Migration: Flüchtlingshilfe kann in Frankreich teuer werden
Illegalen Einwanderern zu helfen kann in Frankreich teuer werden. Nun soll das Gesetz gegen sogenannte Solidaritätsdelikte überarbeitet werden. Auf EU-Ebene nimmt diese Debatte gerade erst an Fahrt auf. Ein Bericht von EurActiv Frankreich.
In der französischen Gemeinde Briançon sorgen sich die Einheimischen derzeit über rechtliche Risiken, da sie immer mehr Migranten helfen müssen, die aus Italien über die Alpen nach Frankreich kommen.
„Einige Menschen wurden festgenommen und andere, die dafür bekannt sind, Migranten geholfen zu haben, wurden unter Druck gesetzt,“ berichtet Bruno, Mitarbeiter einer Skistation, der in Névache, einem kleinen Dorf unweit der Grenze zu Italien, lebt.
In Névache ist eine Solidaritätsbewegung entstanden, die Migranten hilft, die ihr Leben riskieren, indem sie die Alpen überqueren. Immer mehr Migranten kommen über den Col de l’Echelle aus Italien nach Frankreich. „Im Winter habe ich da überhaupt keine Bedenken oder Skrupel. Kein Gesetz wird mich davon abhalten, einer gefährdeten Person im Gebirge zu helfen,“ so Bruno.
Es gibt jedoch einen schmalen Grat zwischen der Hilfe für eine gefährdete Person und der Hilfe bei der illegalen Einreise nach Frankreich. Während des vergangenen Winters suchten Freiwillige in Briançon immer wieder die Berge ab, um denjenigen, die Hilfe brauchen könnten, zu helfen.
Obwohl dies einerseits dazu beigetragen hat, Leben zu retten, sind einige Bürger, die sich freiwillig für Migranten eingesetzt haben, andererseits auch mit Schmugglernetzwerken in Kontakt gekommen. Die Freiwilligen werden schnell von den Netzwerken in Italien identifiziert, die dann beispielsweise die Telefonnummern der freiwilligen Helfer an Migranten verkaufen.
Es ist ein Balanceakt, bei dem die Grenzen zwischen humanitärer Hilfe und der Zusammenarbeit mit Schmugglerringen verwischen und dies zu rechtlichen Risiken führen kann.
Ausgenutzte Solidarität
Die Solidarität wird manchmal von Schmugglern ausgenutzt, die die Route über die Alpen nehmen. „Manchmal glauben Flüchtlinge, die im Heim in Briançon angekommen sind, sogar, dass ihre Übernachtung hier Teil des Pakets ist, für das sie die Schmuggler bezahlt haben,“ erklärt einer der Freiwilligen, der in der örtlichen Flüchtlingsunterkunft hilft.
Nach dem geltenden französischen Recht können Personen wegen Beihilfe zur illegalen Einreise, Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt von illegalen Einwanderern strafrechtlich verfolgt werden. Eine Ausnahme wird gemacht, wenn Hilfe zur Wahrung der Würde der einreisenden Person geleistet wurde und in keiner Weise vergütet wird.
Allerdings darf nicht bei der Einreise nach Frankreich oder bei der Weiterreise geholfen werden, sondern nur beim Aufenthalt vor Ort – also mit Unterbringung, Verpflegung oder medizinischer Hilfe.
Mit Bestimmungen aus dem Einreise- und Aufenthaltsgesetz sowie dem Asylrecht, die Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren und Geldstrafen von 30.000 Euro vorsehen, soll die Verfolgung von Schmugglern sichergestellt werden.
Tatsächlich wurden diese Gesetze aber auch gegen „normale“ Bürger angewendet, die Migranten helfen. Einer von ihnen ist Cédric Herrou, ein Bauer aus dem Roya-Tal. Herrou wurde 2016 und 2017 mehrmals verhaftet, weil er insgesamt über 200 Migranten aus Italien nach Frankreich geholfen hatte.
Martine Landry, eine Aktivistin von Amnesty International, wurde ebenfalls verhaftet, weil sie zwei 15-jährige guineische Migranten dabei unterstützt hatte, nach Frankreich zu kommen. Ihr Prozess beginnt diese Woche.
