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Abgelehnte Asylbewerber werden zum Transport zum Flughafen abgeholt.
© picture alliance / Sebastian Wil

Abschiebungen: Flüchtlingshelfer bangen um ihre afghanischen Schützlinge

Am Dienstag sollen erneut Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben werden. Unter ihnen gut integrierte Menschen, wie der Klassensprecher einer Integrationsklasse.

Es wird die mittlerweile 15. Sammelabschiebung nach Afghanistan sein. Am Dienstagabend soll die monatliche "Rückführung" nach Kabul stattfinden, von München aus. Wie viele nicht anerkannte Flüchtlinge in dem Abschiebeflugzeug sitzen werden, wollte das zuständige Innenministerium vorab nicht bekannt geben. Abschiebungsgegner haben für 20 Uhr eine "Nachtdemo" am Odeonsplatz in München angekündigt. "Abschiebungen nach Afghanistan sind Symbolpolitik, um Deutschland als harten Abschiebestaat zu präsentieren und die rechten Wähler*innen zu umwerben", heißt es in der Ankündigung. "Dabei ist es den Regierenden egal, was aus den abgeschobenen Personen wird, die die Leittragenden ihrer Machtdemonstration sind."

Erneut wird es wohl wieder viele Afghanen aus Bayern treffen. Denn dort will man nicht mehr nur sogenannte Straftäter oder Gefährder abschieben. Die Folge daraus ist, dass viele Asylbewerber, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, untertauchen, wie die Tagesschau berichtet. "Abgeschoben wird, wer greifbar ist", heißt es in dem Bericht. Das Innenministerium sagt, die endgültige Passagierliste hänge davon ab, "welche von den ausreisepflichtigen afghanischen Staatsangehörigen von den Ländern am Tag der konkreten Maßnahme auch zugeführt werden". Es treffe ebensolche, die sich unauffällig verhalten, die im Bett liegen, um morgens in die Schule oder zur Arbeit gehen. Die Folge sei, dass viele abgelehnte Asylbewerber untertauchen würden.

Auch Brandenburg schiebt ab

Auch Brandenburg wird sich womöglich an der Sammelabschiebung beteiligen. Drei ihren Mandanten seien verhaftet worden und sollen am Dienstag nach Afghanistan abgeschoben werden, berichtet eine Anwältin aus Berlin. Einer von ihnen befände sich noch im Erstverfahren. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, aber seine Anwältin hatte dagegen geklagt. Über diese Klage sei noch nicht entschieden worden. Ihr Mandant sei zudem psychisch labil und habe bereits einen Suizidversuch in stationärer Behandlung unternommen. Er war geflüchtet, weil sein Vater von den Taliban ermordet wurde. Erst im Mai dieses Jahres sei seine Familie in Afghanistan von den Taliban bedroht worden, seine Brüder wurden verletzt, Freunde getötet.

Klassensprecher der Integrationsklasse abgeschoben

Bei vielen Flüchtlingshelfern und unter den Geflüchteten selbst, vor allem in Bayern, herrscht kurz vor Abschiebungen Angst. "Es könnte jeden treffen", sagt Elvira Bittner, ehrenamtliche Flüchtlingshelferin in München. Viele Afghanen in Bayern hätten derzeit große Angst, abgeschoben zu werden, berichtet sie. Bei der letzten Abschiebung sogar den Klassensprecher der Integrationsklasse einer Berufsschule.

Diesmal könnte es auch einen jungen Afghanen treffen, der derzeit in Kulmbach lebt. Noch vor Kurzem hat er dort bei einem Handwerkerhof gearbeitet. Doch da sein Asylgesuch abgelehnt wurde, durfte er nicht mehr arbeiten und der Betrieb musste ihn entlassen. "Sollte er wieder arbeiten dürfen, wir nehmen ihn gerne", sagte sein ehemaliger Arbeitgeber am Dienstag auf Nachfrage. Er sitze schon seit längerer Zeit in Abschiebehaft. Sein Handy war aus. Das BAMF und ein Sprecher der Regierung von Mittelfranken erklärte auf Nachfrage, den Namen des Mannes nicht zu kennen. Man gebe jedoch ohnehin keine Auskünfte über Einzelfälle. Schon einmal sollte der Mann abgeschoben werden, doch im letzten Moment wurde der Flug abgesagt. In Kabul war eine Bombe explodiert. "Es ist schade um den Mann, wir hätten ihn gerne hierbehalten. Er war spitzenmäßig integriert", so sein ehemaliger Arbeitgeber.

