgesprochen, dass nicht alle Hugenotten vermögende und gebildete Menschen waren, sondern manche auch arm und zu nichts zu gebrauchen. Die wollte man nicht haben.
Eine Flüchtlingsgruppe, die sich von Brandenburg eingeladen fühlte, wurde dort einfach abgewiesen, als sich herausstellte, dass sie – entgegen den Erwartungen – völlig mittellos war. Auch Flüchtlinge, die ohne Geld via Schweiz aus Frankreich flohen, wurden abgewiesen.
Der "riesige Unterschied" zu heute: Es kamen Glaubensbrüder
Der Schweiz teilte man mit, man werde die Flüchtlinge nur reinlassen, wenn die Schweiz dafür zahle. Tatsächlich haben die Schweizer Behörden laut Desel „nicht unerhebliche Summen“ pro abgenommenem Flüchtling gezahlt. Der Große Kurfürst führte dann für die armen und ungebildeten Flüchtlinge den Beruf des Sänftenträgers ein, auf dass sie nicht zu Kostgängern würden.
Seine Zugewandtheit lag auch daran, dass die Hugenotten Calvinisten waren – wie er selbst auch. Das ist nach Desel der „riesige Unterschied“ zur Situation heute. Religionen hatten damals einen viel tieferen Einfluss auf das Leben der Menschen.
Die Einladung des Kurfürsten ging also an Glaubensbrüder. Daher die großzügigen Toleranzversprechen, die in der Folge zu Entwicklungen führten, die hier und heute kaum mehrheitsfähig wären: Die Hugenotten blieben, wie und was sie waren. Calvinistische Franzosen in Deutschland. Mit eigenen Kirchen und Schulen, eigener Sprache und eigenen Wohnorten. Mit den Regeln Preußens kamen die Neubürger selten in Berührung. Von Integration war keine Rede und ebenso wenig von irgendeiner zu akzeptierenden Leitkultur. Den Hugenotten ging das religiöse Bekenntnis viele Jahrzehnte – zwei Generationen lang – über das politische Bekenntnis zum preußischen Staat. Anfangs lebten sie in exklusiven Parallelgesellschaften.
Falls die Geschichte etwas lehrt, dann den Vorrang von Wirtschaftlichkeit
Mit den verfolgten Juden, die Friedrich Wilhelm ebenfalls ins Land lud, war man nicht so generös. Hier bestand man darauf, dass die Familien reich waren, und ließ sie für ihre Aufenthaltserlaubnisse zahlen. Und Synagogenbau war nicht vorgesehen.
Die preußischen Toleranzfabeln taugen also – wenn überhaupt für irgendetwas – wohl am ehesten als Beleg dafür, dass Staatenlenkern die Wirtschaftlichkeit ihrer Entscheidungen schon immer wichtiger war als die Menschenfreundlichkeit. Und dass Toleranz denjenigen gegenüber am einfachsten ist, die einem ohnehin ähnlich sind.
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