Neuer Gesetzentwurf wird im Parlament geprüft
Die französische Nationalversammlung prüft derzeit einen neuen Gesetzentwurf über Asyl und Migration, mit dem auch die Straftat „Solidaritätsdelikt“ überdacht werden soll. Einige Abgeordnete haben einen Änderungsantrag in Bezug auf das Solidaritätsdelikt aufgesetzt, um eine Ausnahmeregelung für die Erleichterung von Reisen innerhalb Frankreichs einzuführen. In der Praxis wurden die meisten Personen, die wegen Verstoßes gegen die Solidaritätsklausel angeklagt wurden, tatsächlich verhaftet, weil sie Migranten geholfen haben, innerhalb des französischen Hoheitsgebiets zu reisen – und nicht bei der illegalen Einwanderung.
Durch die Unterstützung von Präsident Emmanuel Macron und Abgeordneten seiner Partei „La République en Marche“ wurden Diskussionen über Veränderungen im Solidaritätsdelikt in der Nationalversammlung ermöglicht. Bei der Prüfung der Änderungen Anfang Juni im Senat, wo es eine konservative Mehrheit gibt, ist es jedoch weniger wahrscheinlich, dass die neue Handhabung von Solidaritätsdelikten angenommen wird.
Europäische Bürgerinitaitive gegen Solidaritätsdelikte
Auch auf europäischer Ebene zeichnet sich langsam eine Debatte über das Solidaritätsdelikt ab. Das geltende europäische Recht ist dabei deutlicher und flexibler als das französische. Eine 2002 verabschiedete europäische Richtlinie über die Beihilfe zur illegalen Einreise, Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt legt die Mindestvorschriften für Sanktionen im Falle von „Beihilfen zur Gewinnerzielung“ fest.
Nach französischem Recht ist der Begriff der „Vergütung“ für geleistete Hilfe hingegen nicht unbedingt auf Geldzahlungen beschränkt. Diese deutlich weiter gefasste Definition ermöglicht daher auch die strafrechtliche Verfolgung von Bürgern, die Migranten geholfen haben, ohne dafür eine finanzielle Entlohnung zu erhalten.
Die EU-Richtlinie legt derweil auch fest, dass die Mitgliedstaaten das Recht auf eine vollständige Freisprechung von Bürgern in Fällen haben, wo humanitäre Hilfe für Flüchtlinge geleistet wurde – eine Bestimmung, die von Frankreich derzeit in der angedachten Form nicht angewandt wird.
„Auf europäischer Ebene gibt es keine Diskussion über das Thema Solidaritätsdelikt,“ kritisiert Sylvie Guillaume, französische sozialistische Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Sie fordert: „Es muss eine französische und europäische Dynamik in dieser Frage geben. Wir brauchen eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu diesem Thema, um einen europäischeren Ansatz zu haben. Denn heute sind die in Europa geltenden Gesetze sehr unterschiedlich.“
Unterschiedliche Ansichten zwischen links und rechts sowie immer wiederkehrende Spannungen in der Migrantenfrage zwischen den Ländern Ost- und Westeuropas werden jedoch höchstwahrscheinlich zu schwierigen Diskussionen auf europäischer Ebene führen.
Guillaume gibt außerdem zu: „Ich sehe das Risiko. Wenn wir diese Debatte eröffnen, riskieren wir, dass Solidaritätsdelikte zukünftig sogar stärker bestraft werden. Aber eine Debatte darüber ist notwendig.“
Während die Diskussion in Brüssel bisher praktisch noch gar nicht begonnen hat, könnte eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) einen Impuls geben. Die im Februar gestartete Initiative fordert das Ende des Solidaritätsdelikts als Straftat und versucht derzeit, eine Million Unterschriften von europäischen Bürgern dafür zu sammeln. Wenn die Initiative erfolgreich ist, wird von der EU-Kommission eine Antwort in Form von Gesetzesvorschlägen erwartet.
Übersetzung: Tim Steins.
Erschienen bei EurActiv.
Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.
Cécile Barbière