Schlüssige Fluchtgeschichte verlangt

"Beim Asylverfahren handelt es sich um eine Einzelfallprüfung", schreibt das BAMF. Bewertet würde immer die individuell vorgetragene Fluchtgeschichte. "Die Herkunft aus einem bestimmten Land oder ein bestimmter Fluchtgrund führen nicht automatisch zu einem Schutzstatus oder zur Ablehnung des Asylantrags. Im Rahmen der Anhörung haben die Antragsteller die Möglichkeit ihre Fluchtgründe vorzutragen. Anhand des Vortrags prüft der Entscheider, welche Gefahr dem Asylsuchenden bei Rückkehr ins Herkunftsland droht und entscheidet, ob und welcher Schutz zu gewähren oder ob ein Asylantrag abzulehnen ist."

Das Verwaltungsgericht Bayreuth hielt den Vortrag des besagten Mannes aus Kulmbach für nicht schlüssig. Seine Klage gegen den negativen Asylbescheid wurde abgewiesen. Die Dokumente liegen dem Tagesspiegel vor. Der Mann habe "keinen schlüssigen Sachvortrag" abliefern können. Er hatte angegeben, aus Afghanistan geflüchtet zu sein, weil jemand umgebracht worden sei. Zudem habe sein Vater jemandem Geld geliehen und als er es nicht zurückzahlen konnte, sei er mit einer Pistole bedroht worden. Über seinen eigenen Facebook-Account könne er diese Bedrohungen beweisen, erklärte der Mann vor Gericht. Er fürchte um sein Leben, sollte er zurückkehren müssen.

Gut integriert und trotzdem abgeschoben

Der Mann war gut integriert. Sogar der Oberbürgermeister von Kulmbach, Henry Schramm, bestätigte dies dem Gericht schriftlich und unterstützte den Mann ebenso, wie dessen ehemaliger Arbeitgeber. Nur wird der Afghane als "Straftäter" eingestuft, weil er sich nach einem Streit in einer Disko geschlagen hatte. Er wurde zu mehr als 100 Tagessätzen verurteilt. Derjenige, mit dem er sich geschlagen hatte, trug eine leichte Schwellung im Gesicht davon. "Es ist unverständlich, wie es zu so einem hohen Strafmaß kommen konnte", meint Stefan Dünnwald vom Flüchtlingsrat. "Hier sieht man, wie ein junger Mann, der eigentlich auf einem sehr guten Integrationsweg gewesen ist, durch eine Tat völlig aus der Bahn geworfen wird, wie die Behörden hier durch Ausbildungs- und Arbeitsverbot jemanden reif machen für die Abschiebung nach Afghanistan, und dann auch noch Straftäter schreien können."

Das BAMF und die Ministerien machen grundsätzlich keine Aussagen dazu, warum ein Asylbewerber als "Straftäter oder Gefährder" eingestuft wird oder zu den begangenen Straftaten. Aus datenschutzrechtlichen Gründen. Denn, so das BAMF: "Das Bundesamt nimmt seine Verantwortung gegenüber den Schutzsuchenden sehr ernst."

Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig spricht von einer "moralischen Schande" für Deutschland, das ankündigte, mehr Abschiebungen durchführen zu wollen. Die Situation in dem Land sei desaströs, so Ruttig. Am Montag waren in der ostafghanischen Stadt Ghasni 130 Menschen getötet worden. Taliban-Kämpfer hatten Regierungsgebäude angezündet und Kontrollstellen der Polizei unter ihre Kontrolle gebracht.

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